Brexit-Pläne der Regierung in London: Very British
Premierministerin Theresa May will sich nicht in die Karten schauen lassen. Aber für die künftigen Beziehungen zur EU soll es ein ganz eigenes britisches Modell geben.
„Brexit bedeutet Brexit“ – was ihre vage, aber schon klassische Formel bedeuten kann, hat die britische Premierministerin Theresa May am vergangenen Wochenende beim G-20-Treffen in China erfahren müssen: Brexit heißt, dass man draußen ist. Die japanische Regierung übergab May ein 15-Seiten-Papier, in dem die wirtschaftlichen Nachteile eines EU-Austritts aus der Sicht Tokios nüchtern aufgelistet sind. Sie könnten eine Abkehr japanischer Firmen von der Insel zur Folge haben. US-Präsident Barack Obama machte klar, dass London in der Tat am Ende der Schlange stehe, was Handelsgespräche mit Washington angeht. Zum Gespräch Obamas mit den EU-Oberen wurde May gar nicht erst hinzugebeten. Auf dem Schlussfoto steht sie weit draußen am linken Rand und in der zweiten Reihe. Da war das Angebot des australischen Premiers Malcolm Turnbull, man werde zügig einen Freihandelsvertrag abschließen, nur eine kleine Erleichterung – zumal die Australier gleichzeitig Personalhilfe anboten, denn das neue britische Handelsministerium ist nur knapp besetzt.
Was May wirklich will, wurde auch am Mittwoch bei ihrem ersten Auftritt im Parlament nach der Sommerpause nicht wirklich deutlich. In der Fragestunde wies eine Labour-Abgeordnete zwar spitz darauf hin, dass die Regierungschefin mittlerweile allen drei führenden Brexit-Hardliner in ihrem Kabinett in zentralen Fragen widersprochen habe. Das Punkte-System bei der Zuwanderung, nicht zuletzt von Außenminister Boris Johnson ins Gespräch gebracht, lehnt sie ab – weil dadurch die angestrebte Kontrolle der Zuwanderung aus EU-Ländern nicht gelinge. Der Austritt aus der Europäischen Zollunion (der alle EU-Mitglieder plus Länder wie die Schweiz und Norwegen und auch die Türkei angehören), angekündigt vom Handelsminister Liam Fox – laut May keine Option. Und als Brexit-Minister David Davis am Montag im Parlament eine weitere Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt als „unwahrscheinlich“ bezeichnete, ließ May das dementieren. Das sei nicht Regierungslinie. Doch was sie tatsächlich anstrebt, ist undeutlich.
Weder Norwegen noch Schweiz
Allerdings betonte sie am Mittwoch, dass sie weder das Norwegen-Modell noch die Schweizer Lösung der Anbindung an die EU wolle. Beide Länder sind wirtschaftlich praktisch Teil der EU, sie akzeptieren die Freizügigkeit von Personen und zahlen in EU-Budgets ein, sind aber ohne politische Mitsprache. Norwegen ist als Teil des Europäischen Wirtschaftsraums eng in den Binnenmarkt eingebunden, die Schweiz über mehr als hundert Einzelverträge. Für sie, sagte May, gehe es darum, „unser eigenes britisches Modell zu entwickeln“. Von Abgeordneten der schottischen Nationalpartei und der Liberaldemokraten mehrfach gefragt, ob Großbritannien Mitglied im Binnenmarkt bleibe oder nicht, antwortete sie ausweichend. Sie strebe den „richtigen Deal“ in einer „neuen Beziehung“ an. Dazu gehöre „Kontrolle“ der Zuwanderung aus der EU.
"Kein laufenden Kommentare"
Konkretere Festlegungen soll es vorerst nicht geben. May will weder die britische Öffentlichkeit noch die EU-Partner am Klärungsprozess in ihrem Kabinett teilhaben lassen. „Wir werden unsere Karten nicht vorzeitig aufdecken“, sagte sie, „und wir werden keine laufenden Kommentare abgeben über alle Drehungen und Wendungen in den Verhandlungen.“ Strebt die britische Premierministerin am Ende gar Geheimgespräche mit der EU an? Wie bei TTIP? Ihre Äußerungen lassen immerhin den Schluss zu, dass sie die Radikallösung, die man auf der europafeindlichen Tory-Rechten favorisiert, nicht wünscht: eine komplette Abnabelung vom EU-Binnenmarkt und eine lockere Bindung zur EU über einen reinen Freihandelsvertrag, ähnlich wie Ceta. Und auch keine hochgezogenen Grenzen zur EU. Das dürften viele Vertreter der einzelnen Industrie- und Dienstleistungsbranchen genauso sehen, mit denen die Regierung derzeit mögliche Brexit-Szenarien durchspielt, um die Auswirkungen auf die britische Wirtschaft zu analysieren. Dass May im Parlament betonte, Großbritannien wolle der „globale Anführer beim Freihandel“ sein, dürfte eher Worthonig für die Brexit-Hardliner gewesen sein, die May im Verdacht haben, einen weichen Austritt verhandeln zu wollen.
Labour-Chef Jeremy Corbyn warf May „einen außergewöhnlichen Mangel an Planung und Vorbereitung“ vor. Doch wird er nicht der harte Gegner der Premierministerin sein, den sich viele Labour-Abgeordnete (allen voran sein Widersacher Owen Smith), die schottischen Nationalisten und die Liberaldemokraten dringend wünschen. Wie es aus der Labour-Zentrale am Mittwoch hieß, werde Corbyn die Regierung nicht zur Vollmitgliedschaft im Binnenmarkt drängen.