Nach Pannen bei den NSU-Ermittlungen: Verfassungsschutz-Präsident Fromm scheidet aus dem Amt
Der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, gibt auf. Zu schwerwiegend waren die Fehler in seiner Behörde im Fall der NSU-Mordserie. Die Opposition spricht von einem "Bauernopfer".
Der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, scheidet aus dem Amt. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums hat bestätigt, dass Fromm zum 31. Juli in vorzeitigen Ruhestand versetzt wird. Dies sei laut Beamtengesetz möglich, wenn der Betreffende das 63. Lebensjahr vollendet hat, was bei Fromm ab der kommenden Woche zutrifft. Das Bundesinnenministerium gehe davon aus, dass Fromm seine Amtsgeschäfte bis dahin weiterführt und die Pannen im eigenen Haus in Sachen NSU aufarbeitet. So wird Fromm auch am Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages aussagen. Die Mitglieder des Ausschusses erwarten sich da vor allem weitere Details zur Aktenvernichtung in seiner Behörde unmittelbar nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie.
In einer Erklärung sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU): "Ich respektiere die persönliche Entscheidung von Herrn Präsident Fromm, jetzt in den Altersruhestand treten zu wollen." Fromm habe sich in den vergangenen Monaten und insbesondere in der vergangenen Woche als Behördenchef "erheblicher Kritik an seinem Amt stellen müssen". Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei, wie er mitgeteilt habe, selbst über das Fehlverhalten von Mitarbeitern in seiner Behörde überrascht und erschüttert gewesen. "Er ist wie ich zutiefst besorgt über den dadurch eingetretenen Vertrauensverlust in den Verfassungsschutz. Ich habe veranlasst, dass die Vorgänge im Zusammenhang mit dem NSU im Bundesamt für Verfassungsschutz restlos aufgeklärt werden, damit das Vertrauen in diese wichtige Sicherheitsbehörde wieder hergestellt wird", sagte Friedrich. Gleichzeitig lobte er die Arbeit Fromms, dessen persönliche Integrität laut Friedrich nicht in Zweifel stehe.
Heinz Fromm zieht sich von seinem Amt zurück:
„Der Rücktritt von Herrn Fromm ist ein ehrenwerter Schritt“, erklärte der FDP-Bundestagsabgeordnete Hartfrid Wolff. „Allerdings lässt dieser Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt vermuten, dass hinter der jüngst bekannt gewordenen Aktenvernichtung mehr steckt als bislang bekannt.“ Ähnliche Stimmen sind aus der Opposition zu hören: Wenn es alleine um Arbeitsorganisation und Fehlverhalten gegangen wäre, „hätte es nicht des Rücktritts bedurft“, sagte die Linken-Vertreterin im Untersuchungsausschuss, Petra Pau, der Nachrichtenagentur AFP. Weil er dies persönlich und politisch für geboten gehalten habe, „stellt sich die Frage nach weiteren Konsequenzen bis an die Spitze des Bundesinnenministeriums“.
"Der Skandal ist mit einem Bauernopfer nicht zu erledigen“, erklärte Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck. „Der Verfassungsschutz hat sein Vertrauen verspielt.“ Die Geheimdienststruktur stehe nun grundsätzlich zur Debatte. Auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte: „Das System Verfassungsschutz gehört grundsätzlich auf den Prüfstand.“
Angehörige der NSU-Mordopfer zeigen sich enttäuscht
Als Nachfolger ist der bisherige Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Alexander Eisvogel, im Gespräch. Der 46 Jahre alte Eisvogel gilt schon lange als gesetzter Nachfolger Fromms, der im Juli 2013 mit dem 65. Geburtstag die Altersgrenze erreicht hätte.
