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Ungarische Soldaten und Polizisten patrouillieren in der Transitzone an der ungarischen Grenze zu Serbien.
© Sandor Ujvari/dpa

Flüchtlingspolitik in der EU: Ungarn sperrt Flüchtlinge weg

Ungarn hat seine Flüchtlingspolitik verschärft. Asylbewerber sollen in Containerdörfern interniert werden. Premier Viktor Orban verspricht sich davon auch Zustimmung im Wahlkampf.

Viktor Orbans Gefühl für den richtigen Zeitpunkt gilt im ungarischen Politikbetrieb als eine seiner unumstrittensten taktischen Stärken. Schon so manches Mal half ihm dieser Instinkt, sich aus einer schwierigen Situation zu retten. Diesmal geht es um eine neuerliche Verschärfung der Flüchtlingspolitik. Das ungarische Parlament, in dem Orbans Fidesz die Mehrheit stellt, hat am Dienstagmorgen ein neues Gesetz beschlossen, wonach alle Migranten, die in Ungarn einen Asylantrag stellen, für die Dauer des Prozesses interniert werden sollen.

Dass die Entscheidung genau eine Woche vor dem ungarischen Nationalfeiertag gefallen ist, der in diesem Jahr auch den Auftakt für den Wahlkampf markiert, dürfte kein Zufall sein. Zwar sind die demokratischen, linken und liberalen Parteien nach wie vor untereinander zerstritten und damit keine echte Gefahr für Orbans Wiederwahl. Die Regierungspartei Fidesz möchte aber sicherstellen, dass sie keine Wähler an die Rechtsradikalen von Jobbik verliert. Gleichzeitig braucht der Premier Themen, die von den zahlreichen Korruptionsskandalen ablenken, in die Fidesz-Politiker und regierungsnahe Geschäftsleute verwickelt sind.

Minderjährige mit Frostbrandwunden

So ein Thema sind spätestens seit 2015 die Flüchtlinge. In fast monatlichen Abständen wurde seitdem etliche Male das Asylrecht verschärft. Der Zaun an der serbischen Grenze wurde ausgebaut, nur zehn Flüchtlinge dürfen täglich von Serbien aus einreisen. Die Bedingungen in den Flüchtlingsheimen wurden mit Absicht und mit Ankündigung verschlechtert.

2016 beschloss die Regierung, eine der letzten offenen Einrichtungen zu schließen. Die Bewohner, hunderte Afghanen, Pakistaner und Iraker, wurden von Bicske nach Körmend geschickt, wo ihnen allerdings nur Zelte auf einem Feld zur Verfügung gestellt wurden. Der kalkulierte Effekt: Die Zustände werden sich dort im Winter so entwickeln, dass eine pauschale Inhaftierung als humanitäre Aktion präsentiert werden kann. In der Tat machten im Januar Bilder von minderjährigen Flüchtlingen mit Frostbrandwunden die Runde in ungarischen Medien und sozialen Netzwerken.

Scharfe Kritik der UN

Prompt kündigte Minister János Lázár das Vorhaben des Kabinetts an, alle Asylsuchenden in geschlossenen Lagern zu internieren. Die gleiche Strategie hatte sich schließlich bereits 2011 im Fall der Kriminalisierung der Obdachlosigkeit als sehr erfolgreich erwiesen. Schikanen, willkürliche Gewalt und sogar Körperverletzungen durch die Polizei gehören zum Alltag für Obdachlose und Flüchtlinge, wie Menschenrechtsorganisationen berichten. Die Vereinten Nationen kritisierten am Dienstag den neuerlichen Parlamentsbeschluss. Die Entscheidung, alle Asylbewerber für die Dauer ihres Verfahrens in grenznahen „Transitzonen“ festzusetzen, sei ein klarer Bruch des EU-Rechts und des Völkerrechts, so das Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf.

Die Internierung in Schiffscontainern, die von hohem Stacheldraht umgeben sind, werde schwere psychische und physische Auswirkungen auf die Menschen haben. Die Asylbewerber, darunter Kinder, hätten in der Regel schon in ihren Heimatländern und auf der Flucht viel Schlimmes erlebt. Das UNHCR betonte, dass besonders die Mädchen und Jungen unter der Inhaftierung leiden. Das neue Gesetz mache ein faires und humanes Asylverfahren praktisch unmöglich.

Pro Asyl fordert Abschiebestopp

Die Organisation Pro Asyl sprach von einer „dramatischen Menschenrechtslage“ in Ungarn. Sie forderte die Bundesregierung auf, keine Flüchtlinge mehr in das Land zurückzuschicken. „Wir erwarten einen sofortigen Abschiebestopp“, sagte Europaexperte Karl Kopp dem Tagesspiegel. In ungarischen Flüchtlingseinrichtungen würden Männer, Frauen und selbst Kinder schon jetzt Opfer schlimmer Übergriffe. Die EU müsse darauf endlich reagieren und ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. „Ungarns Flüchtlingspolitik verstößt klar gegen EU-Recht, das muss sanktioniert werden.“ Das neue Gesetz markiere den Ausstieg aus dem Völkerrecht. Leider, so fügte Kopp hinzu, gebe es auch in Deutschland einen "Rollback" in der Flüchtlingspolitik.

Ulrike Scheffer

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