Cumhuriyet-Prozess in der Türkei: Vom Gülen-Anhänger zum Helden Erdogans
Vor wenigen Jahren war er noch Chefredakteur der Gülen-nahen Zeitung "Zaman", nun sagt Hüseyin Gülerce gegen Cumhuriyet-Journalisten aus. Ein Porträt.
In der Türkei genügt mitunter ein falsches Wort oder der zufällige Kontakt zu einem mutmaßlichen Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, um ins Gefängnis zu kommen. Doch es gibt auch Leute, die noch vor einigen Jahren ganz offen als Vertreter Gülens agierten, ohne dass sie heute von der Justiz etwas zu befürchten haben. Einer von ihnen ist der Autor Hüseyin Gülerce, der rechtzeitig die Seiten wechselte und vom Gülen-Anhänger zum -Gegner wurde. Jetzt steht er im Zentrum eines heftigen Streits.
Gülerce bekräftige Vorwürfe gegen die Zeitung Cumhurriyet
Für die eine Seite ist Gülerce ein aufrechter Patriot, für die andere ein gewissenloser Opportunist. Als Zeuge der Anklage hat er im Prozess gegen die Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ den Vorwurf einer angeblichen Zusammenarbeit zwischen der Zeitung und Gülen bekräftigt. Dabei zählte er selbst jahrelang zu den engsten Gefolgsleuten Gülens.
Vor dem Bruch zwischen der Gülen-Bewegung und der Regierung Erdogans arbeitete Gülerce als Chefredakteur der inzwischen eingestellten Zeitung „Zaman“, dem Sprachrohr der Gülen-Organisation, und als Chef einer Gülen-nahen Stiftung. Nach Bekanntwerden von Korruptionsvorwürfen gegen die Erdogan-Regierung im Dezember 2013 mutierte Gülerce zum Feind des Predigers.
Nicht nur Gülerce machte diese Wandlung durch. Auch Erdogan hielt vor einigen Jahren noch Lobreden auf Gülen. Heute sagt der Präsident, er sei dem Prediger auf den Leim gegangen, habe dann aber dessen wahren Ziele erkannt.
Gülerce blieb von der Festnahmewelle verschont
Trotz seiner früheren Nähe zu Gülen bleibt Gülerce seit dem Putschversuch des vergangenen Jahres von der Festnahmewelle unbehelligt, die mehr als 50.000 Menschen ins Gefängnis gebracht hat. Frühere Kollegen von „Zaman“ sitzen wegen angeblicher Unterstützung des Putsches hinter Gittern. Gülerce dagegen schreibt eine Kolumne für die regierungstreue Zeitung „Star“ und ist für das Erdogan-Lager ein Held. Manchen kommt das verdächtig vor. Gülerce sei möglicherweise ein Doppelagent, schrieb jüngst ein Kolumnist der „Hürriyet“ . Andere Kritiker sehen in Gülerce einen typischen Wendehals. Wenn Gülen morgen wieder zu Macht und Ansehen gelangen sollte, stünde er rasch wieder an der Seite des Predigers, warnte der Kommentator Fathi Altayli in der Zeitung „Habertürk“. Gülerce weist dies zurück. Er sieht sich als Opfer einer Kampagne seiner Gegner - ganz ähnlich wie Erdogan.
Thomas Seibert