Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht: Verbot der NPD: Kein Selbstläufer
Am Dienstag beginnt die heiße Phase im Verbotsverfahren gegen die NPD mit Ministerpräsidenten, Innenministern und Verfassungsschutzchefs. Belege für die Verfassungsfeindlichkeit gibt es zuhauf. Eine Analyse.
Am 25. August 2015 brennt in der brandenburgischen Kleinstadt Nauen eine Turnhalle ab. Flüchtlinge sollten hier einziehen, jetzt ist das Gebäude zerstört. Die Polizei geht von einem rechtsextremistischen Brandanschlag aus, verübt mit hoher krimineller Energie. Die Täter haben offensichtlich Gas in die Schulsporthalle eingeleitet und Autoreifen angezündet. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) spricht von „rechtem Terror“. Der Vorsitzende der Berliner NPD, Sebastian Schmidtke, sieht das ganz anders.
„Für die Region vor Ort ist es natürlich erst einmal ein Erfolg“, sagt Schmidtke dem Fernsehsender rbb. „Für die Bürger ist es erst mal gut, und auch für die Bürgerinitiativen vor Ort ist es gut, ja.“ Für das Feuer selbst fühlt sich Schmidtke natürlich nicht verantwortlich. Auch sonst niemand von der NPD. Die Bezeichnung „verbaler Brandbeschleuniger“ würde sich jeder Funktionär verbitten.
Das ist brennpunktartig die Partei, um die es von Dienstag an in Karlsruhe geht. Genauer: Es geht um ihre Existenz, die der Bundesrat mit seinem Antrag auf Verbot ein für alle Mal beenden will. Das Bundesverfassungsgericht hat zur mündlichen Verhandlung im Verbotsverfahren geladen, zunächst sind drei Tage angesetzt. Zu erwarten ist eine geradezu historische Kulisse.
Die Ministerpräsidenten von Bayern, Sachsen, Nordrhein- Westfalen und Baden-Württemberg haben sich angekündigt, dazu zehn Länderinnenminister sowie die Chefs aller 17 Verfassungsschutzbehörden, also auch Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamtes. Die Wucht der Prominenz entspricht dem Aufwand, den die Prozessbevollmächtigten der Länderkammer, die Berliner Juraprofessoren Christoph Möllers und Christian Waldhoff, betrieben haben.
700 Belege für die Verfassungsfeindlichkeit - ob die reichen?
Den Verbotsantrag und sechs weitere Schriftsätze haben sie beim Gericht eingereicht, auf hunderten Seiten werden rund 700 Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD präsentiert. Die alle „quellenfrei“ sein sollen, also nicht kontaminiert durch V-Leute.
Wenn dann noch ein Sebastian Schmidtke trotz drohenden Verbots Brandreden hält, könnte die Annahme plausibel sein, die Richter wären von der Notwendigkeit eines Verbots der NPD leicht zu überzeugen. Doch das ist keineswegs sicher.
Nicht so sehr wegen der Ideologie der ältesten Partei des deutschen Rechtsextremismus. Was die NPD seit einem halben Jahrhundert von sich gibt, ist durchgehend rassistisch, antidemokratisch, verfassungsfeindlich. Belege finden sich seit Jahrzehnten in den Berichten des Verfassungsschutzes. „Zur geistigen Überfremdung der Deutschen“ sei „die noch bedrohlichere Entvolkung getreten“, zitiert das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 1976 aus dem NPD-Blatt „Deutsche Stimme“. Ein Sprung in die Gegenwart: Vor wenigen Tagen hat Parteichef Frank Franz im selben Tonfall versucht, Polizei und Bundeswehr zum Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung anzustacheln.
Deren „Volksaustausch betrifft uns alle“, und „die Duldung eines gigantischen Mißbrauchs unseres Asylrechts“ könne „die Bevölkerungsstruktur und den soziokulturellen Charakter Deutschlands unwiederbringlich zerstören“, heißt es in einem Schreiben, das an Dienststellen in mehreren Ländern verschickt wurde. Will Frank Franz etwa Polizisten und Soldaten zum Putsch animieren? Nein, nein, wehrt er ab, „wir sagen ja nicht, sie sollen ihre Waffen gebrauchen“. Widerstand könne auch bedeuten, „auf der Straße zu demonstrieren“.
