Senator Henkel und die NSU-Akten: Verteidigungsstrategie mit Eigentoren
Innensenator Frank Henkel verstrickt sich bei der Aufklärung der Vorgänge um NSU-Akten in erhebliche Widersprüche. Was steckt hinter seinen Aussagen? Und hätte er anders handeln können?
Der Auftritt im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sollte sein Befreiungsschlag werden. Doch die Verteidigungsstrategie von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) gerät ins Wanken. Erst verwies er auf eine Verabredung, die es mit der Bundesanwaltschaft (GBA) gegeben habe, wonach Informationen des NSU-nahen V-Manns beim Berliner Landeskriminalamt vorerst nicht an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages weitergegeben werden dürften. Von einer Verabredung will die Behörde in Karlsruhe aber nichts wissen. Nun verweist Henkel auf die Berliner Polizeispitze, die ihm von der Verabredung berichtet habe.
Schiebt Henkel den Schwarzen Peter ab?
Er nimmt die Berliner Polizeispitze auf jeden Fall mit in die Verantwortung. Denn am Mittwochmorgen hat Henkel im ZDF-Morgenmagazin gesagt, dass es ihm darum gegangen sei, das laufende Ermittlungsverfahren nicht zu gefährden und dabei habe er sich auf Auskünfte der Berliner Polizeispitze berufen, wonach es eine Vereinbarung mit der Bundesanwaltschaft gegeben habe. Dies sei ihm „glaubhaft versichert“ worden, deshalb habe er „zunächst keinen Grund daran zu zweifeln“ gehabt. Was er nicht sagt, aber insinuiert: Sollte Margarete Koppers, die derzeit als Vizepräsidentin auch das Amt der Polizeipräsidentin bekleidet, falsch informiert haben, dann ist das ihr Problem nicht meins. Auch diese Äußerung ist wieder ein Beleg dafür, wie schwer sich Henkel tut, in dieser Affäre die richtigen Worte zu wählen. Denn als Schuldzuweisung oder Abschieben der Verantwortung will er das auch nicht verstanden wissen. Schon am Mittag versucht er seine Aussage wieder etwas gerade zu rücken. „Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst, trage sie und schiebe sie nicht ab“, sagte er vor dem Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Tatsache ist, dass weder Henkel noch sein Staatssekretär Bernd Krömer bei den Gesprächen mit der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe dabei waren.
Wer hat die Gespräche in Karlsruhe geführt?
Am 20. März war Koppers mit dem Leiter des Berliner Landeskriminalamtes und dem Leiter der Abteilung Staatsschutz in Karlsruhe. Sie haben dort über den V-Mann Thomas S. informiert. Insofern müsste die Polizei wissen, wie und mit welchen möglichen Verabredungen man auseinandergegangen ist. Ein Protokoll oder eine schriftliche Vereinbarung gibt es aber laut Polizei nicht. „Das wäre auch untypisch“, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich. Alle drei Vertreter der Polizei seien nach dem Gespräch mit dem Gefühl zurück nach Berlin gefahren, dass Konsens darüber herrsche, dass noch viele Fragen zu klären seien und man deshalb vorerst Stillschweigen bewahre.
Welche Rolle spielt die Bundesanwaltschaft?
Die Bundesanwaltschaft verfolgt eigene Interessen. Zahlreiche Sicherheitsbehörden und Ministerien, egal ob auf Bundes- oder Landesebene, sowie Polizeien sind im Zuge der NSU-Ermittlungen in schlechtes Licht geraten. Deutschlands oberste Anklagebehörde blieb bisher verschont. Und das soll nach ihrem Willen auch so bleiben. Deshalb mussten deren Mitarbeiter wohl fürchten, dass sie von Frank Henkel als Schutzschild missbraucht werden und der NSU-Untersuchungsausschuss ihnen den Schwarzen Peter zuschiebt und vorhält, Akten nicht weitergegeben zu haben. Das verschwiegene Handeln Henkels dürfte aber in ihrem Sinne gewesen sein. Sie selbst haben in einer Stellungnahme vor einigen Tagen erklärt, dass sie den Untersuchungsausschuss erst über den V-Mann-Fall in Kenntnis gesetzt haben, nachdem die „...erforderlichen Abklärungen erfolgt und eine Gefährdung laufender Ermittlungen durch die Übermittlung dieser Erkenntnisse nicht mehr zu besorgen waren...“.
