FDP-Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz: Volker Wissing - der Mann für den Haushalt
Der FDP-Finanzexperte Volker Wissing soll als Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz die liberale Idee retten. Er hat einen langen Weg hinter sich.
Am Linsenberg, in der Mainzer Oberstadt, muss der aktuelle Wahlkampf jetzt noch ein bisschen warten. Volker Wissing, 45 Jahre alt, FDP-Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz und einst honoriger Finanzpolitiker im Bundestag, hat seine langen Arme weit auf dem Tisch in der Landesparteizentrale ausgebreitet – als wolle er wegschwimmen. Aber er will nur noch einmal daran erinnern, woher er gekommen ist, welcher Weg hinter ihm liegt.
Dass er den Weg überhaupt gegangen ist, ist seine Art der Traumabewältigung.
Als am 22. September 2013 er und die gesamte FDP aus dem Bundestag fliegen, flüchtet er von Mainz nach Frankfurt am Main, wo er immer in einem Hotel vor dem Flug nach Berlin übernachtet. Er sagt, er fühlte sich „völlig fremd“ und „ratlos“. Drei Stunden telefoniert er nachts mit seiner Frau, die sagt: „Du kannst jetzt nicht alles hinschmeißen, du musst deine Aufgabe im Land wahrnehmen.“
Heute nennt Wissing das „klar Schiff machen“. Erst gründet er eine Rechtsanwaltskanzlei, dann beginnt er mit der Aufbauarbeit der FDP in Rheinland-Pfalz, die Rainer Brüderle 28 Jahre lang geführt hat. Man muss diese Geschichte erzählen, um zu verstehen, wie Wissing tickt: Er macht viel mit sich selbst aus. Auf jeden Fall im Stillen, im Hintergrund. Als Guido Westerwelle seinerzeit die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers durchsetzte, gehörte Wissing zu einer kleinen Gruppe von Haushalts- und Finanzpolitikern, die sich dagegen positionierten. Im aktuellen Wahlkampf lässt er plakatieren, wofür er glaubhaft stehen kann: „Ein Mann, der den Haushalt macht.“
Knapp, aber stetig über der Fünfprozenthürde
Tradition hat die FDP in Rheinland-Pfalz, Brüderle hat ohne Berührungsängste mit der SPD unter Kurt Beck koaliert. Aber 2011 sackte die Partei von acht auf 4,2 Prozent ab und flog aus dem Landesparlament. Jetzt ist die FDP in den Umfragen seit langer Zeit mal wieder viele Monate lang knapp, aber stetig über der Fünfprozenthürde. Aber was heißt das schon in diesem Wahlkampf, der sowieso komplett vom Top-Thema Flüchtlinge überlagert ist.
Wissing erzählt, wie er vorgegangen ist, dass er sich bei allen Themen, die er nicht gut kannte, persönlich eingearbeitet habe. Was blieb ihm auch anderes übrig, es war außer ihm ja kaum noch jemand da. Vor allem beim Thema Bildung machte er sich auf. Der ansonsten ruhige, oft in Gedanken versunkene Wissing wirkt jetzt wie elektrisiert. Er hat Bücher gelesen, Studien gewälzt, die Hirnforschung entdeckt, und dann sei er selbst in Kitas gegangen und habe festgestellt: Alle würden nur über Betreuung reden, dabei gehe es doch um Bildung.
Wissing sagt ungewöhnlich pathetisch: „Wir müssen in der Bildung Avantgarde sein. Die Politik hält oft nur Schaufensterreden. Der Staat, das sage ich auch als überzeugter Liberaler, muss mehr tun. Mehr Verantwortung, mehr Geld.“
Bei der Bildung sind sich SPD, Grüne und FDP relativ nahe. Die größte Diskrepanz gibt es hier zum Wunschpartner CDU, aber Wissing lässt sich auf keine Koalitionsdiskussion ein: „Wir arbeiten nicht für Koalitionen, sondern für unsere Positionen.“ Allerdings betont Wissing schon auch, dass die CDU die Kitagebühren wieder einführen wolle, „wir ganz bestimmt nicht“. Auch bei der beruflichen Bildung ist die FDP nahe dran an dem, was auch die SPD will: mehr Anreize und die Gleichstellung des Meisters mit dem Master. Die Grünen fordern hier schon seit Jahren eine Art Meister-Bafög.
Noch ist alles offen
In einem Interview im Wahlkampf wird die Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) auf Wissing angesprochen, sie sagt einen Satz, den viele als abschätzig verstehen: „Ich kenne den Herrn Wissing, wie man den Herrn Wissing kennt.“ Könnte heißen: also gar nicht. Am Tag danach laufen sich Dreyer, FDP-Chef Christian Lindner und Volker Wissing zufällig in Mainz über den Weg. Dreyer stellt richtig, dass sie den Satz nicht böse gemeint habe, wer den dreien in diesem Moment zuhört, versteht: Die können schon miteinander. Ohnehin ist Mainz ein gutes Pflaster für die Ampel. Dreyer hatte sich noch als Sozialministerin sehr stark gemacht für ein solches Bündnis aus SPD, Grünen und FDP – das im Mainzer Stadtrat seit 2009 zusammenarbeitet.
Noch ist alles offen. Die CDU schrumpfte von mehr als 40 auf nunmehr 35 Prozent, die SPD hat mit ihr gleichgezogen, die Grünen liegen bei sieben Prozent. Wenn die AfD stärker wird als die Grünen, wird es selbst für eine Dreierkoalition schwer. Zittern muss die FDP sowieso. Volker Wissing aber hat für sich allein schon mal das Ziel definiert: Nicht Regieren sei das Wichtigste, sondern es zu schaffen, „dass die liberale Idee nicht untergeht“.