Rohingya-Muslime aus Bangladesch: Vertrieben und geflohen ins Chaos
40.000 Rohingya-Muslime in Indien bangen um ihre Zukunft – die Regierung unterstellt „Terrorgefahr". In Bangladesch leben 400.000 in improvisierten Flüchtlingscamps.
„Sie fackelten unser Haus ab und zwangen uns, zum Buddhismus zu konvertieren“, erinnert sich die 21-jährige Sabikun Nahar. „Wir hatten solche Angst, dass wir nachts nicht schlafen konnten.“ Nahar ist eine von etwa 70 Rohingya-Flüchtlingen, die in einem Camp in Shaheen Bagh in Süd-Delhi leben. Die Unterkünfte sind aus nicht mehr als Sperrholzstücken, Pappe und Decken zusammengeflickt, sanitäre Einrichtungen fehlen. Nahar floh 2012 aus ihrer Heimat, der Rakhine-Provinz in Myanmar. „Ich will nicht mein ganzes Leben als Flüchtling verbringen“, sagt Nahar indischen Medien.
Rund 40.000 Rohingya leben zur Zeit in Indien. Der Großteil von ihnen ist seit Jahren hier. Doch nun plant Indiens hindunationalistische Regierung, die mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge zu deportieren. Unklar ist allerdings, wohin. Myanmar erkennt die Rohingya nicht als Staatsbürger an.
„Ich bin glücklich hier und ich gehe gern zur Schule“, sagt der 12-jährige Noorul. Das Militär in seiner Heimat töte Kinder, sagt er, daher wolle er auf keinen Fall zurück: „Ich bitte die Regierung, uns nicht zurückzuschicken“. Der 35-jährige Abdul Rahim, der im Camp einen kleinen Laden betreibt, ist schockiert: „Ich würde lieber hier sterben als zurückgehen“, sagt er – vor neun Jahren floh er aus Myanmar.
Die indische Regierung ist misstrauischen gegenüber den Muslimen
Vor dem Obersten Gericht argumentierte die indische Regierung am Montag, die Rohingya hätten Verbindungen zu islamistischen Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ und stellten eine „sehr ernste, mögliche Bedrohung der nationalen Sicherheit“ dar. Und man sei besorgt um die kleine Minderheit an Buddhisten, die in Indien lebten: „Radikalisierte Rohingya“ seien eine Gefahr für diese religiöse Gruppe. Im August hatte Indiens nationale Menschenrechtskommission den Plan infrage gestellt und das Oberste Gericht dazu angerufen: „Indien ist jahrhundertelang die Heimat von Flüchtlingen gewesen“, mahnte die Kommission.
Unklar ist, wie die Ausweisung der Rohingya in der Praxis gelingen soll. Ein Teil der Flüchtlinge hat legale Aufenthaltstitel, die regelmäßig verlängert werden. Seit fünf Jahren versucht Indien vergeblich, elf Rohingya, die in Indien in Haft sitzen, zu deportieren – und Myanmar weigert sich, sie aufzunehmen. Die Rohingya leben seit dem 8. Jahrhundert in der Rakhine-Provinz in Myanmar. Im mehrheitlich buddhistischen Myanmar sind sie Diskriminierung ausgesetzt.
UN und Bundesregierung verlangen Zugang zu der Minderheit in Myanmar
In den vergangenen Wochen sind laut den Vereinten Nationen 400.000 Rohingya-Muslime aus Myanmar nach Bangladesch geflohen. Die Bundesregierung bekräftigte am Montag ihre Sorge über die Lage in den überfüllten Flüchtlingslagern. Regierungssprecher Steffen Seibert bezeichnete die humanitäre Notlage als „himmelschreiend“. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte: „Wir haben – genau wie andere in der internationalen Gemeinschaft – viel zu wenig Zugang zu dem, was da wirklich in der Provinz Rakhine passiert“, von wo die Rohingya flüchten. Die Ereignisse müssten aufgeklärt werden und internationale Beobachter und Helfer Zugang erhalten, für die ein Einreiseverbot gilt.
Hinweise
Es gibt wenig konkrete Hinweise darauf, dass Rohingya in Indien von islamistischen Terrorgruppen angeworben werden oder für sie arbeiten. Im Januar erklärte die Ministerpräsidentin des Bundesstaates Jammu und Kaschmir, Mehbooba Mufti, dass Rohingya in keinerlei terroristische Aktivitäten in Kaschmir involviert waren, in dem ein Aufstand der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung gegen die indische Regierung brodelt. Auch die Polizei hat keine Anzeichen dafür entdecken können, dass die Rohingya-Muslime alarmierende Strafregister vorweisen: „Sie sind in Kleinkriminalität verwickelt wie andere Gruppen in einer ähnlichen sozialen und wirtschaftlichen Lage“, erklärte der Polizeiinspektor von Jammu, S.D. Singh, dem indischen TV-Sender NDTV.
Indiens Ministerpräsident Narenda Modi, ein strenggläubiger Hindu, hatte bei einem Staatsbesuch in Myanmar in der vergangenen Woche das Thema Rohingya komplett ausgeklammert. Bei einem Treffen mit Regierungschefin Aung San Suu Kyi lobte er die Führungsstärke der international in die Kritik geratenen Friedensnobelpreisträgerin, die bislang auch kein Wort über das Schicksal der Rohingya verloren hat. Myanmar gilt für Indien als wichtiger Partner, um Chinas militärische Ambitionen auf den Meeren in der Region in Schach zu halten. Während Indien mehrheitlich hinduistisch ist und Myanmar mehrheitlich buddhistisch, haben beide Länder eine muslimische Minderheit, die von den Regierungen jeweils mit Misstrauen gesehen wird.
In Indien sind die rund 170 Millionen Muslime keiner Verfolgung ausgesetzt wie die Rohingya in Myanmar, doch seit dem Amtsantritt von Modi häufen sich im einst liberalen und kulturell vielfältigen Indien Angriffe auf Kirchen und Moscheen, intellektuelle Freigeister werden ermordet und selbst berühmte Bollywood-Stars wegen angeblich „unpatriotischer Haltung“ boykottiert – weil sie Muslime sind. Der Deportierungsplan gilt nun als Signal an die Tausenden von Rohingya auf der Flucht, dass sie in Indien nicht willkommen sind. (mit epd)