Streit um Reform: Union möchte beim Wahlrecht eine Extrawurst
Die Runde der Fraktionen im Bundestag tut sich weiter schwer mit der Wahlrechtsreform. Die Union will eine Art Prämie für Parteien mit Überhangmandaten.
Die Runde um Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), die sich um eine Reform des Wahlrechts kümmert, kommt nur mühsam voran. Auch am Mittwochabend gelang die angestrebte Einigung nicht – damit sprechen die Fraktionsvertreter seit mehr als einem Jahr ergebnislos darüber, wie es gelingen könnte, den Bundestag möglichst nahe an seiner Mindestgröße von 598 Abgeordneten zu halten.
Bei der Wahl 2017 ergaben sich durch Überhänge und Ausgleichsmandate 709 Sitze. Nach den aktuellen Umfragen ist auch ein Bundestag mit mehr als 800 Abgeordneten nicht auszuschließen. Die Schäuble-Runde tagt hinter verschlossener Tür.
Nach Informationen des Tagesspiegels sind sich vier Fraktionen mehr oder weniger einig, wie man zu einem Ergebnis kommen könnte. SPD, Grüne, FDP und Linke meinen, durch eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise (und damit der Direktmandate) und einem einfacheren Zuteilungsverfahren ließe sich eine einigermaßen berechenbare Bundestagsgröße nahe an der Mindestgröße erreichen.
Im Gespräch ist eine Verringerung auf 240 Wahlkreise (von derzeit 299) bei gleichbleibender Mindestsitzzahl. Da die Unionsfraktion sich nicht mit einem solchen Einschnitt anfreunden kann, wird auch überlegt, ob man die Mindestgröße moderat erhöht, etwa auf 630 oder 640 Sitze. Damit müsste, um den gleichen Effekt zu erzielen, die Wahlkreiszahl nur auf 270 gesenkt werden.
Müssen alle Überhänge ausgeglichen werden?
Nach Tagesspiegel-Informationen will die Union jedoch erreichen, dass nicht alle Überhänge ausgeglichen werden müssen. Diese entstehen, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis – also nach dem Parteienproporz – insgesamt an Sitzen zusteht. Dann wird nach dem bisherigen Wahlrecht so lange mit zusätzlichen Mandaten ausgeglichen, bis das Zweitstimmenverhältnis erreicht ist. Daher resultiert der Aufwuchs auf 709 Sitze, denn es mussten 36 Überhänge der CDU ausgeglichen werden.
In der Union liebäugelt man nach wie vor mit einem Modell, in dem nicht alle Überhänge auszugleichen sind. Die Fraktion verweist dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012, in dem entschieden wurde, dass bis zu 15 Überhangmandate ohne Ausgleich zulässig wären.
Faktisch käme das angesichts der aktuellen Dominanz der Union bei den Direktmandaten einer Art Mandatsprämie für CDU und CSU gleich. Die Frage ist, ob die anderen Fraktionen das akzeptieren – im Ergebnis würde nämlich der Parteienproporz bei der Sitzverteilung nicht mehr exakt wiedergegeben. Das aber war bisher die Forderung aller Fraktionen mit Ausnahme der CDU/CSU.
Auch Schäuble hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass der Parteienproporz ein Reformziel sei. Zum Auftakt der Gespräche unter seiner Leitung Ende 2017 hatte er dem Tagesspiegel gesagt: „Das Prinzip, dass sich der Bundestag entsprechend den jeweiligen Stimmenanteilen der Parteien zusammensetzt, hat eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.“ Und er hatte hinzugefügt: „Das gilt auch für die Existenz von Wahlkreisen.“
Um bei einer Zahl von 299 Wahlkreisen bleiben zu können, hat nun der Justiziar der Unions-Fraktion, der CSU-Abgeordnete Michael Frieser, einen Vorschlag gemacht, der sich auf das Berechnungsverfahren bezieht. Vereinfacht gesagt soll bei der Sitzzuteilung innerhalb der Länder nicht allein das Zweitstimmenergebnis einer Partei herangezogen werden, sondern gegebenenfalls auch die addierten Erstimmen. Mit diesem mathematischen Kniff soll es zu einem geringeren Ausgleichsbedarf kommen. Frieser setzt also weniger bei den Überhängen an, sondern bei den Ausgleichsmandaten. Nach seiner Auskunft wäre man mit diesem Schritt 2017 bei etwa 660 Mandaten gelandet. Der Parteienproproz würde etwas vom damaligen Ergebnis abweichen.
Paritätsgesetz vorerst vom Tisch
Vorerst vom Tisch ist das Vorhaben, im Rahmen der Wahlrechtsreform auch ein Paritätsgesetz anzustreben mit dem Ziel, dass mindestens die Hälfte der Abgeordneten weiblich ist. Dafür hatte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) einen Vorschlag gemacht, zuletzt hatte auch der Brandenburger Landtag ein solches Gleichstellungsgesetz verabschiedet.
Allerdings ist nicht klar, ob solche Gesetze verfassungskonform sind. Mehrere prominente Wahl- und Parteienrechtler haben Zweifel, darunter die Düsseldorfer Rechtsprofessorin Sophie Schönberger. Auch das bayerische Verfassungsgericht hat im vorigen Jahr geurteilt, dass ein Paritätsbegehren nicht mit der Landesverfassung in Einklang stehe. Im Bundestag bestehen Bedenken nicht zuletzt bei der FDP, die einen Verstoß gegen das Gebot der Freiheit der Wahl sieht.
Nichtdestotrotz hat sich am Donnerstag im Bundestag eine fraktionsübergreifende Gruppe von Frauen zusammengetan mit dem Ziel, mehr weibliche Abgeordnete in den Bundestag zu bringen. Während bei SPD, Grünen und Linken weiterhin am Projekt einer gesetzlichen Regelung festgehalten wird, geht es den Frauen in der Union und der FDP eher darum, andere Möglichkeiten auszulosten.
Albert Funk