Vor Misstrauensvotum und Neuwahlen: Unruhige Zeiten für Kanzler Kurz
Am Montag entscheidet sich die Zukunft von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Selbst wenn er das Misstrauensvotum übersteht, bleibt er nicht unbedingt im Amt.
Er wird schon mal ruhiger geschlafen haben: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ist kein Freund unerwarteter und unberechenbarer Situationen. Er ist ein kühler Stratege, der gerne im Voraus plant. Das aktuelle politische Chaos in Österreich ist die erste Delle in der sonst steilen Karriere des 32-Jährigen. Wie kam es dazu – und wie wird es weitergehen?
Der ÖVP-Politiker hatte in den bisherigen knapp eineinhalb Jahren als Kanzler so gut wie alle Debatten unter Kontrolle, es gab selten Querschüsse innerhalb der Regierung, Reformen wurden meist häppchenweise verkauft, um länger die Schlagzeilen zu dominieren, und nach außen gab es immer eine einheitliche Botschaft der Koalitionspartner. Kommunikationsprofis nennen das „message control“ – in Österreich mittlerweile ein geflügeltes Wort.
Auch seine Regierung erfreute sich bis zuletzt hoher Beliebtheitswerte. „Neuer Stil“ und „Zeit für Veränderung“ waren seine Wahlkampfslogans. Seine ÖVP, als einzige Partei seit 32 Jahren durchgehend in der Regierung, bekam einen neuen Anstrich: Kurz sprach – in Anlehnung an Macron – konsequent nur mehr von einer „Bewegung“, wechselte die Parteifarbe vom traditionellen Schwarz in das hippe Türkis, scharte neue junge Leute um sich und taufte die Volkspartei in „Neue Volkspartei“ um.
Bisherige Verfehlungen der FPÖ belasteten die Regierung zwar immer wieder, Kurz ließ sich davon aber nicht beirren und kommentierte – in Österreich mittlerweile ironisch so genannte – „Einzelfälle“ des Koalitionspartners oft gar nicht, was ihm bei der Opposition den Beinamen „Schweigekanzler“ einbrachte.
Karten neu gemischt
Seit einer Woche funktioniert diese Strategie allerdings nicht mehr. Das Video, das Heinz-Christian Strache (FPÖ) zeigt, wie er einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte Staatsaufträge gegen Parteispenden in Aussicht stellt und ihr vorschlägt, sich in die mächtige „Kronen Zeitung“ einzukaufen, um seine FPÖ zu „pushen“, änderte alles. Strache trat zurück, Kurz beendete die Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ. Im September soll es Neuwahlen geben.
Schließlich räumten alle FPÖ-Minister ihre Büros, nachdem Kurz und Präsident Alexander Van der Bellen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, der zum Zeitpunkt des Ibiza-Videos für die Parteifinanzen zuständig war, seines Amtes enthoben. Für die vakanten Ministerien – Verteidigung, Inneres, Soziales und Infrastruktur – schlug Kurz unabhängige Experten vor, Van der Bellen vereidigte sie am vergangenen Mittwoch.
Die Karten sind nun also völlig neu gemischt, Kurz hat die Zügel so gut es geht wieder in der Hand, steht quasi einer ÖVP-Minderheitsregierung vor. Damit das so bleibt, braucht er jetzt Teile der um die FPÖ angewachsenen Opposition. Denn stimmen SPÖ und FPÖ am Montag bei der ersten Nationalratssitzung seit Ende der Regierung für einen Misstrauensantrag, den die „Liste Jetzt“ gegen Kurz einbringen wird, ist seine Kanzlerschaft vorläufig beendet.
Zwei Darstellungen bestimmen die politische Debatte in Österreich. Die erste: Österreich brauche Stabilität in diesen schwierigen Tagen, deswegen müsse die Übergangsregierung nun im Amt bleiben – auch um Van der Bellen nicht zu brüskieren. Die zweite: Unter Kanzler Kurz sei keine Stabilität möglich. Nachdem er vor zwei Jahren schon die Koalition mit den Sozialdemokraten aufkündigte und 2017 in Neuwahlen ging, sprengte er nun bereits die zweite Regierung innerhalb weniger Jahre.
Viele offene Fragen
Die liberale Partei NEOS hat sich festgelegt und wird dem Antrag nicht zustimmen. Parteivorsitzende Beate Meinl-Reisinger will Kurz nicht „aus der Verantwortung nehmen“. Falls er der Aufklärung der Vorfälle allerdings im Weg stehen sollte, so kündigt Meinl-Reisinger an, werde NEOS zu einem späteren Zeitpunkt selbst einen Misstrauensantrag einbringen.
So konkret legen sich Sozialdemokraten und Rechtspopulisten noch nicht fest. Die FPÖ betont immer wieder, dass sie niemandem das Vertrauen aussprechen kann, der ihr durch die Aufkündigung der Koalition das Misstrauen ausgesprochen habe. Bei der größten Oppositionspartei, den Sozialdemokraten, gestaltet sich die Situation etwas komplexer. Teile der Partei scheinen um ihr Image zu fürchten, sollte das erste Mal in Österreichs Geschichte ein Kanzler durch das Parlament abgesetzt werden. Nach innen würde es allerdings für gehörigen Unmut sorgen, sollten die sozialdemokratischen Abgeordneten den Misstrauensantrag nicht unterstützen.
Wie sich die Situation bis zur Wahl entwickelt, kann niemand vorhersagen – zu viele Fragen sind rund um das Ibiza-Video offen. Dazu zählt die Entstehungsgeschichte des Videos – weiterhin ein Rätsel, dessen Aufklärung im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird. Zumal sich die FPÖ jetzt schon als Opfer inszeniert, das hintergangen und von „linken Netzwerken“ oder „ausländischen Geheimdiensten“ zum Schaden Österreichs hinters Licht geführt wurde.
Offen ist auch, wer nach der nächsten Wahl mit wem koalieren wird – und wie das Platzen der ÖVP-FPÖ-Regierung wirklich genau ablief. Kurz will öffentlich nicht ausschließen, nach der nächsten Wahl wieder mit den Rechtspopulisten zu koalieren. Die FPÖ hätte nun zuerst einmal für Aufklärung zu sorgen, bevor man sich zu möglichen Koalitionsvarianten äußere, erklärt Kurz in aktuellen Interviews. Dem ORF sagte er: „Am Ende des Tages entscheidet in Österreich das Volk – und zwar im September.“
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