Berliner Mietendeckel gekippt: Vermieter sollten jetzt auf Rückforderungen verzichten
Das Bundesverfassungsgericht hat den Mietendeckel gekippt. Auf hunderttausende Mieter kommen jetzt Nachzahlungen zu. Das muss nicht sein. Ein Kommentar.
Karlsruhe hat für Ordnung in Berlin gesorgt, zumindest juristisch. Denn egal, wie man politisch zum Mietendeckel steht, muss man zuerst eines festhalten: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war richtig. Das, was Rot-Rot-Grün in den vergangenen Monaten versucht haben, ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und kann folgerichtig nicht Gesetz bleiben. Eine Klatsche für den Senat. Die Opposition kann sich freuen, hunderttausende Mieter in der Stadt nicht.
Wer zur Miete lebt, tut dies meist aus Mangel an Alternativen. Den Erwerb der eigenen vier Wände muss man sich leisten können - vor allem in Großstädten wie Berlin, wo Platz begrenzt und die Nachfrage hoch ist. In keinem anderen Bundesland leben derart viele Menschen zur Miete.
Und der Schritt zum Eigentümer wird immer schwerer. Seit Jahren explodieren die Preise für Immobilien in der Hauptstadt. Der Mietendeckel hat dies sogar noch verstärkt. Dem Online-Vermittlungsportal "Immoscout" zufolge, zogen in 2020 die Kaufpreise für Wohnimmobilien in Berlin um 12,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr an, so stark wie nirgendwo sonst in Deutschland. Wer eine Altbauwohnung kaufen will, musste 2020 im Schnitt 4400 Euro für den Quadratmeter bezahlen, beim Neubau waren sogar 6000 Euro je Quadratmeter.
Für Studenten, Angestellte, Kleinverdiener, Selbstständige, junge Familien, Rentner und viele andere unerreichbar. Viele von ihnen stehen nun vor dem Ruin. Sie müssen hunderte, teils tausende Euro an ihre Vermieter zurückzahlen. Geld, das viele in der Pandemie als Puffer genutzt haben, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Aber müssen sie wirklich? Die Richter in Karlsruhe zwingen mit ihrer Entscheidung keinen Vermieter, die verpassten Mieteinnahmen zurückzufordern. Von dieser Freiheit sollten möglichst viele Vermieter Gebrauch machen.
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Die Summen aus ein paar reduzierten Monatsmieten, um die es jetzt geht, dürften für die meisten Vermieter eher Peanuts sein. Den meisten Mietern dagegen tun sie richtig weh. Wer das Geld nicht zurücklegen konnte oder auf eine andere Entscheidung spekuliert hat, muss sich das Geld nun anderswo absparen. Der Sommerurlaub, das neue Fahrrad, das etwas größere Geburtstagsgeschenk für die Tochter, die Konzertkarte für die Zeit nach der Pandemie.
Wohnungsunternehmen, die jetzt verzichten, sparen sich teure PR-Arbeit
Vor allem die großen Wohnungsunternehmen wären gut beraten, ihren Mietern jetzt nicht den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen. Seit Jahren erreichen sie mit immer höheren Mieten immer höhere Rendite. Die Stimmung gegen sie ist in der Stadt schon lange schlecht, ein Volksbegehren zur Enteignung läuft. Wer jetzt auf ein bisschen Geld verzichtet, spart sich teure PR-Arbeit.
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Erste Signale dafür gibt es bereits. VBKI, IHK Berlin und der Präsident BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen appellieren an die soziale Verantwortung der Wohnungswirtschaft. Die Aktiengesellschaft Vonovia hat bereits angekündigt, die Differenz zwischen Mietdeckel- und Bürgerlichem Gesetzbuch-Miete nicht einzufordern.
Diesem Vorbild sollten sich alle Vermieter anschließen und auf die Rückforderung verzichten. Vermieter haben auch eine soziale Verantwortung für ihre Mieter. Was Recht ist, muss nicht richtig sein. Ihnen entgehen dadurch ein paar hundert Euro. Doch sie erhalten damit den sozialen Frieden in der Stadt - nicht nur die juristische Ordnung.