Krieg in Syrien: Die Lehre von den roten Linien
Donald Trump hat mit seiner Raketen-Drohung an Russland eine Eigendynamik in Gang gesetzt, die ohne Gesichtsverlust nur schwer zu stoppen sein wird. Eskaliert der Syrienkrieg?
Nach seiner Ankündigung eines Raketenangriffs auf Syrien hat US-Präsident Donald Trump seine Kriegsdrohung relativiert. Möglicherweise werde es bis zu einem Angriff noch dauern, schrieb Trump am Donnerstag auf Twitter. Dem US-Präsidialamt zufolge gibt es noch keine Entscheidung über einen Angriffsplan, doch die öffentliche Festlegung des Präsidenten hat eine Eigendynamik in Gang gesetzt, die ohne Gesichtsverlust für Trump nur schwer aufzuhalten sein wird. Auf internationaler Ebene beginnen unterdessen Versuche, die Situation zu entschärfen.
Trump wollte mit seinem neuen Tweet von Donnerstag offenbar der Kritik begegnen, er habe mit der Angriffsankündigung von Mittwoch der syrischen Regierung und Russland die Chance gegeben, sich auf einen Raketenbeschuss einzustellen. Er habe nichts über den Zeitpunkt eines Angriffs gesagt, schrieb Trump: „Könnte bald sein oder überhaupt nicht bald.“ Verteidigungsminister James Mattis und CIA- Chef Michael Pompeo hatten am Mittwoch im Weißen Haus über militärische Optionen beraten.
Medienberichten zufolge hatte die syrische Armee am Mittwoch einige Kampfflugzeuge in Bunker verlegt oder auf russischen Stützpunkten in Sicherheit gebracht. In der Hauptstadt Damaskus zog die syrische Regierung die Mitarbeiter aus Gebäuden der Sicherheitskräfte ab, die zu Zielen amerikanischer Angriffe werden könnten.
Laut der „Washington Post“ spielt die moderne russische Luftabwehr in Syrien eine wichtige Rolle bei den Überlegungen der US-Militärplaner. Die Boden-Luft-Raketen des russischen Systems S-400 gefährden Kampfjets, weshalb die Amerikaner besonders an einen Angriff mit seegestützten Marschflugkörpern oder hoch fliegenden Bombern denken.
Eine beabsichtigte oder unbeabsichtigte direkte militärische Konfrontation zwischen den USA und Russland scheint inzwischen zu drohen. „Die Gefahr ist groß“, sagt Johannes Varwick, Professor am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Es ist eigentlich ein Wunder, dass sowohl in Syrien als auch bei den zunehmenden Übungen auf beiden Seiten noch nichts passiert ist, zumal die direkten militärischen Kontakte und der Austausch über solche Fragen verbesserungsfähig sind.“ Mit der Kubakrise will der Politikexperte die Lage allerdings noch nicht vergleichen. „Die nukleare Dimension ist heute eher nicht zu befürchten“, sagt Varwick, „dennoch können kleine Vorfälle große Wirkung entfalten und die ohnehin schon eingesetzte Eskalationsspirale außer Kontrolle bringen.“
Frankreich könnte sich in den Krieg einschalten
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bereitet unterdessen die Öffentlichkeit in seinem Land auf die Möglichkeit einer Militärintervention vor. Bereits am Dienstag hatte Macron gesagt, dass nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien begrenzte Angriffe auf „chemische Kapazitäten“ in dem Nahost-Staat möglich seien. Bei einem Fernsehinterview betonte er am Donnerstag, dass die französische Regierung über einen Beweis verfügte, dem zufolge chemische Waffen, zumindest Chlorgas, durch das Regime des syrischen Staatschefs Baschar al Assad eingesetzt worden seien.
Nach den Worten des französischen Staatschefs werde über einen Angriff entschieden, wenn alle Informationen geprüft seien. Gleichzeitig machte Macron noch einmal klar, worin die Ziele Frankreichs in der Region bestehen: Der Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“, die Durchsetzung des internationalen Rechts, eine Waffenruhe und die politische Vorbereitung auf das „Syrien von morgen“. Mit Blick auf die Konfrontation zwischen Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte er: „In keinem Fall wird Frankreich zulassen, dass es zu einer Eskalation kommt.“
Würde es tatsächlich zu einem Militärschlag Frankreichs in Syrien kommen, wäre dies für Macron die erste militärische Auslandsmission, die nicht aus der Ära seines Amtsvorgänger François Hollande stammt. Dazu zählt unter anderem die von Frankreich geführte Militäroperation „Barkhane“ gegen Islamisten in der Sahelzone. Macron hat sich dabei selbst in Zugzwang gebracht, weil er bereits mehrfach warnte, dass ein weiterer Chemiewaffen-Einsatz in Syrien eine „rote Linie“ darstelle, auf die Frankreich mit einem Militäreinsatz antworten könne.
