SPD-MdB Schwabe zum linken Führungswechsel: "Viele konnten sich hinter Gregor Gysi verstecken"
"In der SPD können alle nachzählen", sagt ihr Bundestagsabgeordneter Frank Schwabe. Aus seiner Sicht steigen mit dem Rückzug von Gregor Gysi die Chancen für Rot-Rot-Grün im Bund.
Herr Schwabe, Gregor Gysi tritt im Herbst als Fraktionschef der Linken ab. War’s das dann mit Rot-Rot-Grün im Bund?
Nein, überhaupt nicht. So ein Projekt steht und fällt ja nicht mit einer Person. Es gibt die Chance, dass sich die Linkspartei jetzt noch einmal vergewissern kann, ob sie politisch am Ende Regierungsverantwortung mitgestalten will.
Welche Defizite sehen Sie gegenwärtig bei der Linkspartei?
Es bedarf auf allen Seiten eines gewissen Realitätssinns. Wenn man Deutschland nachhaltig verändern will, sozialpolitisch, gesellschaftspolitisch, umweltpolitisch, dann geht das nur mit einem Reformbündnis. Zu dem gehören dann, wenn es keine anderen rechnerischen Mehrheiten gibt, SPD, Grüne und Linkspartei. Es geht um Inhalte. Aber die Linkspartei muss auch regieren wollen. Und dazu gehören Kompromisse. Das muss sie wissen und akzeptieren.
Gysi will dafür streiten, dass die Linke regierungsfähig wird. Wird er sich in seiner neuen Rolle stärker dafür engagieren als ohne das Amt des Fraktionsvorsitzenden?
Er hat ja gesagt, dass er sich nicht mehr in die Fraktionsarbeit einmischen will. Dafür kann er jetzt grundlegende Überlegungen sogar stärker betonen. Und: Es gibt die Gelegenheit, dass die Linkspartei wegkommt von ihren bisherigen reflexhaften Debatten über das Mitregieren. Vielleicht kann also nun sogar besser über die künftige Richtung der Linkspartei entschieden werden als bisher. Wichtige Personen in der Linken kommen in eine ganz neue Verantwortung.
Sie spielen auf Sahra Wagenknecht an, die voraussichtlich die Fraktion künftig gemeinsam mit Dietmar Bartsch führen wird.
Nicht nur auf sie. Viele konnten sich bisher ganz gut hinter Gregor Gysi verstecken. Jetzt muss der Teil, der bisher skeptisch ist gegenüber Regierungsbeteiligungen, erklären, wie man denn sonst politische Inhalte in Deutschland durchsetzen will.
Gysi sagt, die größten Differenzen sieht er gar nicht mehr in der Außenpolitik, sondern in der Steuer- und Sozialpolitik. Teilen Sie diese Einschätzung?
Am Ende gibt es in allen Fragen die Möglichkeit, Kompromisse zu schließen. Die Übereinstimmungen zwischen den Linken, den Grünen und der SPD sind viel größer als zum Beispiel zwischen der SPD und der CDU.
Trotzdem: Einflussreiche Leute in Ihrer Partei bekommen, salopp gesagt, Pickel, wenn sie sich vorstellen, dass Sahra Wagenknecht nun die Macht in der Linken übernimmt. Verhindert sie eine Annäherung von Linken, SPD und Grünen?
Ich kenne auch viele, die Pickel bekommen, wenn sie mit einem Fraktionsvorsitzenden Kauder im Bundestag zusammenarbeiten müssen. Es geht nicht um einzelne Personen. Aber richtig ist: Frau Wagenknecht spielt eine wichtige Rolle. Es wird bedeutsam sein, in welche Richtung sie sich entwickelt.
Das ist also noch offen?
Frau Wagenknecht ist eine kluge Frau. Sie wird wissen, dass in einer angekündigten Opposition auf Ewigkeit keine Zukunftsperspektive für irgendeine Partei in Deutschland liegt.
Bei Ihrem Parteichef Sigmar Gabriel hat man den Eindruck, er hat die rot-rot-grüne Option abgeschrieben. Oder täuscht das?
Ich habe mir in den letzten Jahren abgewöhnt, Wasserstandsmeldungen abzugeben zur Frage, wer sich gerade wie öffnet oder nicht. In der SPD können alle nachzählen. Also sollten alle wissen, wie es denn gelingen könnte, wieder den Regierungschef zu stellen. „r2g“ ist und bleibt für die Sozialdemokratie eine nachvollziehbare Option.
Laut Gysi könnte die SPD morgen schon den Kanzler stellen, wenn sie nur wollte. Will Gabriel gar nicht?
Wir müssen verlässliche Politik machen. Jetzt ist eine Regierung gebildet. Die soll auch vier Jahre halten. Ich kenne die Linkspartei ganz gut. Mit der knappen rot-rot-grünen Mehrheit und den Abgeordneten, die die Linke jetzt im Bundestag hat, würde es vermutlich nicht gehen.
Aber 2017 kann alles ganz anders aussehen?
Die Linkspartei wird sich gut überlegen, wen sie für den nächsten Bundestag aufstellt.
Seit Dezember regiert in Thüringen eine rot-rot-grüne Regierung. Was zeigt dieses Modell für den Bund?
Es geht in Thüringen um andere Themen als im Bund. Aber der Mechanismus des Regierens führt durchaus dazu, dass man eine Notwendigkeit zur Einigung hat. In Erfurt klappt das ganz gut. Deshalb sollte man auch nicht zu pessimistisch sein. Eine solche Regierungskonstellation kann im konkreten Regierungsalltag gut funktionieren.
Frank Schwabe (44) ist SPD-Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen. Er ist einer der Sprecher der Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion, die gemeinsam mit Politikern von Linkspartei und Grünen Möglichkeiten für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene auslotet. Das Gespräch führte Matthias Meisner.