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Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, verlässt nach seiner Rede im Bundestag zu Beginn der Haushaltswoche das Rednerpult.
© dpa/Kay Nietfeld
Update

Schwere Vorwürfe im U-Ausschuss: Verkehrsminister Scheuer soll Falschaussage von Maut-Betreibern verlangt haben

Der Minister steht massiv unter Druck. Vor dem Untersuchungsausschuss zur gescheiterten Pkw-Maut weist Andreas Scheuer zentrale Vorwürfe gegen sich aber zurück.

Es ist ein gravierender Vorwurf: Klaus-Peter Schulenberg, Chef des Unternehmens CTS Eventim, hat im Untersuchungsausschuss zur gescheiterten Pkw-Maut ausgesagt, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) habe die Manager der nicht zum Zuge gekommenen Betreiberunternehmen zu einer öffentlichen Falschaussage nötigen wollen.

Am 19. Juni 2019, also einen Tag, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Maut als EU-rechtswidrig gekippt hatte, soll Scheuer verlangt haben, auch die Manager von CTS Eventim, Kapsch und dem gemeinsamen Unternehmen Autoticket sollten sagen, auch sie hätten den Maut-Betreibervertrag noch Ende 2018 unterschreiben wollen.

In Wahrheit hatte Schulenberg dem Minister angeboten, mit der Unterschrift bis nach dem EuGH-Urteil zu warten, damit beide Seiten Planungssicherheit haben. Das hatte Scheuer abgelehnt, weil er keine Verzögerung wollte. Auf keinen Fall sollte die Maut erst im Wahljahr 2021 an den Start gehen. Außerdem wollte er nicht mit dem Koalitionspartner SPD wegen einer Verschiebung über einen Nachtragshaushalt verhandeln.

So sprach er nach Schulenbergs Aussage eine „Drohung“ aus: Wenn die Manager nicht seine Version öffentlich unterstützen würden, werde er sich unter anderem im Verkehrsausschuss des Bundestages so über die Gründe für die Kündigung des Betreibervertrages äußern, dass die Unternehmen schlecht dastehen würden.

Georg Kapsch, Chef des gleichnamigen Unternehmens aus Wien, bestätigte im Ausschuss die Angaben Schulenbergs. Das Angebot seines Kollegen an den Minister, die Unterschrift bis nach dem EuGH-Urteil zu verschieben, sei „gut platziert und ernst gemeint“ gewesen. Er könne sich nicht vorstellen, dass Scheuer dieses vergessen habe.

Der Minister hatte mehrfach behauptet, ein solches Angebot habe es nie gegeben. Da er das einmal auch im Bundestag getan hat, könnte er auch nach Auffassung des Koalitionspartners SPD darüber sein Amt verlieren.

Unternehmensleiter Kapsch sagte im Ausschuss, Scheuer habe nicht nur dieses Angebot abgelehnt, sondern habe im Gegenzug eine Preisreduzierung beim Angebot der Betreiberfirmen verlangt. Er habe auch ins Spiel gebracht, über andere Leistungen samt Vergütung später noch einmal zu sprechen.

„Das habe ich kategorisch abgelehnt“, sagte Kapsch. Mit solchen Angeboten habe er in anderen Ländern schlechte Erfahrungen gemacht. „Ich weiß ja nicht, ob genau dieser Minister dann noch im Amt ist.“

Eine Option, die Scheuer offeriert habe: Die Gemeinschaftsfirma Autoticket könne ja später eine künftige Maut für Lieferwagen zwischen 3,5 und 7 Tonnen Gesamtgewicht sowie für Fernbusse erheben. Auf dieses riskante Angebot wollte Kapsch sich nicht einlassen.

Der Grünen-Obmann im Ausschuss, Stephan Kühn, wies den Manager darauf hin, dass eine Maut auf diese beiden Fahrzeugklassen im Koalitionsvertrag von Union und SPD explizit ausgeschlossen sei und Scheuer auch öffentlich gesagt habe, dass eine solche Maut nicht kommen werde.

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Kapsch sagte weiter, die Gründe für Scheuers Kündigung des Betreibervertrages am 19. Juni 2019 seien „offensichtlich vorgeschoben“. Vor dem EuGH-Urteil habe „nie eine Kündigung im Raum gestanden“. Eine „Schlechtleistung“, wie von Scheuer angeführt, habe es nicht gegeben. Das werde sich im Schiedsverfahren erweisen, in dem Kapsch und Eventim mindestens 560 Millionen Euro Schadensersatz von der Bundesregierung fordern.

Das Unternehmen Kapsch erhebt in weltweit 50 Ländern Maut. „Gerade in Deutschland hätte ich am wenigsten erwartet, dass man sich nicht vertragstreu verhält.“

Volker Schneble, Geschäftsführer des Gemeinschaftsunternehmens Autoticket GmbH.
Volker Schneble, Geschäftsführer des Gemeinschaftsunternehmens Autoticket GmbH.
© Michael Kappeler/dpa

Eigentlich hätte die Pkw-Maut just am 1. Oktober 2020 zum ersten Mal erhoben werden sollen. Am 18. Juni hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) das CSU-Prestigeprojekt „Ausländermaut“ gerade wegen der Diskriminierung ausländischer Autofahrer als EU-rechtswidrig beurteilt. Am Tag darauf kündigte Scheuer den Betreibervertrag mit Autoticket – aber nicht, weil er das juristische Risiko falsch eingeschätzt hatte, sondern wegen angeblicher „Schlechtleistung“ des Unternehmens.

Auch Volker Schneble, bis heute Geschäftsführer der Firma Autoticket, sagte im Untersuchungsausschuss, das Projekt sei bis zum Tag der Kündigung durch den Verkehrsminister erfolgreich verlaufen. „Die Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber war bis zum 19. Juni 2019 kooperativ.“

Scheuers Vorwurf, Autoticket habe schlecht gearbeitet, wies auch Schneble strikt zurück. „Die Kündigung wegen angeblich nicht fristgerechter Vorlage einer Feinplanungsdokumentation werteten wir als klares Foulspiel.“ In Wahrheit sei Scheuers Schritt „politisch motiviert und spontan“ gewesen. „Man suchte schlichtweg einen Ausweg aus dieser politisch verzwickten Lage.“ Schneble sprach von einer „Kurzschlussreaktion“ des Ministers.

Scheuer und sein Staatssekretär lassen sich ein Hintertürchen offen

Scheuer wurde dann ab 23.30 Uhr vernommen. Er sagte zu den Aussagen der Manager: „Ein Angebot zur Verschiebung des Vertragsabschlusses bis zur Entscheidung des EuGH hat es nach meiner Erinnerung nicht gegeben.“ Eine Niederlage vor dem europäischen Gericht sei „total unwahrscheinlich“ gewesen.

Im Übrigen sei in Sachen Pkw-Maut Staatssekretär Gerhard Schulz sein „primärer Ansprechpartner“ gewesen. „Bei ihm liefen die Fäden zusammen.“ Auch Schulz sagte im Untersuchungsausschuss kurz vor seinem Minister, das Angebot zur Verschiebung habe es „in meiner Erinnerung“ nicht gegeben.

Die Formulierung war also praktisch wortgleich. Schulz und Scheuer ließen sich aber mit der Einschränkung ein Hintertürchen offen. Eine Falschaussage im Ausschuss ist strafbewehrt, Erinnerungslücken sind es nicht. Schulz sagte jedoch auf Nachfrage, er könne „nicht ausschließen“, dass das drohende EuGH-Urteil ein Thema in dem Gespräch mit den Managern war.

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