Flüchtlingspolitik: Viel geschafft
Vor zwei Jahren ließt die Regierung Geflüchtete aus Ungarn ins Land. Seither hat sich gezeigt: Deutschland hat sich nicht abgeschafft, die Gesellschaft hat ihre Stärken erfahren.
Martin Patzelt steht auch zwei Jahre nach dem 4. September 2015 zur sprichwörtlich gewordenen deutschen Willkommenskultur. Auch wenn ihn das den Wiedereinzug in den Bundestag kosten könnte. Der Tag, oder besser die Nacht des 4. September vor zwei Jahren gilt als Wendepunkt in der deutschen Flüchtlingspolitik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entschied damals, Flüchtlinge aus Ungarn in Deutschland aufzunehmen. Eine humanitäre Geste, gedacht für wenige tausend Menschen, die am Budapester Bahnhof festsaßen oder sich bereits auf den Weg zur österreichischen und deutschen Grenze gemacht hatten. Merkel besprach sich an jenem Abend mit Kanzleramtschef Peter Altmaier, Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Fast 900.000 Menschen kamen
CSU-Chef Horst Seehofer, der später einer der schärfsten Kritiker der Entscheidung wurde, hatte sie nicht erreicht. Auch andere in der Union distanzierten sich später von ihrer Kanzlerin und warfen ihr vor, Deutschland ins Chaos gestürzt zu haben.
Es blieb ja nicht bei den Flüchtlingen aus Ungarn, die am Münchner Hauptbahnhof begeistert empfangen wurden. Im ganzen Jahr 2015 kamen 890.000 Menschen nach Deutschland – 90.000 mehr, als die Regierung zunächst erwartet hatte.
Martin Patzelt, CDU-Abgeordneter aus Frankfurt(Oder), gehörte nicht zu den Abtrünnigen seiner Partei. „Es stimmt ja nicht, dass Frau Merkel die Grenze geöffnet hat. Unsere Grenzen waren immer offen, und wer einen Asylantrag stellen wollte, konnte das tun.“ Im Übrigen, sagt er, sei es richtig gewesen, dass Deutschland den Kriegsflüchtlingen Zuflucht gewährt habe. Der CDU-Politiker nahm sogar selbst welche auf. Ein junger Mann aus Eritrea lebt noch immer in der Familie, derzeit außerdem ein Student aus der Ukraine.
Seine Haltung könnte Patzelt jetzt teuer zu stehen kommen. Die AfD hat auch in seiner Region starken Zulauf. In seinem ostbrandenburgischen Wahlkreis tritt ausgerechnet deren Spitzenkandidat Alexander Gauland an. „Ich werde sicher Stimmen an die AfD verlieren“, erklärt Patzelt, der 2013 mit 33,9 Prozent der Stimmen klar vorn lag. Dass Gauland das Direktmandat gewinnen könnte, glaubt er zwar nicht, eher sieht er den Herausforderer von der Linken als lachenden Dritten an sich vorbeiziehen.
Gespaltenes Land
Vor zwei Jahren war das Land gespalten. Es gab die vielen, die klatschten und mit anpackten, 2016 gab es aber auch 3500 Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte. Heute leben in Großstädten wie Berlin noch Tausende in Notunterkünften und immer wieder fallen einzelne junge Zuwanderer durch Gewalttaten auf. Inzwischen kommen deutlich weniger Flüchtlinge nach. Auch das alltägliche Leben hat sich wieder weitgehend normalisiert.
Das bestätigt auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Die Verwaltungen hätten in der Flüchtlingskrise Unglaubliches geleistet, sagt er. „Nicht alles war perfekt, und es sind auch Fehler gemacht worden. Ich glaube aber, dass kein anderes Land in Europa das so gut hinbekommen hätte.“ Oft hätten Gemeinden am Freitag nicht gewusst, ob am Samstag 50 oder 500 Menschen kommen würden. Dank des überwältigenden Einsatzes von Bürgern habe man die Situation letztlich aber bewältigt. Landsbergs Fazit: „Die Krise hat uns gezeigt, wie stark der Zusammenhalt in der Gesellschaft ist.“
Integration steht erst am Anfang
Ende gut alles gut? Sicher nicht. Die Integration der Flüchtlinge steht erst am Anfang. „Das wird Jahrzehnte dauern“, sagt Landsberg. Hier müsse die Politik einen langen Atem haben und auch die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Etwa für den Wohnungsbau.
Sven Krüger (SPD), Bürgermeister der sächsischen Stadt Freiberg, hat bereits eine Rechnung an das Kanzleramt geschickt. 2000 Flüchtlinge leben derzeit in seiner Stadt, rund 736000 Euro sind dadurch aufgelaufen, haben Krügers Mitarbeiter ausgerechnet. „Ich bitte um Ausgleich der Kosten“, schrieb Krüger im März an Angela Merkel. Auf eine Antwort wartet er bis heute. „Dennoch haben wir es geschafft, den sozialen Frieden hier weitgehend zu erhalten“, sagt er.
Tatsächlich gab es auch in Freiberg Proteste, als im Herbst 2015 die ersten Flüchtlinge mit einem Sonderzug ankamen. Die meisten Demonstranten, so Krüger, seien jedoch von außerhalb angereist. Damit die Stimmung nicht kippt, veranstaltete Krüger Bürgerveranstaltungen, engagierte einen Flüchtlingskoordinator, richtete eine mehrsprachige Kita ein und vervielfachte die Zahl die Deutschkurse. Die Stadt stellte außerdem acht zusätzliche Polizisten für die Stadtpolizei ein. „Dafür mussten wir die Gewerbe- und Grundsteuern erhöhen“, erläutert Krüger. Die Bürger hätten das akzeptiert. „Das zeigt, dass es auch in Sachsen nicht nur Ablehnung gibt.“
Schärfere Asylgesetze
Städtevertreter Landsberg ist überzeugt, dass die meisten Deutschen die Entscheidung von Angela Merkel vom 4. September 2015 nach wie vor für richtig halten. „Doch sie sagen auch: Es darf sich nicht wiederholen.“ Schärfere Asylgesetze und Vereinbarungen mit Transitstaaten wie die Türkei, Libyen oder Niger sollen das sicherstellen. CDU-Politiker Martin Patzelt warnt Politik und Gesellschaft aber davor, in alte Verhaltensmuster zu verfallen, sprich auf Abschottung zu setzen, „nach dem Motto: Rette sich, wer kann.“ Deutschland müsse sich viel intensiver als bisher dafür einsetzen, Fluchtursachen zu bekämpfen, sagt er. „Andernfalls werden wir noch viel größere Flüchtlingsbewegungen erleben.“