Pandemiebekämpfung in Deutschland und Frankreich: „Viele schlüpfen drunter durch“
Der Bürgermeister von Metz, François Grosdidier, ist gegen zentralstaatliche Gleichmacherei bei der Corona-Bekämpfung. Aber in Paris fand er kein Gehör.
François Grosdidier (60) ist Bürgermeister von Metz. Entgegen dem Landestrend gelang es dem Konservativen bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr, das Rathaus der ostfranzösischen Stadt zu erobern. In Deutschland steht das Département Moselle rund um Metz im Fokus, weil die Bundesregierung die Region im Februar wegen der Verbreitung der südafrikanischen Mutante als so genanntes Virusvariantengebiet einstufte. Mit Grosdidier sprach Albrecht Meier am Telefon.
Herr Grosdidier, die Stadt Metz, deren Bürgermeister Sie sind, liegt im Osten Frankreichs nicht weit vom Saarland und Rheinland-Pfalz. Was halten Sie von der Diskussion über den Föderalismus und die Pandemiebekämpfung bei den deutschen Nachbarn?
Deutschland und Frankreich haben völlig unterschiedliche Systeme. Wie Sie wissen, liegt die Entscheidungsgewalt in Frankreich in der Corona-Krise allein beim Zentralstaat. An dieser Grundregel ändert auch die Tatsache nichts, dass man den Bürgermeistern zwischenzeitlich einen kleinen Spielraum bei den Ausgangssperren gegeben hat. Ich bedaure den geringen Entscheidungsspielraum.
Sie haben zu Beginn des Jahres eine weitere Verschärfung bei den Ausgangsbeschränkungen für den Großraum Metz gefordert. Sie konnten dies aber nicht durchsetzen, weil Sie bei der Regierung in Paris kein Gehör fanden.
Präsident Macron wollte in dieser Phase der Pandemie zu Beginn des Jahres einen erneuten Lockdown unbedingt vermeiden. Das lag möglicherweise daran, dass die staatlichen Ausgaben für die Entschädigung bei der Kurzarbeit zu hoch gewesen wären. Selbst von einem zeitlichen Vorziehen der damals schon geltenden Ausgangssperre wollte er nichts wissen. Der französische Staat ist sehr auf das Gleichheitsprinzip ausgerichtet. Als ich für Metz und die Umgebung einen kurzen, harten Lockdown forderte, wurde ich von Journalisten gefragt, ob dies von der Bevölkerung überhaupt eingehalten werden könne. Schließlich würden ja anderswo im Land lockerere Regeln gelten. Aber es ging hier doch gar nicht um einen administrativen Willkürakt, sondern um eine logische Folge des Infektionsgeschehens.
Zentralstaatliche Regeln, die alle Regionen über einen Kamm scheren, bringen nichts?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel für die Grenzen zentralstaatlicher Regelungen. Im vergangenen Herbst wurde uns eine Ausgangssperre ab 18 Uhr aufgezwungen. Ich war damals, in der kälteren Jahreszeit, dagegen. Denn das führte ja nur dazu, dass sich vor 18 Uhr alle Menschen gleichzeitig in den Geschäften und den öffentlichen Verkehrsmitteln drängelten. Aber man hat mir gesagt, dass die Regelung im französischen Überseedépartement Guyana funktioniert habe. Allerdings gab es in Guyana am Nachmittag in dieser Jahreszeit sehr viel mehr Kontakte zwischen einzelnen Personen als bei uns.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Am Ende musste Macron im vergangenen Monat doch einen landesweiten Lockdown verhängen. Es ist inzwischen der dritte Shutdown seit Beginn der Pandemie. Hätte er sich nicht schon Ende Januar zu diesem Schritt durchringen sollen?
Auf jeden Fall. Er hätte sogar einen landesweiten Lockdown vermeiden können, wenn er lokal begrenzte Verschärfungen akzeptiert hätte. Macron hätte früher handeln müssen. Er hätte schneller zu Verschärfungen kommen müssen, die auf das jeweilige Pandemiegeschehen zugeschnitten sind. Jetzt haben wir einen landesweiten Lockdown, der auch für Regionen wie die Bretagne gilt, obwohl dies angesichts der dortigen Infektionszahlen gar nicht nötig ist. Unser Augenmerk lag immer auf der Zahl der Intensivpatienten. Inzwischen kommen die Intensivstationen im Großraum Paris und in anderen Regionen ans Limit.
Das Ende der Pandemie ist also auch in Frankreich noch nicht in Sicht?
Im ersten Lockdown vor einem Jahr haben wir es wirklich geschafft, das Virus zu bremsen. Damals wurden nicht nur die Schulen geschlossen. Auch die Leute, die nicht unbedingt zur Arbeit fahren mussten, blieben tatsächlich zu Hause. Jetzt schaffen wir es im dritten Lockdown gerade einmal, eine Trendwende hinzubekommen, mehr nicht.
[„Wir müssen deutlich unter 100.000 Toten bleiben“. Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Karl Lauterbach. T+]
Apropos strikte Regeln: Metz ist die Hauptstadt des Départements Moselle. Ende Februar stufte die Bundesregierung Ihre Region als so genanntes Virusvariantengebiet ein, weil dort vermehrt die südafrikanische Mutante des Erregers aufgetaucht war. Anschließend kritisierten Sie den Schritt. Warum?
Die Entscheidung auf deutscher Seite führte dazu, dass Pendler aus Frankreich dreimal pro Woche einen Corona-Test vorlegen mussten. Das war zuviel.
Auf dem Papier sind die Regeln in Frankreich – wie die landesweite Ausgangssperre – strikter als in Deutschland. In der Praxis werden die Regeln in Deutschland aber eher eingehalten als in Frankreich. Täuscht der Eindruck?
Das stimmt. In Frankreich ist es stets so, dass zwar strikte Regeln formuliert werden, aber gleichzeitig ein hohes Maß an Toleranz herrscht. Man könnte auch sagen: Die Latte wird zwar hoch gelegt, aber viele schlüpfen drunter durch. Ich bin dafür, dass man sinnvolle Regeln beschließt, die dann aber auch strikt eingehalten werden müssen. Das liegt vielleicht daran, dass ich aus dem Osten Frankreichs komme.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität