Sexueller Missbrauch durch Politiker: US-Kongress: Schweigegeld hält Skandale unter Verschluss
Mächtige Männer, die Frauen bedrängt und erniedrigt haben - jetzt gerät das Kapitol in den Fokus. Nur zwei Politiker stehen am Pranger. Doch die Dunkelziffer ist hoch.
Ist das Hohe Haus ein Schweinestall? Nach den Skandalen um sexuelle Missbrauchsfälle in Hollywood, in den Medien und im Sport rückt jetzt das amerikanische Parlament in den Mittelpunkt von Vorwürfen von Frauen, die von mächtigen Männern bedrängt, benutzt und erniedrigt wurden. Bisher stehen lediglich zwei prominente Politiker des Kongresses wegen ihres Verhaltens am Pranger, doch die Dunkelziffer im Altherrenclub des Kapitols muss viel höher sein. Schließlich richtete das Parlament schon vor einem halben Jahrhundert ein diskretes System mit Schweigegeldern ein, um die Täter zu schützen – auf Kosten der Steuerzahler.
Dieses System kommt angesichts aktueller Fälle auf den Prüfstand. Der demokratische Senator und frühere Komiker Al Franken geriet wegen Fotos in die Schlagzeilen, die ihn zeigen, wie er den Busen einer schlafenden Schauspieler-Kollegin begrapscht. Dabei hatte Franken sich kurz vor der Veröffentlichung noch mit der „#MeToo“-Kampagne auf Twitter solidarisch erklärt, bei der Frauen über Fälle von sexuellem Missbrauch berichten. Forderungen nach einem Rücktritt lehnte Franken ab; er schäme sich, erklärte der Politiker am Montag lediglich. “Ich will versuchen, aus meinen Fehlern zu lernen.“
Der Obmann der Demokraten musste zurücktreten
Ernstere Folgen hatten Vorwürfe gegen den 88-jährigen Demokraten John Conyers Jr, den dienstältesten Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Conyers musste als Obmann der Demokraten im Justizausschuss der Kammer zurücktreten, nachdem er von einer ehemaligen Mitarbeiterin beschuldigt wurde. Conyers habe sie entlassen, weil sie nicht mit ihm schlafen wollte, sagt die Frau, die anonym blieb. Conyers wies die Vorwürfe zurück, bestätigte aber, dass Schweigegeld gezahlt wurde.
Nicht nur die Demokraten sind betroffen. Auf republikanischer Seite steht nicht zuletzt Präsident Donald Trump selbst in der Kritik, seit im Wahlkampf voriges Jahr Äußerungen bekannt wurden, in denen er sich damit brüstete, fremden Frauen ungefragt zwischen die Beine greifen zu können. In Alabama bewirbt sich ein republikanischer Kandidat um einen Senatssitz, der als junger Mann mehrere Teenager sexuell missbraucht haben soll.
Ohne die Missbrauch-Skandale in anderen Bereichen der amerikanischen Öffentlichkeit wären die Vorfälle in der US-Politik möglicherweise weniger ernst genommen worden. Nun aber müssen die Politiker erklären, warum sie bisher nur wenig gegen sexuelle Nötigung oder Missbrauch in den eigenen Reihen getan haben. Ein Gesetz aus dem Jahr 1955 schreibt vor, dass alle Vorwürfe dieser Art gegen Mitglieder des Kongresses vertraulich behandelt werden müssen. Laut Medienberichten werden im Kongress jedes Jahr mehrere hunderttausend Dollar an Schweigegeld an Frauen gezahlt, die Politikern sexuelle Aggression vorwerfen, in manchen Jahren auch mehrere Millionen. Die Kosten trägt der Steuerzahler.
Das bisherige System schütze die Täter statt die Opfer, sagte die Abgeordnete Jackie Speier dem Fernsehsender ABC. Speier weiß, wovon sie spricht. In einem Video, das sie bei „#MeToo“ veröffentlichte, beschrieb sie kürzlich, wie sie als junge Assistentin im Kongress vom Stabschef eines damals mächtigen Politikers gegen ihren Willen geküsst wurde. „Erniedrigung und Wut“ habe sie damals empfunden, doch ungewöhnlich sei ihr Schicksal im Kongress nicht gewesen. Das Parlament sei eine „Brutstätte für repressive Arbeitsbedingungen“.
Vier von fünf Kongressmitgliedern sind Männer
Wie andere Politiker fordert Speier jetzt mehr Transparenz, doch derzeit ist offen, ob sie sich damit durchsetzen können. Vorerst setzen beide Parlamentskammern auf Gesten, die Veränderungswillen signalisieren sollen, aber mutmaßlichen Tätern nicht viel abverlangen. Im Senat müssen sich alle Politiker und Mitarbeiter einer Schulung zu den Themen Missbrauch und Diskriminierung unterziehen; im Repräsentantenhaus soll bald eine ähnliche Regelung folgen.
Doch ob damit eine über Jahrzehnte gewachsene frauenfeindliche Atmosphäre verändert werden kann, ist fraglich. Die Nachrichten-Website FiveThirtyEight verwies auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen sexueller Missbrauch in eindeutig von Männern dominierten Institutionen häufiger vorkommt als anderswo. Der US-Kongress mit seiner männlichen Vierfünftel-Mehrheit gehört dazu.
Auch herrscht in der US-Gesellschaft insgesamt ein Klima, in dem unerwünschte Avancen von Männern immer noch vielerorts als normal empfunden werden. Trumps Wahlsieg über Hillary Clinton im vergangenen Jahr ist dafür das beste Beispiel: Nach Bekanntwerden seiner unappetitlichen Sprüche über seinen Umgang mit fremden Frauen spielte der damalige Präsidentschaftskandidat die Äußerungen als harmloses Gerede unter Männern herunter – und viele nahmen ihm das ab. Trump gewann die Wahl.
Inzwischen kann Trump noch einen Schritt weiter gehen. Anders als im vergangenen Jahr, als er die frauenfeindlichen Äußerungen zwar beschönigte, aber doch bestätigte, spricht der Präsident inzwischen laut „New York Times“ in internen Beratungen von falschen Anschuldigungen. Zumindest von ihm sind keine Impulse für eine Reform des frauenfeindlichen Kumpel-Systems in Washington zu erwarten.