Wahlrecht für den Bundestag: Union fordert Obergrenze für Abgeordnete
Nach der Wahl im Herbst könnte der Bundestag auf bis zu 700 Abgeordnete anwachsen. Unionsfraktionschef Volker Kauder schlägt eine Deckelung vor. Die SPD ist gesprächsbereit - stellt aber eine Bedingung.
Gelingt den Bundestagsfraktionen nochmals ein Anlauf, die drohende Vergrößerung des Bundestages auf möglicherweise bis zu 700 Mandate bei der nächsten Wahl abzuwenden? Die CDU/CSU-Fraktion hat mit großer Mehrheit einen Beschluss gefasst, der darauf hinausläuft, die Zahl der Sitze bei etwa 630 zu deckeln – also bei der Größe des jetzigen Parlaments.
„Wir wollen noch einmal einen Anlauf für die dringend notwendige Reform des Wahlrechts unternehmen, um eine weitere Vergrößerung des Bundestags zu verhindern“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder dem Tagesspiegel. „Noch ist die Zeit, eine Verständigung mit allen anderen Fraktionen zu erreichen. Alle sollten den Willen aufbringen, sich zu diesem Schritt durchzuringen.“ Die Zahl der Sitze müsse gedeckelt werden, „sonst kommen wir alle in den nächsten Monaten in schwierige Diskussionen“.
Der Koalitionspartner ist bereit für eine nochmalige Runde (die Gespräche zwischen Union und SPD im Dezember hatten zu nichts geführt). Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, sagte dem Tagesspiegel: „Der Wählerwille muss in der Zusammensetzung des Bundestags so genau wie möglich abgebildet werden. Das hat uns auch das Bundesverfassungsgericht klar ins Stammbuch geschrieben. Auf dieser Basis sind wir natürlich zu weiteren Gesprächen über eine Reform des Wahlrechts bereit. Wir blicken neuen Vorschlägen mit Interesse entgegen.“
"Größerer Bundestag kostet mehr"
Kauder sorgt sich um die Arbeitsfähigkeit eines stark vergrößerten Parlaments. Der Gesetzgebungsprozess vor allem in den Ausschüssen würde erschwert. „Die Bundestagsausschüsse müssen zahlenmäßig so besetzt sein, dass eine konzentrierte Beratung möglich ist.“ Jedem Parlamentarier müsse auch ein Aufgabengebiet zugewiesen werden können, für das er als Berichterstatter zuständig sei. Diese Themenfelder sollten nicht zu kleinteilig werden.
„Natürlich ist auch zu berücksichtigen, dass ein größerer Bundestag mehr kostet“, sagte Kauder. In diese Richtung äußerte sich auch Bundestagspräsident Norbert Lammert auf einer Veranstaltung des Bundes der Steuerzahler am Mittwochabend. Die Organisation übergab dabei eine Liste mit 114.000 Unterschriften gegen eine Vergrößerung des Bundestags.
Hintergrund ist die Wahlrechtsänderung von 2012, die dazu führte dass Überhangmandate, die den Parteienproporz verzerren, durch zusätzliche Sitze ausgeglichen werden. So wird garantiert, dass die Parteien gemäß ihrem Zweitstimmenanteil im Bundestag vertreten sind. Wegen der vier Überhangmandate der CDU bei der Wahl 2013 stieg die Zahl der Abgeordneten mit den nötigen Ausgleichsmandaten auf 631. Die gesetzliche Mindestgröße des Bundestags liegt bei 598 Abgeordneten. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Land mehr Direktmandate in den Wahlkreisen gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich zustehen.
2013 zogen nur vier Parteien in den Bundestag. Da bei der Wahl am 24. September möglicherweise auch AfD und FDP ins Parlament einziehen, könnte der Ausgleichsbedarf größer werden. Zudem könnte es deswegen auch mehr Überhangmandate geben. Schätzungen auf der Basis aktueller Umfragedaten liefen zuletzt auf eine Parlamentsgröße von 660 bis 690 Abgeordneten hinaus. Es gibt aber einige Modelle, das zu verhindern.
Union folgt Norbert Lammerts Vorschlag
Der Bundestagspräsident hatte im vorigen Frühjahr einen Vorschlag gemacht, wie man die Zahl der Mandate bei etwa 630 deckeln könnte. Überhangmandate würden demnach nur über Zusatzsitze ausgeglichen, bis die Zahl 630 erreicht ist. Dann wird versucht, weitere Überhangmandate mit Listenmandaten der Partei zu verrechnen, die Überhänge hat. Verbleibende Überhangmandate werden dann nicht mehr ausgeglichen oder verrechnet. Dem waren aber die anderen Fraktionen nicht gefolgt, weil er nach den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen der Union einen Vorteil verschaffen kann, zumal wenn das „Bayern-Problem“ auftritt, weil CSU-Überhänge nicht mit CDU-Listen verrechnet werden können.
Die Unions-Fraktion folgt nun dem Lammert-Vorschlag. Die Obergrenze soll bei 630 Mandaten liegen, der Ausgleich würde also begrenzt. Überhangmandate darüber würden nicht mehr ausgeglichen. Dahinter steht auch das Anliegen, das Verhältnis von Abgeordneten mit Direktmandat und Listenabgeordneten einigermaßen im Lot zu halten.
Realisierbar, aber problematisch
Robert Vehrkamp, Wahlrechtsexperte der Bertelsmann-Stiftung, hält Lammerts Vorschlag zwar für kurzfristig realisierbar. Doch gibt er zu bedenken, dass der innerparteiliche Regionalproporz bei der CDU erheblich verzerrt werden könnte. Zudem könne es passieren, dass sich die Mehrheiten verkehren. „Eine solche Mehrheitsgenerierung oder Mehrheitsverhinderung durch Überhangmandate wäre demokratiepolitisch der größte anzunehmende Unfall.“
Er schlug daher zusammen mit dem Hamburger Politologen Florian Grotz, das Lammert-Modell zu modifizieren. Allen Landeslisten sollten Mandate garantiert werden, zudem könne man das komplizierte Zuteilungsverfahren mit seinen zwei Stufen vereinfachen. „Das wäre kein hundertprozentiger Schutz vor Vergrößerung, würde aber die Wahrscheinlichkeit deutlich reduzieren“, sagte Vehrkamp dem Tagesspiegel.
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