Nach der Flutkatastrophe: „Viele Menschen wissen nicht, in welcher Gefahr sie leben“
Kommunen sollten verpflichtet werden, Hochwasser-Gefahrenkarten zu erstellen, fordert der Umweltwissenschaftler Wolfgang Günthert im Interview.
Bei der Flutkatastrophe sind 170 Menschen gestorben, die Schäden gehen in Milliardenhöhe. Hat der Katastrophenschutz in Deutschland versagt?
Nein. Katastrophenschutz beginnt ja ohnehin erst dann, wenn es eigentlich zu spät ist. Viel wichtiger ist, dass wir vorbeugende Maßnahmen treffen, damit es nicht zum Schlimmsten kommt. Auch da macht das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe schon einiges.
Was denn?
Die haben unheimlich gute Informationsmaterialien. Das Problem ist nur: Die liest kein Mensch. Das Bundesamt empfiehlt auch, eine bestimmte Menge Wasser oder Nahrungsmittel zu Hause zu lagern. Das macht nur niemand, weil alle denken, sie könnten rund um die Uhr im Supermarkt einkaufen. Aber wenn die Katastrophe eintritt, ist es zu spät. Genauso ist es beim Hochwasser. Viele Menschen wissen nicht, in welcher Gefahr sie leben.
Sie meinen, auch wenn man nicht an einem Fluss lebt, sondern an einem Bach, muss einem klar sein, dass Überschwemmungen möglich sind?
Nicht nur dann. Starkregen kann grundsätzlich jeden Ort in Deutschland treffen. Jedem sollte bewusst sein, dass er gefährdet ist. Manche mehr, manche etwas weniger. Es hilft deshalb auch niemandem, wenn die Politik jetzt nur darüber diskutiert, wie man die Bevölkerung am besten warnen sollte und ob der Katastrophenschutz über genügend Sirenen verfügt
Aber hätte es nicht viele Menschenleben retten können, wenn besser gewarnt worden wäre?
Natürlich helfen Warnungen. Es ist auch hilfreich, wenn die Feuerwehr herumfährt und Lautsprecherdurchsagen macht. Aber viel wichtiger wäre, die Leute vorher zu informieren: Ihr seid in einer besonders gefährdeten Situation. Und zwar am besten, wenn es nicht regnet und sie in Ruhe schauen können, was es für ihr Haus bedeuten würde, wenn das Wasser zum Beispiel drei Meter hochsteht. Ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen, die jetzt gefährdet waren, sich ihrer Situation vorher gar nicht bewusst waren.
Kann man vorher überhaupt wissen, wo es bei Extremregen besonders gefährlich wird?
Die Fachleute wissen das, man kann das auch berechnen. Das geht relativ einfach: Man nimmt eine digitale Geländekarte und simuliert dort einen Jahrhundertregen. Danach weiß man ziemlich genau, wo das Wasser entlang fließt und wo es wie hochstehen würde. Solche Karten kann man in verschiedenen Blaustufen einfärben. Jede Gemeinde sollte verpflichtet werden, Hochwasser-Gefahrenkarten zu erstellen und zu veröffentlichen.
Aber was folgt aus diesem Wissen?
Darauf basierend kann ich eine Risikokarte machen. Wenn eine Gemeinde sieht, dass ein Kindergarten oder ein Krankenhaus stark gefährdet ist, muss sie etwas unternehmen. Es ist eine Katastrophe, wenn mitten in einem Hochwasser ein Krankenhaus evakuiert werden muss. Man muss solche Gebäude von vornherein besser schützen oder im Zweifelsfall auch an einen anderen Standort verlegen. Wenn eine Industriehalle überflutet, gehen Maschinen kaputt und es kostet Geld. Aber in einem Krankenhaus oder einem Kindergarten geht es um Menschenleben.
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Gibt es Orte, die aus Ihrer Sicht besonders gefährdet sind?
Man sollte sich zum Beispiel nicht in falscher Sicherheit wiegen, weil man hinter einem Damm entlang eines Flusses oder hinter einem Staudamm wohnt. Das ist eine Höchstgefahrenzone. Wenn der Damm überströmt wird, bricht er zusammen. Das liegt daran, dass er nur geschüttet ist. Wenn er kaputt geht, überfluten tausende Kubikmeter von Wasser alles auf einmal und es geht um Leben und Tod. Anders sieht es bei einer Staumauer aus, die hält normalerweise einiges aus.
Welche Gefahren werden noch unterschätzt?
Viele Gemeinden verlassen sich fälschlicherweise darauf, dass die Kanalisation das Wasser aufnimmt. Aber auch die kann schnell überfluten. Das ist ja das teuflische: Wenn es so stark regnet, wird auch viel Schmutz mitgespült. Der Dreck macht die Kanaleinläufe zu und verstopft die Kanäle.
Sind denn aus Ihrer Erfahrung die Gemeinden besser vorbereitet, die schon mal eine Flut oder ein Hochwasser erlebt haben?
Leider gibt es eine weit verbreitete Hochwasserdemenz. Wenn die Katastrophe vorbei ist, wird oft doch nicht viel geändert. Dabei sollte die Gefahrenanalyse am besten gleich morgen anfangen, und zwar überall in Deutschland. Die Menschen sollten besser darüber aufgeklärt werden, was sie im schlimmsten Fall erwartet.
Wolfgang Günthert war Professor für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik an der Universität der Bundeswehr München. Er ist Vorsitzender des bayerischen Landesverbands der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA), sowie Vorsitzender des Deutschen Expertenrats für Unwelttechnologie und Infrastruktur.
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