Die NPD gibt sich selbstbewusst - und möchte dem Staat ein Debakel bescheren
Dennoch wirkt das Schreiben so kurz vor der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe provokativ, wenn nicht verwegen. Die NPD denkt offenbar, ihr könne nichts passieren. Das entspricht dem Kalkül der Partei. Sie hofft, wie schon beim gescheiterten Verbotsverfahren 2003 werde auch diesmal der Verfassungsschutz alles vermasseln. Mit Spitzeln, die entgegen aller Testate der Innenminister auch jetzt noch in Vorständen der Partei schnüffeln. Und damit ein unüberwindliches Verfahrenshindernis wären – wie vor 13 Jahren, als der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts von „mangelnder Staatsfreiheit“ der NPD auf Führungsebene sprach. Gänzlich auszuschließen ist ein solches Debakel auch jetzt nicht. Und die NPD, allen voran ihr agiler Prozessbevollmächtigter Peter Richter, tut alles, um ein Desaster herbeizuführen.
Der junge Saarbrücker Anwalt, zugleich Vizechef der Partei im Saarland, hat Ende Januar im Gespräch mit dem Tagesspiegel eine makabere Strategie angedeutet. „Wir sind dabei, in den V-Mann-Geschichten parteiinterne Ermittlungen anzustellen“, sagte der junge Jurist. Die Vermerke der Verfassungsschutzbehörden zur Abschaltung von Spitzeln in den Vorständen der NPD seien „durchaus aufschlussreich“. Obwohl die elf Namen, um die es geht, geschwärzt sind. „Von der Größe des Schwärzungsbalken konnte man auf die Namen schließen“, sagte Richter. Und die parteiinternen Ermittlungen hätten „teilweise Früchte getragen“.
Ein Bluff? In Sicherheitskreisen werden vorsichtshalber unangenehme Szenarien für die Verhandlung durchgespielt.
Es könnte sein, heißt es, dass die NPD tatsächlich einen der elf abgeschalteten V-Männer präsentieren kann. Der dann auch noch behauptet, er habe trotz des offiziellen Endes der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz weiter Kontakt zu seinem V-Mann-Führer unterhalten. Und über das Verbotsverfahren gesprochen. Das würde bedeuten, der Staat hätte die Prozessstrategie der NPD ausspioniert. Die Gefahr, dass dann der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wie schon 2003 das Verfahren einstellt, wäre plötzlich konkret. Und eine riesige Blamage für Verfassungsschutz und Bundesrat.
Der Staat tritt breit aufgestellt und einig zum Prozess an
Um das zu vermeiden, kommen die vielen Innenminister und hochrangigen Nachrichtendienstler nach Karlsruhe. Sollte der NPD-Anwalt eine brisant klingende V-Mann-Geschichte vortragen, könnte die betroffene Verfassungsschutzbehörde sofort reagieren. Ihr Chef oder ihre Chefin würde sich zu Wort melden und versuchen, mit vielen Fakten jeden Verdacht zu widerlegen. Das ist zumindest der Plan. Ob er taugt, lässt sich nicht vorhersagen. Aber auch genauso wenig, ob er überhaupt gebraucht wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls den Punkt „Verfahrenshindernisse“ für den Beginn der Verhandlung angesetzt, gleich nach den „Einführenden Stellungnahmen“. Erst später geht es um die „Begründetheit“ des Verbotsantrags. Da wird dann die Hetze der NPD gegen Migranten zur Sprache kommen, die aggressive Einstellung gegen Juden, Linke, Demokraten und wer sonst noch zum Feindbild zählt. Und die vom Bundesrat gesehene „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“. Zu diesen Punkten hat Peter Richter keinen einzigen Schriftsatz eingereicht. Weil er sich überwacht fühle und nicht vertraulich kommunizieren könne, sagt er.