Die Opposition im Bundestag wertete den Rückzug Fromms als konsequent. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, der Schritt sei nicht nur politisch anständig, sondern richtig und notwendig. Fromm übernehme damit die Verantwortung für ein nicht zu rechtfertigendes Verhalten seiner Mitarbeiter. „Dennoch bedauere ich, dass Heinz Fromm sein Amt so knapp vor dem Ruhestand auf diese Weise verlässt“, sagte Steinmeier. Als überzeugter Demokrat seien Fromm rechtsradikale Umtriebe zuwider, die Verhinderung rechtsradikaler Gewalt sei ihm stets ein persönliches und politisches Anliegen gewesen. „Er hat das schwierige Amt des Bundesamtes für Verfassungsschutz seit 12 Jahren mit Umsicht und hoher Sensibilität geführt, vor allem aber neu aufgestellt.“ Den Verfassungsschutz nach dem 11. September neu auszurichten, etwa stärker hin auf neue Bedrohungen wie durch den internationalen islamistischen Terrorismus, das sei sein bleibender Verdienst.
Opferanwalt und Angehörige der NSU-Mordopfer haben sich über den Rückzug Fromms enttäuscht gezeigt. Jens Rabe, Opferanwalt und Vertreter der Familie Simsek, sieht die Aufklärung der Mordserie und ihrer Hintergründe gefährdet. "Den Opfern wird wieder ein Stück Gewissheit gestohlen, weil ein Teil der Aufklärung unmöglich geworden ist", sagte er dem Tagesspiegel. "Dabei wurde ihnen vor allem Aufklärung versprochen. Das führt bei allen Opfern dazu, dass das Vertrauen in die Behörden immer mehr schwindet."
Bilder der Trauerfeier für die Neonazi-Opfer
Die Tochter des ersten mutmaßlichen NSU-Mordopfers, Semiya Simsek, Tochter von Enver Simsek, der im Jahr 2000 in Nürnberg erschossen worden war, sagte: "Der Rücktritt von Herrn Fromm ist ehrenwert, aber er beantwortet keine einzige Frage. Es macht mich wütend, dass eine rückhaltlose Aufklärung durch das Vernichten der Akten vereitelt worden ist. Ich habe immer gedacht, eine Verschwörung könne es nicht sein, aber was sollen wir Opfer denn nun denken über diese deutschen Ermittlungsbehörden?"
Der Ministeriumssprecher sagte, bereits in der vergangen Woche habe es ein persönliches Gespräch zwischen Fromm und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegeben, bei dem Fromm auch einen ersten Bericht zum Schreddern wichtiger Unterlagen im Bundesamt für Verfassungsschutz abgeliefert habe. Dieser Bericht wird dem BMI-Sprecher zufolge noch diese Woche ausgewertet und dem Untersuchungsausschuss ausgehändigt. Ein Nachfolger Fromms soll laut BMI-Sprecher in einem "ordentlichen Verfahren" gefunden werden. Details wurden bisher nicht genannt.
Turnusgemäß wäre Fromm im kommenden Jahr in Ruhestand gegangen. Mit dem jetzigen Schritt zieht Fromm die Konsequenzen aus den Pannen bei den Ermittlungen gegen die Neonazi-Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) sowie die jüngst bekanntgewordene Vernichtung brisanter Akten von Verfassungsschützern im Zusammenhang mit der NSU.
In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass im November 2011 beim Kölner Bundesamt kurz nach der Aufdeckung der Neonazi-Mordserie Akten vernichtet worden waren. Aus den Unterlagen war hervorgegangen, wie mit V-Leuten aus dem NSU-nahen Thüringer Heimatschutz zusammengearbeitet wurde. Dadurch war Fromm unter Druck geraten, der Vorgang sorgte für Empörung quer durch alle Parteien. Minister Friedrich hat die Aufklärung des Vorgangs zugesagt.
Fromm ist seit Juni 2000 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zuvor leitete den Verfassungsschutz in Hessen und eine Justizvollzugsanstalt in Kassel. Zudem war er Staatssekretär im hessischen Innenministerium. Fromm ist Mitglied der SPD. (mit AFP, dpa)
Christian Tretbar, Armin Lehmann