Was Trump in Syrien erreichen will, ist unklar
In ähnlicher Weise hatte auch der frühere US-Präsident Barack Obama den Einsatz von Chemiewaffen als „rote Linie“ bezeichnet. Obama büßte einiges an politischer Autorität in der Region ein, als er im August 2013 auf einen Militärschlag verzichtete, obwohl seinerzeit bei einem Giftgasangriff in der Nähe der Hauptstadt Damaskus mehr als 1400 Menschen ums Leben gekommen waren.
Unklar ist nach wie vor, was die USA in Syrien eigentlich erreichen wollen. Eine Aktion zur Bestrafung des jüngsten Giftgaseinsatzes müsste laut Meinung von Experten so massiv ausfallen, dass die syrische Regierung diese Waffen nicht mehr einsetzt. Möglicherweise werden die USA zu diesem Zweck mehr als einmal angreifen müssen. Dies könnte jedoch militärische Reaktionen Russlands auslösen. Es sei viel einfacher, einen Krieg zu beginnen, als ihn zu beenden, warnte der ehemalige Offizier und CNN-Kommentator Mark Hertling auf Twitter.
Um glaubwürdig zu bleiben, müssten die USA zudem nicht nur dann in Syrien handeln, wenn die Weltöffentlichkeit zuschaue, sagte Rebecca Hersman, eine frühere Pentagon-Mitarbeiterin, der „Washington Post“. Kritiker werfen Trump vor, nur zu reagieren, wenn es drastische Fernsehbilder von den Opfern eines syrischen Giftgaseinsatzes gibt. Laut Hersman wurden in Syrien bereits mehr als 20 Einsätze der verbotenen Waffen registriert. Bisher handelte Trump jedoch nur ein einziges Mal: Vor einem Jahr ließ er einen syrischen Luftwaffenstützpunkt bombardieren. Russland war damals vorab informiert.
Der syrische Staatschef Assad warf dem Westen vor, mit den angedrohten Raketenangriffen auf sein Land „Terroristen“ unterstützen zu wollen. Nach jedem Erfolg seiner Truppen auf dem Schlachtfeld meldeten sich westliche Staaten zu Wort, die in den Bürgerkrieg eingreifen wollten, sagte Assad in seiner ersten Reaktion auf Trumps Tweets. Ein militärisches Eingreifen der USA werde die Region noch weiter destabilisieren.
Vor Ort haben die US-Drohungen bisher keine Auswirkungen auf den Vormarsch von Assads Truppen. Nordöstlich von Damaskus übernahmen Regierungstruppen die Kontrolle über die Stadt Duma, in der am Wochenende nach Berichten von Ärzten bis zu 150 Menschen mit Giftgas getötet worden waren. Die in Duma geschlagenen Rebellen machen das Giftgas für ihre Niederlage verantwortlich.
In New York wurde für Donnerstag eine nicht-öffentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrates anberaumt, bei der über die amerikanische Kriegsdrohung gesprochen werden sollte. UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte die fünf ständigen Mitglieder des Rates, die Situation könnte „außer Kontrolle geraten“.
Auch die Türkei schaltet sich in die Vermittlungsbemühungen ein. Staatschef Recep Tayyip Erdogan sagte, er habe am Mittwoch mit Trump telefoniert und wolle im Laufe des Donnerstag mit dem russischen Präsidenten Putin sprechen. Syrien dürfe nicht zum „Schauplatz eines Ringkampfes“ der beiden Supermächte werden. Eine Beruhigung der Lage wäre im türkischen Interesse: Bei einer direkten Konfrontation zwischen USA und Russland würde sich die Türkei gezwungen sehen, Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen. Als Nato-Mitglied steht sie grundsätzlich den USA nahe, doch in Syrien arbeitet Erdogan sehr eng mit Putin zusammen.