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Ulrich Lilie ist Theologe und seit 2014 Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes Diakonie mit 526 000 Angestellten.
© epd

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: „Armut kann man nicht den Tafeln überlassen“

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie spricht über die Arbeit der Tafeln und die Bekämpfung von Armut in Deutschland.

Ist es akzeptabel, in einer sozialen Organisation zwischen Deutschen und Ausländern zu unterscheiden?

Es wäre in Essen sicherlich eine glücklichere Lösung möglich gewesen. Grundsätzlich sind Tafeln der Bedürftigkeit verpflichtet – da kann es nicht um Pass oder Ethnie gehen. Wir müssen aber auch ehrlich eingestehen, dass durch den Zuzug der Flüchtlinge mancherorts der Bedarf an Hilfe so gewachsen ist, dass einzelne Hilfseinrichtungen eben an die Grenzen ihrer Kapazitäten stoßen.

Welche andere Möglichkeit hätte es gegeben, das Problem von Zielgruppenkonkurrenzen zu lösen?

Wir machen die Erfahrung, dass dort, wo sich alle Beteiligten – die Tafeln, die Kommunen, die Hilfsorganisationen und die Betroffenen – an einen runden Tisch setzen, auch in angespannten Situationen Auswege gefunden werden. Es gibt da keine Patentrezepte, dazu sind die Situationen vor Ort zu unterschiedlich. Manchmal hilft es, dass für unterschiedliche Personengruppen verschiedene Öffnungszeiten angeboten werden, oder dass man Personal zur Betreuung der Wartenden einsetzt.

Sind die Tafeln überhaupt eine nötige und richtige Form der Hilfe? Warum muss in einem reichen Land Nahrung auf diesem Weg verteilt werden?
Die Tafeln sind eine wunderbare Bewegung, die an vielen Stellen Not lindern. Rund eineinhalb Millionen Menschen werden bundesweit versorgt. Hinter dieser Leistung stehen 50 000 bis 60 000 Ehrenamtliche. Aber die Tafeln sind keine Antwort auf das strukturelle Armutsproblem. Das muss jetzt dringend von der Politik gelöst werden – das kann man nicht den Tafeln überlassen. Wir müssen darüber reden, wie wir die Hartz-IV-Sätze erhöhen und wie in diesem reichen Land mehr Geld zur Bekämpfung der Armut eingesetzt werden kann. Dass muss für die neue Bundesregierung unbedingt eine vorrangige Aufgabe sein.

Andrea Dernbach

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