Starkregen in Deutschland: Und es war kein Sommer
Dauerregen und Überschwemmungen statt Sonne im Norden und Osten Deutschlands. Wann haben die Niederschläge endlich eine Ende? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
- Heike Jahberg
- Dr. Roland Knauer
- Maris Hubschmid
- Stefan Jacobs
Weite Teile Deutschlands leiden unter einem Sommer, der diesen Namen bisher nicht verdient hat. In der Nacht zum Dienstag mussten erneut viele Regionen Starkregen verkraften, die Rettungskräfte waren wieder im Dauereinsatz. Und das Schlimmste ist: Es regnet weiter.
Hitze in Südeuropa, Regen im Norden – wie kommt es zu diesen extremen Wetterlagen?
Über die extremen Wetterlagen dieses Sommers staunen auch sehr erfahrene Meteorologen wie Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach: Ein Allzeit-Temperatur-Rekord im südspanischen Cordoba und Jaen von 47 Grad Celsius, Hitzewellen im Süden Deutschlands und parallel dazu Sintfluten, die zwischen Niedersachsen und Berlin Straßen, Gleise und Wiesen fluten. Dieses verrückt scheinende Sommerwetter erklärt Andreas Friedrich mit der aktuellen Wetterlage: Da bildet sich in der Luft über dem westlichen Afrika und der iberischen Halbinsel eine Art Trog mit niedrigerem Luftdruck, während gleichzeitig über dem östlichen Mittelmeer ein weiterer Trog entsteht. Zwischen diesen beiden Gebilden fließt die heiße Luft der Sahara schnurstracks nach Norden und erreicht nicht nur Spanien und Italien, sondern in diesem Sommer immer wieder auch den Süden Deutschlands.
Jetzt im Juli steht auch noch die Sonne in Europa hoch am Himmel und heizt die Luft kräftig weiter auf. So entstehen die Rekord-Temperaturen im Süden Europas. „Bisher ist auch der Sommer im Süden Deutschlands erheblich wärmer als im langjährigen Durchschnitt“, ergänzt Andreas Friedrich. Weil aber dem heißen Luftstrom irgendwo in der Mitte Deutschlands immer wieder mal die Kraft ausging, verzeichneten Berlin und Hamburg bisher erheblich weniger Hitze als München und Stuttgart.
Warum regnet es zurzeit im Norden und Osten Deutschlands so viel?
Berlin und Brandenburg sind in diesem Sommer schon zweimal mit Regen überschüttet worden. Mit den Hitzewellen im Süden hängen diese Sintfluten allerdings nicht direkt zusammen. Eher ähneln sie ein wenig den verheerenden Niederschlägen, die 1997 die Oder-Flut auslösten und in den Jahren 2002 und 2013 an der Elbe und an anderen Flüssen sogenannte Jahrhundert-Hochwasser nach sich zogen. Dabei ziehen Tiefdruckgebiete nicht wie sonst im Sommer direkt von Westeuropa nach Deutschland, sondern nehmen einen Umweg über das Mittelmeer. Dort lässt die heiße Sonne Wasser verdunsten, die Luft wird feuchter. Von der Adria oder vom Schwarzen Meer ziehen solche Tiefdruckgebiete dann im Osten an den Alpen vorbei nach Norden und stoßen dort auf kältere Luft. Weil wärmere Luft leichter als kältere ist, weicht die Luft nach oben aus und kühlt dabei ab. Da kühlere Luft weniger Feuchtigkeit als wärmere enthalten kann, fällt das überschüssige Wasser als Regen zu Boden.
Gleichzeitig bremst die Wetterlage die oft recht zügig ziehenden Tiefdruckgebiete kräftig ab und das Niederschlagsgebiet tritt auf der Stelle. In der Region, wo es zum Stehen kommt, hält der starke Dauerregen dann manchmal tagelang an und macht zwischendurch allenfalls mal ein paar Stunden Pause. Genau das passiert derzeit in einem riesigen Gebiet vom südöstlichen Niedersachsen über Thüringen und Sachsen-Anhalt bis nach Berlin und Brandenburg. „Wir rechnen damit, dass die Niederschläge erst am Donnerstagmorgen enden werden“, fasst DWD-Meteorologe Andreas Friedrich die Situation zusammen.
Ist der Klimawandel an dem Regen schuld?
