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Der Brexit wurde am Freitag im britischen Unterhaus beschlossen.
© AFP PHOTO / UK PARLIAMENT
Update

Großbritannien und EU-Austritt: Britisches Parlament stimmt für Brexit-Abkommen

Mehrmals scheiterte ein Brexit-Deal im britischen Unterhaus, nun ist er durch: Mit deutlicher Mehrheit haben die Abgeordneten für das Abkommen gestimmt.

Das britische Parlament hat für den Brexit gestimmt. Es verabschiedete am Freitagnachtmittag das Gesetz zur Ratifizierung des Vertrages mit der EU mit der Mehrheit der konservativen Tories. Damit wird Großbritannien am 31. Januar 2020 aus der EU austreten. 358 Abgeordnete stimmten mit ja, 234 stimmten gegen das Austritts-Abkommen.

Ende Oktober 2019 hatte das britische Parlament den gesetzlichen Rahmen für den Brexit-Deal in zweiter Lesung gebilligt. Dies war das erste Mal seit dem Referendum im Jahr 2016, dass die britischen Parlamentarier für einen Brexit-Plan abgestimmt hatten. Geplant ist, dass das Vereinigte Königreich am 31. Januar 2020 aus der EU austritt. Danach soll eine elfmonatige Übergangsperiode eintreten, um die Grundlagen der Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU zu ordnen. Können sich die Parteien nicht einigen, kommt es am 31. Dezember 2020 zu einem harten Brexit.

Großbritannien könnte auf Deregulierung zusteuern

Kurz nach Verkündung des Abstimmungsergebnis hielt Premier Boris Johnson eine Rede vor dem Unterhaus. „Jetzt verlassen wir die EU und vereinen unser Land neu“, sagte Johnson. Jetzt werde man der Zuneigung den europäischen Freunden gegenüber einen neuen Ausdruck verleihen.

Man solle das Ergebnis nicht als den Sieg einer Partei über eine andere sehen, vielmehr sei es die Zeit, gemeinsam zu handeln. „Das Britische Volk wird ihre Gesetze wieder in die eigene Hand nehmen“, sagte Johnson. Johnson kündigte ein Punkte-basiertes System für die Einwanderung an, außerdem Änderungen bei der Agrarpolitik und die Abschaffung der EU-Fischereiquoten. Großbritannien werde „ein neues nationales Selbstvertrauen aufbauen und Entscheidungen selbst treffen“, so Johnson.

Zuvor hatte Johnson während der Debatte gesagt, das neue Abkommen über die künftige Beziehung mit der EU werde auf einem ambitionierten Freihandelsabkommen „ohne Bindung an EU-Regeln“. Er weckte damit Befürchtungen der Opposition, er könnte das Land auf ein dereguliertes Wirtschaftsmodell nach US-Vorbild zusteuern.

Für Kritik sorgte vor allem die Absage an eine mögliche Verlängerung der Übergangsfrist nach dem Brexit, die in dem Gesetzentwurf festgelegt ist. Beide Seiten haben nun nur bis Ende 2020 Zeit, um ein Anschlussabkommen auszuhandeln. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, bezeichnete Johnsons mit Brüssel nachverhandelten Deal als „schrecklich“ und schädlich für das Land. Die britische Labour-Partei befürchtet unter anderem eine Absenkung der Standards für Arbeitnehmerrechte und negative Folgen für Nordirland. Der Brexit werde großen Einfluss auf die Wirtschaft und Gesellschaft des britischen Landesteils haben, warnte Corbyn.

Großes Bedauern unter EU-Politikern

In Brüssel bedauerte CDU-Europapolitiker David McAllister die Entscheidung des Parlaments für den Brexit. „Er ist und bleibt ein historischer Fehler“, erklärte McAllister. Es gelte, nun eine möglichst enge Partnerschaft anzustreben.

Allerdings ist die Sorge groß, dass sich Großbritannien nach dem EU-Austritt mit Sozial-, Umwelt- oder Steuerdumping Wettbewerbsvorteile verschaffen könnte. „Das sehen wir leider sich jetzt schon andeuten“, sagte die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley im Deutschlandfunk und verwies eine mögliche Schwächung von Arbeitnehmerrechten. Johnson dürfe kein „Paradies“ für Steuerflucht und Arbeitnehmerdumping bekommen.

Barley hält ein Abkommen mit London binnen Jahresfrist für möglich, doch viele in Brüssel sind skeptisch. „Das hat alles etwas von Wolkenkuckucksheim“, sagte ein EU-Diplomat am Freitag. Dass Premier Johnson eine Verlängerung der Übergangsphase schon jetzt gesetzlich ausschließen will, sei wohl nur als Drohung mit einem „No-Deal“ Ende 2020 zu verstehen. „Das Drohpotenzial bleibt allerdings begrenzt: Die wirtschaftlichen Konsequenzen eines No-Deals wären für Großbritannien deutlich schwerwiegender als für die EU.“

Die EU wolle einen Austritt in Freundschaft, sagte der Diplomat. „Angesichts der britischen Haltung steht leider zu befürchten, dass das Brexit-Drama im nächsten Jahr weitergeht.“

Brexit-Experte Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln erwartet bis Ende 2020 höchstens ein „einfaches“ Abkommen für Zollfreiheit im Warenhandel. „Im Dienstleistungshandel ist dagegen nicht viel zu erwarten, so dass ab 2021 dann deutlich höhere Barrieren gelten werden, was vor allem für die Londoner Finanzmarktakteure nachteilig sein wird“, erklärte Matthes der Deutschen Presse-Agentur. In jedem Fall werde die EU auf verbindliche Zusagen für ein „level playing field“ bestehen. Gemeint sind vergleichbare Standards und Wettbewerbsbedingungen.

Experten sehen kurze Übergangsfrist als Fehler

Der britische Premier will die Übergangsphase nach dem Brexit bis Ende 2020 begrenzen. Damit blieben elf Monate, um die künftigen Beziehungen zur EU samt einem Freihandelsabkommen zu verhandeln. Aus Sicht vieler Experten ist das zu wenig Zeit.

"Eine mögliche Verlängerung der Übergangsphase bis Ende 2022 ist Teil des Austrittsabkommens. Es ist fahrlässig, diese Option schon zum jetzigen Zeitpunkt und ohne Not auszuschließen", sagte der Hauptgeschäftsführer des deutschen Industrieverbandes BDI, Joachim Lang. Damit sei die Gefahr eines harten Brexit noch immer nicht gebannt, trotz des formalen Austritts Ende Januar. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sprach von einer Verschnaufpause für die Unternehmen.

EU-Ratspräsident Charles Michel twitterte, gleiche Wettbewerbsbedingungen seien ein Muss in den Verhandlungen zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Die EU werde hier auf Garantien bestehen. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, die Abstimmung in London habe man zur Kenntnis genommen und werde nun den Ratifizierungsprozess beobachten. Die EU werde sobald wie möglich die formalen Schritte einleiten, um auf ihrer Seite den Brexit-Vertrag in Kraft treten zu lassen.(Tsp, dpa)

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