Debatte um Essener Tafel: Verbände fordern höhere Hartz-Sätze gegen Armut
In der Diskussion um die Essener Tafel kritisieren Fachverbände die Sozialpolitik der Bundesregierung. Nicht die Tafeln seien das Problem, sondern die wachsende Armut.
Wohlfahrts- und Flüchtlingsorganisationen haben den Streit um die Essener Tafel zu einer Abrechnung mit der Armutspolitik der Bundesregierung genutzt. Kern des Problems seien nicht die Tafeln, sondern „die gewachsene Armut in einem reichen Land“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, am Dienstag. Die regulären Beträge der Grundsicherung seien „definitiv zu knapp bemessen“ und böten „kaum eine Chance, über den Monat zu kommen“.
Bundesregierung soll "offensive Sozialpolitik" machen
Gleichzeitig kritisierte Schneider die Essener Entscheidung als „objektiv ethnische Diskriminierung“, die korrigiert werden müsse. Von Rassismus wollte er aber nicht sprechen. Die Essener Tafel hatte entschieden, Neuanmeldungen für ihre Lebensmittelverteilung nur noch von deutschen Bedürftigen zu akzeptieren. Ihr Leiter begründete dies damit, dass es Klagen über rücksichtsloses Verhalten von Flüchtlingen gegeben habe. Schneider sagte, es gebe genügend Beispiele dafür, wie das Problem besser zu lösen sei – etwa durch Lossysteme oder Bevorzugung von Alten oder Frauen mit kleinen Kindern. Viele Tafeln seien mittlerweile überfordert, auch dadurch, dass sie nicht mehr genug zu verteilen hätten.
Die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Barbara Eschen, ergänzte, man habe keine Lust mehr auf Diskussionen, die Arme gegen Arme ausspielten wie im Fall Essen. Armut wachse seit den 1990er Jahren, der Grund sei „langjähriges Versagen des Staates“, nicht aktuelle Fluchtbewegungen. Schneider, Eschen und der Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, stellten am Dienstag eine gemeinsame Erklärung von 30 Verbänden vor, die die künftige Bundesregierung zu einer „offensiven Sozialpolitik“ auffordern. In der Erklärung, die unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Kinderschutzbund und die Tafel-Bewegung selbst unterschrieben haben, fordern sie, die Hartz-IV- und Sozialhilfesätze aufs tatsächliche Existenzminimum anzuheben – es liegt nach ihren Berechnungen zwischen 529 und 560 Euro, also bis zu 150 Euro höher als jetzt – und dabei auch Geflüchtete einzubeziehen. Für sie gelten bisher geringere Sätze.
Kritik am Koalitionsvertrag
Alle drei kritisierten den Koalitionsvertrag, der „kein großer armutspolitischer Entwurf“ sei. Hartz IV sei darin nicht einmal erwähnt, sagte Schneider, die „vielgepriesene Grundrente“, die man Union und SPD verabredet haben, werde kaum einen Bedürftigen erreichen.
Günter Burkhardt von Pro Asyl lobte die Kanzlerin für ihre Kritik an der Essener Tafel. Um Armut unter Geflüchteten zu verhindern, brauche es aber „aktive Integration“. Er sei deshalb über den CSU-Politiker Dobrindt entsetzt, der vom Ende der deutschen Integrationsfähigkeit spreche.
Andrea Dernbach
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