„Alle Warnlampen ignoriert“: Verkehrsgericht diskutiert Mautdesaster
Das Gremium in Goslar geht den Verkehrsminister an. Außerdem befassen sich die Experten mit der Pleite des Reiseveranstalters Thoms Cook.
Das gewählte Bild passte ebenso gut zum Gescholtenen wie zu einem der Hauptthemen des Verkehrsgerichtstages (VGT). „Wer mit dem E-Scooter bei Gelb-Rot in den Kreuzungsbereich einfährt und einen Unfall verursacht, der muss dafür auch die Verantwortung tragen“, sagte VGT-Präsident Ansgar Staudinger am Donnerstag zur Eröffnung des Expertentreffens in Goslar. Gemeint waren damit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und das von ihm verursachte Mautdesaster.
„Wenn man alle europarechtlichen Warnlampen ignoriert, dann provoziert man den Crash vor dem Europäischen Gerichtshof“, meinte der Bielefelder Jura- Professor.
Damit brachte Staudinger indirekt auch einen möglichen Regress beim Ressortchef und bekennenden Fan der Elektroroller wegen der noch vor dem EuGH-Urteil abgeschlossenen Verträge mit den Betreibern ins Spiel. Scheuer müsse sich die Frage stellen: „Hätte ich mit meinem eigenen Geld in dieser Situation dieses Geschäft getätigt?“
In einem anderen Fall sei es noch nicht zu spät, hier könne ein genauer Blick ins Europarecht die verantwortlichen Politiker noch vor finanziellem Schaden bewahren, warnte Staudinger. Der Reiserechtler riet der schwarz-roten Bundesregierung, sich die Forderungen der Kunden des insolventen Reiseveranstalters Thoms Cook abtreten zu lassen und sich diese bei der Zurich-Versicherung zurückzuholen – über die von dort bislang zugestandenen 110 Millionen Euro hinaus. Berlin hatte angekündigt, die geprellten deutschen Urlauber voll zu entschädigen, die Rede ist von insgesamt 300 bis 400 Millionen Euro. „Es geht hier um Steuergelder“, betonte Staudinger. „Da sollte keiner Angst haben, diesen Strauß auszufechten, auch bis hin zum Europäischen Gerichtshof.“
Noch lange auf Pkw angewiesen
Der VGT, der sich bis Freitag mit Aggressionen auf den Straßen, Bußgeldern, der Unfallregulierung im Ausland und auch mit den Auswüchsen der E-Scooter in den Innenstädten beschäftigt, feierte eine doppelte Premiere. Zum ersten Mal in der Geschichte des Gremiums durfte ein Berliner Oppositionspolitiker zu den Juristen, Polizisten, Medizinern, Psychologen und Vertretern aus Versicherungswirtschaft und Automobilclubs sprechen – obendrein ein Grüner: Der Abgeordnete Cem Özdemir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag, nutzte seinen Auftritt, für Gleichberechtigung aller Verkehrsmittel zu werben.
„Das Radeln zur Schule muss genauso sicher sein wie das Elterntaxi im SUV“, forderte er. „Warum sperrt sich die Bundesregierung dagegen, Tempo 30 in den Kommunen zur Regel zu machen und überall dort, wo es keine Gefahr darstellt, Tempo 50 weiter zu ermöglichen?“ Es sei zudem absurd, dass Städte und Gemeinden Zebrastreifen und Fahrradstraßen nur dann einrichten könnten, wenn sie vorher den Bedarf durch besonders hohe Zahlen von Fußgängern oder Radfahrern nachgewiesen hätten. Gleichzeitig warnte Özdemir, das Auto zu verteufeln. „Die Verkehrswende ist kein Kulturkampf.“ Man dürfe nicht Stadt gegen Land ausspielen, gerade außerhalb der Metropole würden die Menschen noch lange auf Pkw angewiesen sein.
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