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Viele tausend Menschen halfen 2015 den Flüchtlingen.
© Michael Kappeler/dpa

Ehrenamtliche Flüchtlingshilfe: Die Empathie hat sich verändert

Es gibt noch immer viele Menschen, die den Flüchtlingen helfen. Aber über Bürgersinn wird im Bundestagswahlkampf viel zu wenig gesprochen. Ein Kommentar.

Das ist der Satz, den es ohne Empathie nicht gegeben hätte. Von der Kanzlerin, die damit für sie ganz ungewohnt ins ungeschützte politische Feld ging. Drei Worte, die vor allem aber jene Empathiewelle widerspiegelten, die Ende August 2015 überall bei der Ankunft der Flüchtlinge zu beobachten war. Auf dem Münchener Hauptbahnhof und an vielen anderen Orten. Wir schaffen das – das waren ja nicht nur Angela Merkels Worte, davon war eine Mehrheit der Deutschen überzeugt. Ein fernes Sommermärchen der Willkommenskultur.

Im bitteren Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer über Obergrenzen, bei dem er Merkel gar der „Herrschaft des Unrechts“ beschuldigte, hat Merkel sich seitdem persönlich von jenem Satz verabschiedet. Zwei Jahre danach sind auch die Asylgesetze in einer vor der Flüchtlingskrise unvorstellbaren Weise verschärft worden, mit Grenzkontrollen und einem Verbot des Familiennachzugs.

Verändertes Land

Empathie, eine Torheit des Herzens also? So mag es für Zyniker scheinen. Dennoch hat der Satz, in dem sich Verantwortungsgefühl mit dem Vertrauen in die Leistungsfähigkeit einer erfolgreichen Industrienation mischt, die Bundesrepublik verändert. Aufgeschienen ist in jenen Tagen die helle Seite einer Gesellschaft, die nicht abseits steht, sondern zupackt, wo es nötig ist. Die vielen tausend Menschen, die überall halfen, den Neuankömmlingen das Eingewöhnen zu erleichtern mit Kleidung, Sprache und Aufmerksamkeit, gehören zu den stillen Helden.

Aber die Empathie hat sich zwangsläufig verändert. Die Zuwendung des Augenblicks, geboren aus dem sichtbaren Leid, hat sich gewandelt. Auch sehr viele Menschen, die persönlich mitgeholfen haben, dass traumatisierte Menschen wieder Hoffnung fassen konnten, erkennen im Rückblick die Überforderung durch die schiere Zahl von Hilfesuchenden an. Die vorbehaltlose Hilfsbereitschaft von damals, die einer Schar von bemitleidenswerten Unbekannten galt, ist geschwunden. Je mehr sich aber eine Masse auflöst in Individuen, um so stärker konnten sich persönliche Bindungen entwickeln. Nur Hilfsbereitschaft, die ein Gesicht hat, besitzt ein belastbares Fundament; ansonsten droht emotionale Erschöpfung.

Die Menschen sind weiter als die Politik

Deswegen gibt es, trotz des Kölner Silvester-Traumas oder der Terrorattacken von Asylbewerbern, immer noch in allen Städten viele Menschen, die sich engagieren. Die Aktionstage „Gemeinsame Sache“, zu denen derzeit der Tagesspiegel aufruft, zeigen die beeindruckende Zahl von Initiativen, die den geflüchteten Menschen die Integration erleichtern. Nicht nur diese Demonstration des guten Bürgersinns macht deutlich, dass die Menschen durchaus weiter sind als die Politik. Das Vertrauen der Kanzlerin, die in diesem „Wir schaffen das“ zum Ausdruck kam, war ja berechtigt. Es ist dies dichte Geflecht eines ehrenamtlichen Engagements, das vom Verantwortungsgefühl der Menschen zeugt – von dem sie sich auch durch rechte Hetze und Verunglimpfung nicht abbringen lassen. Gewürdigt, außer mit noblen Worten zu besonderen Anlässen, wird dieser Einsatz kaum.

Auch im Bundestagswahlkampf wird kaum thematisiert, wie viel uns dieses Engagement, dieses immaterielle Vermögen einer reifen Bürgergesellschaft, wert sein sollte. Diese Bundesrepublik ist heute eine andere als 2015; aber zum Vermächtnis jenes Sommers gehört die spontane Hilfsbereitschaft eines ganzen Volkes. Das bleibt. Und macht Mut.

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