Spanien öffnet nach sechseinhalb Monaten: Viel Party und Verwirrung zum Ende des Corona-Notstands
Spanien feiert das Ende der meisten Corona-Maßnahmen. Doch die Frage, was künftig überhaupt noch einschränkt werden darf, sorgt für hitzige Debatten.
Zigtausende Menschen haben in Spanien die Nacht zum Tag gemacht, um das Ende des Corona-Notstandes nach sechseinhalb Monaten gebührend zu feiern. Auf der überfüllten Puerta del Sol dachten die meisten gegen zwei Uhr am Sonntagmorgen noch gar nicht daran, ins Bett zu gehen.
„Alkohol, Alkohol. Wir sind hier, um uns zu betrinken“, sang eine Gruppe freudetrunkener und wohl auch leicht beschwipster junger Leute auf dem bekannten Platz im Herzen Madrids. Ähnliche Szenen wie in der Hauptstadt spielten sich in Sevilla, Barcelona und vielen anderen Städten des Landes ab.
Die meisten der teils sehr strengen Beschränkungen des öffentlichen Lebens in der Corona-Pandemie waren im einstigen Infektions-Hotspot der EU um Mitternacht ausgelaufen. Dazu gehörte die bisher für das ganze Land zwingend vorgeschriebene nächtliche Ausgehsperre, die nur wenige Regionen noch eine Zeit lang beibehalten wollen. Zudem wurde unter anderem die Abriegelung zahlreicher Regionen beendet, Ein- oder Ausreisen sind nun auch ohne triftigen Grund wieder erlaubt.
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Die Bewohner der Hauptstadt Madrid dürfen zum Beispiel seit Sonntag wieder ans Meer nach Andalusien, Valencia oder Katalonien. Und wichtiger noch für viele: Endlich darf man Menschen wieder treffen und in die Arme schließen, die man ein halbes Jahr lang nur via Whatsapp, Skype oder Zoom sprechen konnte.
„Das Warten hat endlich ein Ende. Endlich kann ich meinen Sohn, meine Schwiegertochter und meine Enkelkinder in Cádiz besuchen“, sagte die bereits vollständig geimpfte Witwe Asunción im Ausgehviertel Malasaña. Die 82-Jährige hält sich die Ohren zu, als einige Jungs neben ihr Böller abfeuern und „Freiheit, Freiheit!“ skandieren.
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Die linke Zentralregierung mahnt unterdessen weiter zur Vorsicht. „Wir müssen alle vorsichtig bleiben, die Pandemie ist noch nicht zu Ende“, sagte Vize-Ministerpräsidentin Carmen Calvo am Samstag am Rande einer Veranstaltung in Madrid. Es sei aber nun an der Zeit, „an die Umarmungen, an die Unternehmen und an die Arbeitsplätze zu denken“, betonte die sozialistische Politikerin.
Die verschiedenen Regionen des Landes entscheiden nun je nach Lage und im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten, welche Maßnahmen sie aufrechterhalten oder neu beschließen wollen, damit das Virus nicht wieder außer Kontrolle gerät. Auf den Balearen gilt etwa weiter eine nächtliche Ausgehsperre. Die Innenräume von Bars und Restaurants müssen dort noch mindestens zwei Wochen geschlossen bleiben, was viele Gastwirte der Mittelmeer-Inseln verärgert.
Mehrere Gastronomieverbände riefen auf Mallorca zum „Aufstand“ auf und forderten, ab Montag aus Protest auch in Innenräumen Gäste zu bewirten. Regionalpräsidentin Francina Armengol, die für die Einreise auch von Spaniern weiter einen PCR-Test verlangt, wird im Netz scharf attackiert - „Unterdrückung“ und „verfassungswidrige Maßnahmen“ sind noch die freundlicheren Vorwürfe, mit denen sie sich dort konfrontiert sieht. José Noguera, Chef eines Restaurants nördlich von Palma sagte der Zeitung „El País“: „Die nächtliche Ausgehsperre bringt uns um.“
Viel Verwirrung um Maßnahmen ohne Corona-Notstand
Die Frage, welche Maßnahmen ohne Notstand überhaupt noch rechtlich zulässig sind, sorgt in Spanien seit Tagen für hitzige Debatten und viel Verwirrung. Während zum Beispiel die Oberlandesgerichte der Balearen und von Valencia die Aufrechterhaltung der nächtlichen Ausgehsperre guthießen, wurde diese Maßnahme von der baskischen Justiz als verfassungswidrig abgelehnt. Die Kanaren und die Provinz Navarra, die die Bewegungsfreiheit nachts auch weiterhin einschränken wollen, warteten am Sonntag noch auf die Urteile ihrer jeweiligen obersten Richter.
Zeitungen wie „El Mundo“ und „La Razón“, ebenso die Opposition und auch einige Richter sprechen von „Chaos“ und machen die linke Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez verantwortlich. Oppositionschef Pablo Casado warf Sánchez vor, er habe sich aus der Verantwortung gestohlen, keine einzige Leitlinie für die Zeit nach dem Notstand beschlossen und die Regionen somit allein gelassen.
Spanien hatte zeitweilig zu den Ländern mit den höchsten Infektionszahlen in Europa gehört. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist inzwischen aber deutlich niedriger als etwa in Deutschland, zuletzt betrug sie nur noch 84 Ansteckungen pro 100.000 Einwohner. In einigen Urlaubsregionen wie Valencia (ca. 16) und den Balearen (ca. 26) mit Mallorca ist die Situation sogar noch entspannter. (dpa)