Bedingt öffentlich: Verfassungsschutz ringt um Reformen
Der Geheimdienst hat große Probleme, das Vertrauen in seine Arbeit fehlt. Reformen sind dringend nötig. Aber was wird sich ändern?
Wer in diesen Wochen einen Verfassungsschützer nach seiner Befindlichkeit fragt, bekommt Antworten wie „zum Kotzen“ und „wir sind die Schmutzabtreter der Nation“.
Der Nachrichtendienst, ein Verbund von 16 Landesbehörden und dem Bundesamt (BfV) in Köln, steckt angesichts des Desasters im Fall der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) in der härtesten Krise seiner Geschichte. Dass im Bundesamt sensible Akten mit möglichem Bezug zum NSU-Umfeld geschreddert wurden, nachdem die Neonazi-Bande aufgeflogen war, hat die öffentliche Empörung über die Versäumnisse von Verfassungsschutzbehörden bei der Suche nach dem Thüringer Trio noch gesteigert. Nun wird Spitzenpersonal ausgetauscht. Der Verfassungsschutz bekommt neue Köpfe – und vielleicht auch ein neues Gesicht.
Die Opfer der Thüringer Terrorzelle:
Wie werden die Personalentscheidungen wirken?
Der vorzeitige Abschied von BfV-Präsident Heinz Fromm ist eine Zäsur, die am Wochenende noch verstärkt wurde. Vizepräsident Alexander Eisvogel soll nach dem Willen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seinen Posten räumen. So muss Eisvogel einen Doppelschlag hinnehmen. Erst zog Friedrich ihm, der in der Sicherheitscommunity wie auch in den Medien lange als Fromms Nachfolger gehandelt wurde, Hans-Georg Maaßen vor, der im Ministerium die Unterabteilung Terrorismusbekämpfung/Politischer Extremismus leitet.
Eisvogel, der sich intern bitter beschwerte, soll nun auch den Posten des Vizepräsidenten verlieren. Mit dem Abgang des Tandems Fromm/Eisvogel müssen sich die Mitarbeiter des BfV auf eine neue, vermutlich rigidere Chefetage einstellen. Maaßen ist im Ministerium nicht als lustig bekannt.
Verfassungsschützer, vor allem außerhalb des BfV, rätseln zudem darüber, was Maaßen will. Ihm wird eine harte Hand bei der Aufklärung der Schredder-Affäre zugetraut, die den ganzen Verfassungsschutzverbund belastet. Aber die Kollegen in den Ländern erwarten mehr. Aus ihrer Sicht müsste sich ein BfV-Präsident gerade jetzt durch freundliches Auftreten um Sympathien in der Öffentlichkeit bemühen. Damit ist Maaßen bislang nicht aufgefallen. Vielmehr wird seine barsche Äußerung, die von der Freien Universität verweigerte Honorarprofessur sei ihm „schnurz“, als unglücklich gewertet.
Kaum designiert, stand Maaßen schon in der Kritik
Andererseits nehmen Verfassungsschützer Maaßen in Schutz gegen Kritik an seiner Rolle in der Kurnaz-Affäre. Maaßen hatte 2002 als Referatsleiter im Bundesinnenministerium ein Gutachten verfasst, wonach der aus Bremen stammende und auf der US-Basis Guantanamo festgehaltene Türke Murat Kurnaz sein Aufenthaltsrecht für Deutschland verloren habe. Eine andere Lesart hätte der damalige, bekannt bärbeißige Minister Otto Schily (SPD) nicht akzeptiert, heißt es.
Durchgerüttelt werden auch die Landesbehörden für Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Chefs der Behörden in Thüringen und Sachsen, Thomas Sippel und Reinhard Boos, verloren im Zuge des NSU-Debakels ihre Posten. Und in Düsseldorf gab im Juni die glücklos agierende Leiterin des Verfassungsschutzes, Mathilde Koller, auf. Nachfolger ist ihr Ex-Vizechef Burkhard Freier. Von Freier erwartet Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) frischen Wind: „Wir brauchen einen leistungsfähigen Verfassungsschutz“, betonte Jäger Anfang Juli, „dieser muss modern, effektiv und vor allem transparent arbeiten.“
Mit welchen Herausforderungen wird der neue Präsident des BfV konfrontiert?
Mit Transparenz hat Jäger ein Stichwort genannt, das auf unterschiedliche Philosophien im Verbund der Verfassungsschutzbehörden hinweist. Schon seit Jahren wird debattiert, ob man sich vor allem auf das nachrichtendienstliche Kerngeschäft konzentrieren soll oder sich ein zweites Standbein zulegt, die offensive Aufklärung der Öffentlichkeit über die Gefahren des Extremismus. Wofür Maaßen steht, ist offen.
Verfassungsschützer halten ihm zugute, er habe als Terrorismusexperte am Konzept des Bundesinnenministeriums zur Sicherheitspartnerschaft mit Muslimen mitgewirkt, aber als Unterabteilungsleiter nicht die Position gehabt, damit öffentlich auftreten zu können. Unstreitig ist allerdings, dass der nun in Ungnade gefallene BfV-Vizepräsident Eisvogel eine offensive Öffentlichkeitsarbeit befürwortet und auch schon in seiner Zeit als Chef des hessischen Verfassungsschutzes praktiziert hat. „Mit Eisvogel als neuem Präsidenten wäre die Sache klar gewesen“, sagt ein Verfassungsschützer. Maaßen müsse noch liefern.
Bildergalerie: Die Opfer der NSU
Nächster Punkt: Das Schreddern wichtiger Papiere im BfV war offenbar auch möglich, weil dem Amt eine zentrale Steuerung und Kontrolle der Aktenvernichtung fehlt. Wer eine Akte anlegt, ist dafür verantwortlich, was hineinkommt und was gemäß Löschungsfristen getilgt wird. Will Maaßen einen besseren Überblick bekommen als Fromm, müsste er allerdings das BfV umstrukturieren – und womöglich personell aufstocken.
Wie sieht die Perspektive des Verfassungsschutzes aus?
Wie sieht die Perspektive des Verfassungsschutzes aus?
Eine Chance, den enormen Verlust an Vertrauen und Ansehen auszugleichen, hat der Nachrichtendienst vermutlich nur, wenn er umfassende Aufklärung aller Versäumnisse im Fall NSU mit mehr Service für die Öffentlichkeit kombiniert. Schrittmacher sind da unter anderem die Behörden in Brandenburg, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und auch das BfV.
Das Amt ist seit Jahren mit Wanderausstellungen unterwegs, in denen die Gefahren des Extremismus veranschaulicht werden. Außerdem ist eine Reihe von Publikationen erschienen. Nordrhein-Westfalen spricht zudem Jugendliche mit einem Manga-Comic an, in dem die Titelfigur „Andy“ an Neonazis, Islamisten und Autonome gerät.
Die offensivste Öffentlichkeitsarbeit betreibt allerdings Brandenburg. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes reisen durch das Land, um Schulen, Feuerwehren, Kommunalpolitiker und andere Multiplikatoren über extremistische Umtriebe aufzuklären. Und auf der Homepage wird in hoher Taktfolge über aktuelle Phänomene berichtet. In Brandenburg ist der Verfassungsschutz, das bestätigen viele Institutionen und Verbände, weithin als Berater geschätzt.