Von einer Verabredung will der GBA aber nach wie vor nichts wissen. In einer Antwort auf eine Anfrage der SPD-Obfrau im Bundestagsuntersuchungsausschuss, Eva Högl, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es: Es hat zwar mehrfach Kontakte mit dem PP (Polizeipräsidenten, Anm. d. Red.) Berlin in Sachen „VP 562“ (der V-Mann, Anm. d. Red.) gegeben. Bei keiner dieser Gelegenheiten hat es jedoch eine Anweisung, Aufforderung oder Bitte des Generalbundesanwalts gegeben, die Information nicht an den Untersuchungsausschuss weiterzugeben.
Bilder: Die NSU-Verbindungen nach Berlin
Hätte Henkel den Ausschuss informieren können?
Es gehört zu Henkels Verteidigungsstrategie, ein Schwarz-Weiß-Bild zu zeichnen, einen Zielkonflikt zu konstruieren. Entweder er folgt der vermeintlichen Bitte der Bundesanwaltschaft und enthält dem Untersuchungsausschuss die Informationen zum V-Mann Thomas S. vor oder er gibt alles preis. Doch in einer solchen Entweder-Oder-Situation war Henkel nicht.
Als er im März von dem V-Mann erfahren hatte, hätte er die Möglichkeit gehabt, dem Ausschuss zu signalisieren, dass es in Berlin einen Vorgang gibt, der bei der Bundesanwaltschaft liege und ein laufendes Ermittlungsverfahren betreffe. Dann hätten die Ausschuss-Mitglieder die Möglichkeit gehabt, sich an die Anklagebehörde zu wenden – immerhin sitzt ein Vertreter der Behörde im Ausschuss. Es wäre also eine Klärung auf dem kurzen Dienstweg möglich gewesen. Doch Henkel beziehungsweise seine Verwaltung hat auf Nachfragen einiger Ausschussmitglieder entgegnet, in seinem Zuständigkeitsbereich gebe es keine Informationen zu Thomas S. Henkel gibt nun selbst zu, dass ihm die nötige Sensibilität gefehlt habe.
Hätten die Informationen des V-Mannes Thomas S. damals zum Aufspüren des Terrortrios führen können?
Nach derzeitigem Stand lieferte Thomas S., den das Berliner LKA Ende 2000 als V-Mann anwarb und bis Anfang 2011 führte, einmal einen relativ interessanten Hinweis. Im Jahr 2002 berichtete Thomas S. von Jan W., der Kontakt zu drei Personen aus Thüringen habe, die per Haftbefehl „wegen Waffen und Sprengstoff“ gesucht werden. Jan W. war zu diesem Zeitpunkt bereits aktenkundig. Im September 1998 hatte Brandenburgs Verfassungsschutz den Kollegen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und denen in Thüringen und Sachsen mitgeteilt, W. habe Kontakt zum Trio – und solle Waffen besorgen. Zusammen mit dem Hinweis von Thomas S. aus dem Jahr 2002 hätte das eine veritable Spur sein können. Es finden sich aber keine Belege dafür, dass das LKA Berlin die Informationen von Thomas S. weitergegeben hat. Dennoch hatte das LKA Thüringen Jan W. im Visier.
Insgesamt 38 Treffen gab es zwischen dem LKA und Thomas S. Und die Bundesanwaltschaft hätte auch gern alle Berichte dieser Treffen in ihren Akten. Das aber verwehrt das LKA, weil dann auch jeder Verteidiger Einblick nehmen könnte und so die Gefahr bestünde, dass der Klarname des V-Manns publik werden könnte. „Es waren aber drei Vertreter des GBA in Berlin und haben die Akten eingesehen, markiert, was ihnen wichtig ist, und daraus haben wir ein Behördengutachten erstellt, was der GBA hat“, sagte Redlich.
Thomas S. soll mehrfach vorbestraft gewesen sein. Beging er Delikte auch während seiner Zeit als V-Mann?
Thomas S. ist viermal vorbestraft. Dabei geht es um Beihilfe zur schweren Brandstiftung, Landfriedensbruch im besonders schweren Fall und gefährliche Körperverletzung – Delikte aus den Jahren 1993 bis 1999. Allerdings wurde Thomas S. auch 2005 vom Landgericht Dresden zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt. Damals war er bereits fünf Jahre V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes.