Britisches Unterhaus in der Zwangspause: Und im Oktober geht es dann – um den Brexit
Das Unterhaus hat unter tumultartigen Szenen seine Zwangspause angetreten. Im Oktober versammeln sich die Abgeordneten wieder – und haben das alte Thema.
Es waren einzigartige Szenen, mit denen die letzte Sitzung des Unterhauses unmittelbar vor der Zwangspause in der Nacht zum Dienstag zu Ende ging. Das Ritual der Parlamentspause sah vor, dass Sarah Clarke, die Abgesandte des Oberhauses mit dem Titel „Lady Usher of the Black Rod“, vor den Augen der Abgeordneten um deren Anwesenheit bei der Abschlusszeremonie in der zweiten Parlamentskammer bittet.
Doch in diesem Moment gab es am Platz des Parlamentssprechers John Bercow ein kleines Handgemenge, einige Abgeordnete hielten Zettel mit der Aufschrift „Zum Schweigen gebracht“ hoch.
Es war eine theatralische Darbietung der Opposition, mit der die Gegner von Premierminister Boris Johnson noch einmal auf die merkwürdigen Umstände der Parlamentspause aufmerksam machen wollten.
„Das ist keine normale Parlamentspause“, sagte Bercow am Ende der Sitzung. Der scheidende Parlamentssprecher wies noch einmal darauf hin, dass es sich um die längste Unterbrechung seit Jahrzehnten handelt. Die Zwangspause stelle einen „Ermächtigungsakt der Exekutive“ dar, sagte er.
Johnson hatte Ende August die fünfwöchige Sitzungsunterbrechung verfügt und darauf spekuliert, dass er damit den Widerstand der Parlamentarier gegen seinen Brexit-Kurs stoppen könnte. Allerdings ging Johnsons Rechnung nicht auf: Die Abgeordneten verabschiedeten nicht nur ein Anti-No-Deal-Gesetz, sondern sie widersetzten sich auch Johnsons Wunsch nach baldigen Neuwahlen.
Auch bei der Abstimmung des Unterhauses kurz vor der Sitzungspause fand sich nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit, die für die Neuwahlen erforderlich gewesen wäre. Nur 293 von 650 Abgeordneten stimmten im Sinne Johnsons. Bereits am vergangenen Mittwoch war der Premierminister mit einem Antrag auf Neuwahlen gescheitert.
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Nun werden sich die Abgeordneten erst wieder am 14. Oktober versammeln, wenn die Queen wie von Johnson gewünscht dessen Regierungsprogramm verliest.
Auch die traditionelle Thronrede im Oberhaus dürfte voraussichtlich ganz im Zeichen der Brexit-Wirren stehen. Denn normalerweise verliest die Königin die im kommenden Jahr von der Regierung geplanten Gesetzesvorhaben. Es gilt aber als ausgemacht, dass demnächst Neuwahlen stattfinden. Johnson weiß also nicht, ob er den Verlauf des kommenden Jahres politisch übersteht oder nicht.
In Umfragen führt Johnson weiter
Die Umfragen sehen Johnson gegenüber der oppositionellen Labour-Partei weiter vorne. Allerdings variieren die während der letzten turbulenten Woche erhobenen Umfragen sehr stark. Einige Meinungsforschungsinstitute sehen den Premierminister mit 14 Prozentpunkten in Führung. In anderen Umfragen sind es nur drei Prozentpunkte.
Wann demnächst Neuwahlen stattfinden, dürfte vom Oppositionschef Jeremy Corbyn abhängen. Dessen Labour Party will wie die anderen Oppositionsparteien auch sicherstellen, dass tatsächlich ein harter Brexit am 31. Oktober ausgeschlossen ist, bevor die Zustimmung zur Parlamentsauflösung erteilt wird.
Am Dienstag erklärte Corbyn vor Vertretern des Gewerkschaftsdachverbandes TUC in Brighton, dass eine Neuwahl komme, aber Johnson dafür nicht die „Bedingungen diktieren“ könne. „Niemand kann dem Wort des Premierministers vertrauen, der damit droht, das Gesetz zu brechen, um einen No-Deal-Brexit durchzudrücken“, sagte der Oppositionschef.
Unter dem Beifall der Delegierten fügte er mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen noch hinzu: „Wir sind bereit, die größte Kampagne in Gang zu setzen, die wir je in diesem Land gesehen haben.“ Die Labour-Partei wolle zudem im Falle eines Wahlsieges ein Referendum abhalten, das den Briten die Wahl zwischen einem EU-Austritt und einem Verbleib in der Gemeinschaft lasse.
Corbyn ist vielen Briten weiterhin suspekt
Dass Corbyn damit Erfolg hat, ist aber alles andere als sicher. Der Altlinke ist vielen Briten nach wie vor suspekt. Zudem dürfte Johnson im Wahlkampf das Seine tun, um den Gegner verächtlich zu machen. Im Unterhaus hatte er ihn bereits als „Chlorhühnchen“ verspottet.
Vorerst richtet sich die Aufmerksamkeit indes darauf, welche konkreten Angebote Johnson der EU noch machen könnte, damit der bei den Brexit-Hardlinern verhasste „Backstop“ modifiziert wird.
Nach gegenwärtigem Stand sieht die Garantieklausel für Nordirland vor, dass das gesamte Vereinigte Königreich in der EU-Zollunion bleibt, bis im Zuge der Verhandlungen über das künftige Wirtschaftsverhältnis zwischen der EU und Großbritannien eine dauerhafte Lösung gefunden wird. Irlands Regierungschef Leo Varadkar hatte am Montag nach einer Begegnung mit Johnson noch einmal deutlich gemacht, dass der „Backstop“ als Teil des EU-Austrittsvertrages unverzichtbar ist.
Kehrt Johnson wieder zum ursprünglichen "Backstop"-Modell zurück?
Nachdem Johnson die Nordirland-Klausel zuvor noch als „undemokratisch“ gebrandmarkt hatte, wird inzwischen darüber spekuliert, dass er wieder zu einem „Backstop“-Modell zurückkehren könnte, das in der Zeit seiner Vorgängerin Theresa May schon einmal auf dem Tisch gelegen hatte.
Demnach würde lediglich Nordirland Teil der Zollunion bleiben, die Zollgrenze zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich würde in der Irischen See verlaufen.
Weil die zum Regierungslager zählenden nordirischen Unionisten dieses Modell aber ablehnen, könnten sich neue Probleme für Johnson auftun.
Albrecht Meier