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Vor dem Gericht in Istanbul wird demonstrativ die "Cumhuriyet" gelesen, gegen deren Mitarbeiter drinnen verhandelt wird.
© Murad Sezer/rtr

Cumhuriyet-Prozess in der Türkei: Sieben Mitarbeiter frei - die bekanntesten bleiben in Haft

In Istanbul stehen Mitarbeiter der traditionsreichen Zeitung "Cumhuriyet" wegen "Terrorhilfe" vor Gericht. Nach der Anhörung kamen sieben von ihnen frei - eine Ohrfeige für Erdogan.

Als Abdullah Gül nach dem Freitagsgebet aus einer Moschee im Istanbuler Nobelviertel Sariyer kam, fing er an zu plaudern. Mit einem einzigen Satz, so schien es, wischte der frühere türkische Staatspräsident die kafkaesk anmutende Darbietung des Strafprozesses gegen 17 führende Mitarbeiter der Zeitung „Cumhuriyet“ in dieser Woche weg. Er habe stets gesagt, dass es richtig wäre, Journalisten während eines Gerichtsverfahrens auf freien Fuß zu lassen, erklärte Gül den wartenden Medienvertretern vor der Moschee. „Ich glaube, dass es auch jetzt richtig ist, die nun vor Gericht stehenden Journalisten freizulassen.“

Der Vorsitzende Richter der 27. Strafkammer für schwere Verbrechen im Istanbuler Justizpalast Caglayan hatte da noch keine Entscheidung gefällt. Er hörte sich zu diesem Zeitpunkt noch die Anwälte aller Angeklagten an. Dass aber ein führender Vertreter der konservativ-islamischen Staatsmacht das Vorgehen der Justiz solchermaßen infrage stellte, kam einer Ohrfeige für die Regierung und Staatschef Recep Tayyip Erdogan gleich. Denn die Untersuchungshaft gegen die „Cumhuriyet“-Journalisten, über deren Fortführung am Freitag im wohl aufsehenerregendsten Prozess gegen Oppositionelle in der Türkei entschieden wurde, war ja bereits als eine erste Strafe gedacht.

So haben es die 17 Angeklagten diese Woche immer wieder betont. „Ich musste neun Monate warten, um die Gelegenheit zu haben, all diese grundlosen, leeren und unbegründeten Anschuldigungen vor einem Gericht zurückzuweisen“, stellte zum Beispiel der renommierte Kolumnist Kadri Gürsel fest.

Die Freilassung von sieben Mitarbeitern ist auch als Kritik an Erdogan zu verstehen

Am Freitagabend ordnete das Gericht dann die Freilassung von sieben Mitarbeitern der "Cumhuriyet" an. Am Ende der mehrstündigen Anhörung entschieden die Richter aber auch, dass Herausgeber Akin Atalay, Chefredakteur Murat Sabuncu, der Investigativjournalist Ahmet Sik und der Kolumnist Kadri Gürsel weiter in Haft bleiben müssen. Bisher waren elf der 17 angeklagten Mitarbeiter im Gefängnis. Unter den Freigelassenen ist der Karikaturist Musa Kart. Die nächste Anhörung wurde für den 11. September angesetzt.

"Macht euch keine Sorgen um uns, wir bleiben aufrecht!", rief Atalay den Zuschauern am Ende des Prozesstages zu, die mit Applaus reagierten. "Bleib standhaft, Ahmet, wir werden widerstehen und durchhalten", rief Siks Ehefrau Yonca vor der Verkündung der Gerichtsentscheidung.

Gürsels Verteidigungsrede hatte am Nachmittag einen besonders starken Eindruck gemacht, weil sie die Unzulänglichkeiten der Anklageschrift aufzeigte. Dem 55-Jährigen wurde eine falsche Funktion im Zeitungsverlag zugeschrieben und damit auch eine nicht zutreffende Verantwortung für die Redaktionslinie von „Cumhuriyet“, der ältesten Zeitung der Türkischen Republik. Die Staatsanwaltschaft wirft Journalisten und Managern des säkularen Traditionsblatts vor, verschiedene Terrororganisationen zu unterstützen, in erster Linie, die in der Türkei solchermaßen etikettierte Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, aber auch die kurdische PKK und die linksextreme Gruppe DHKP-C.

Kann eine einzige SMS eine Terrororganisation begründen?

Kadri Gürsel wechselte zudem erst im Mai 2016 zu „Cumhuriyet“ und veröffentlichte dort seine erste Kolumne am 12. Juli, drei Tage vor dem Putsch. Sein Einfluss auf die angeblich Terror und Putschisten unterstützende Zeitung war also von kurzer Dauer. Auch die Zahlen der Staatsanwaltschaft über Anrufe und SMS, die Gürsel und seine Kollegen von nunmehr als „Gülenisten“ verdächtigten Personen erhielten, riefen bei Prozessbeobachtern ungläubiges Staunen hervor. „Mein Mandant hat eine SMS zugesandt bekommen“, stellte ein Anwalt bei der Anhörung am Freitag fest. Wenn mit einer SMS eine Terrororganisation geschaffen werden könne, dann würde es an Feiertagen ja eine ganze Menge davon geben, sagte ironisch der Anwalt eines der ältesten Angeklagten, des 75-jährigen Kolumnisten Hikmet Cetinkaya.

Cetinkaya, der wegen seines Alters ebenso wie zwei andere Journalisten, nicht in die lange Untersuchungshaft kam, wurde am Freitag auch gefragt, ob er denn die angebliche politische Änderung von „Cumhuriyet“ in den vergangenen drei Jahren bemerkt hätte. „Ich habe davon nichts gesehen“, sagte der Veteran des türkischen Journalismus. „Cumhuriyet“ habe eine „Verfassung“. Die laute: „Wir weichen nicht von der Linie der Atatürk-Anhänger und nicht vom Laizismus ab.“ Die Anschuldigungen der Justiz nannte er „schwarze Propaganda“.

Während Gürsel und seine Kollegen auf die offensichtlich absurden Angaben in der Anklageschrift hinwiesen, ging ein anderer renommierter türkischer Journalist in seinem leidenschaftlichen Plädoyer für die Pressefreiheit noch darüber hinaus. Ahmet Sik warf Präsident und Regierung vor, den Putsch im Vorjahr für ihre Zwecke inszeniert zu haben. Sik, ein investigativ arbeitender Journalist, saß 2011 schon einmal im Gefängnis – absurderweise wegen eines damals noch nicht veröffentlichten Buchs über die Unterwanderung der türkischen Polizei durch die Gülen-Bewegung. Die war damals noch stark.

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