Ladenschlussgesetz: Verfassungsrechtliche Heiligsprechung des Sonntags beenden
Ohne eine Legalisierung der Sonntagsöffnung, droht die völlige Verödung der Innenstädte. Das müssen die Kirchen und die Politik endlich einsehen. Ein Kommentar.
Wenn das Berliner Verwaltungsgericht wie gerade erst wieder über die Ladenöffnung an Sonntagen befinden muss, hat dies mit dem römischen Kaiser Konstantin dem Großen zu tun. Der frühe Förderer des Christentums war der erste Herrscher, der den Schutz des Ruhetags per Gesetz zur Staatsangelegenheit machte. Übrigens ausdrücklich in Abkehr vom samstäglichen jüdischen Sabbat. Beschlossen wurde das in der heutigen türkischen Stadt Iznik, und das alles zeigt: Wer über die Sonntagsruhe befindet, hantiert mit 2000 Jahren Weltgeschichte.
Womit die Berliner FDP angesprochen wäre. Sie will die Sonntagsöffnung lockern und „Spätis“ legalisieren, die sich ohnehin selten an die Regeln halten. Das ruft unmittelbar Kaiser Konstantins Erben auf den Plan. Die evangelische Landeskirche mahnt, bei Schritten in diese Richtung würde man „den gemeinsamen Weg von Staat und Kirche“ verlassen.
Was ist zu fürchten? Nun, es gibt noch einen weiteren Erben Konstantins: das Grundgesetz und seinen Hüter in Karlsruhe. 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, den entsprechenden leicht verstaubten GG-Artikel neu zu polieren. Seitdem ist der Sonntag verfassungsrechtlich heilig gesprochen. Landesgesetzgeber, die daran kratzen, riskieren, dass die Kirchen wiederum klagen. Was zunächst bleibt, ist, Ausnahmen zu strapazieren, wie es der Senat mit den Sonntagen der Grünen Woche und der Berlinale versucht – und vor Gericht Ende vergangenen Jahres auf die Nase fiel.
Eine Stadt ohne Handel verliert ihre urbane Seele
Dem gemeinsamen Weg von Staat und Kirche haben wir fraglos viel zu verdanken. Dennoch wäre zu wünschen, dass sich jeder etwas mehr seine eigenen Pfade sucht. 2009, als die Verfassungsrichter unter viel öffentlichem Zuspruch den Gesetzgeber für den „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ in die Obhutspflicht nahmen, waren Facebook, Amazon und Google samt treuer Lieferdienste noch nicht das, was sie heute sind, nämlich mitverantwortlich für die Entvölkerung gesamter Innenstädte. Im Internet sind die Shops rund um die Uhr geöffnet, dort tobt das Geschäft, während Einkaufsstraßen veröden.
Knackige Kapitalisten werden das als segensreiche Disruption oder eben auch den Lauf der Dinge betrachten. Wirklich? Klar, viele Menschen mögen es schnell, einfach und billig. Wenn sie es dann schnell, einfach und billig hatten, wundern sie sich, was darüber alles verloren ging. Smoothies und Caffè Latte werden jedenfalls kein Anlass sein, ansonsten tote Ex-Shopping-Zentren zu besuchen, und Clubs, Bars und Restaurants sind eher etwas für den Abend. Eine Stadt ohne Markt, ohne Basar und ohne Handel verliert ihre Seele als Stadt. Wenn die Kirchen keine Verständnis dafür entwickeln und Chancen eröffnen – die Politik sollte es. Ein Totensonntag reicht pro Jahr.
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