Bei einer solchen Häufung von extremen Niederschlägen liegt der Verdacht nahe, dass der Klimawandel dahinter stecken könnte. „Steigen die Temperaturen, kann die wärmere Luft mehr Feuchtigkeit enthalten“, erklärt Andreas Friedrich die Physik hinter dieser Frage. Starkregenfälle können demnach häufiger auftreten und sie könnten auch noch stärker werden. Obendrein vermuten Klimaforscher, dass auch andere Wetter-Extreme noch ausgeprägter werden könnten. Längere Trockenperioden und Hitzewellen zum Beispiel. Dann könnten die Temperaturen vor allem in den Großstädten, die sich stärker als das flache Land aufheizen, auch Werte jenseits der 40-Grad-Marke erreichen. Nur um ein paar Wochen später vielleicht von einer neuen Sintflut abgelöst zu werden.
Welchen wirtschaftlichen Schaden richtet der Regen an?
Vor allem die Landwirte leiden unter dem schlechten Wetter. Nicht nur den Erdbeeren war der Juni zu nass – hier wird die Ernte um voraussichtlich 28 Prozent geringer ausfallen als in den vergangenen sechs Jahren. Erdbeeren-Käufer müssen deshalb mehr bezahlen. Aber auch nahezu alle anderen Bauern sehen in diesen Tagen besorgt aus dem Fenster. „Die Erntearbeiten sind momentan völlig zum Erliegen gekommen“, sagt Michael Lohse vom Deutschen Bauernverband. Zwar sei die Wintergerste schon größtenteils eingeholt. Nun aber stünden Raps und Winterweizen an der Erntereife. „Doch wegen der hohen Niederschläge kann man nicht aufs Feld fahren.“ Werde das reife Getreide nass, lege es sich. Im Klartext: Es wird plattgeregnet. Dann kann der Wind nicht mehr durchgehen, es wird nur noch schlecht trocken. „Die Bauern können es allenfalls noch als Futtergetreide anbieten, aber nicht mehr als Brotweizen.“ Das bedeutet Einkommensverluste. In der Region Berlin-Brandenburg ist die Bodenfeuchte laut Verband besonders hoch.
Auch die Textilwirtschaft ist vom Wetter abhängig. Sommermode bleibt hängen, im Juni verzeichnete die Branche ein Minus von 0,9 Prozent. Besondere Ladenhüter: Damen- und Herrenbekleidung sowie Accessoires. Gefragt waren dagegen Socken. Mutmaßlich häufig gekauft würden auch Regenjacken, heißt es beim Branchenverband BTE – diese seien aber leider schon in die Umsatzzahlen von Oberbekleidung eingerechnet.
Was zahlt die Versicherung nach Regenschäden?
Nachdem vielen Berlinern und Brandenburgern jetzt zum wiederholten Male der Keller vollgelaufen ist, wächst die Einsicht: Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen reichen nicht, man braucht eine Elementarschadenversicherung. Als Zusatz zur Hausratversicherung ersetzt sie durchweichte Möbel, Teppiche oder Vorhänge, die reif für den Müll sind, zum Neupreis. Als Zusatz zur Wohngebäudeversicherung übernimmt sie die Kosten für die Trockenlegung und Sanierung des Gebäudes, Reparaturen – und im Extremfall den Abriss und Neubau eines Hauses.
Das Problem: Obwohl die Zusatzpolice für ein Berliner Einfamilienhaus gerade einmal 100 Euro Jahresprämie kostet, ist die große Mehrheit der Berliner nicht versichert. Gerade einmal 30 Prozent der Wohngebäude haben eine Elementarschadenversicherung, bundesweit sind es 40 Prozent. Doch so langsam beginnen auch die Berliner zu erkennen, dass man nicht nur in Köln oder Passau Probleme mit Überschwemmungen bekommen kann, sondern auch in Berlin.
So verzeichnet die Feuersozietät Berlin-Brandenburg zuletzt „ein deutlich gestiegenes Interesse von Berlinern und Brandenburgern“ an einer solchen Police. „Insbesondere seit den Unwettern Ende Juni steigt die Bereitschaft, eine solche Versicherung abzuschließen“, sagt Unternehmenssprecher Rolf Neumann. Bei der Allianz stellt man „verstärkte Aktivitäten“ fest, sich zum Thema Überschwemmungsschutz beraten zu lassen. Übrigens: Wird das Auto weggespült, läuft es voll Wasser oder landet ein Ast auf dem Dach, zahlt dafür die Voll- oder Teilkaskoversicherung.
Wie geht es in Berlin weiter?
Auch in Berlin ist der große Regen noch nicht vorbei: „Etwa 20 Liter bis 40 Liter dürften noch nachkommen“, sagt Norbert Becker-Flügel vom Wetterdienst Meteogroup. Der Regen verteile sich über den Mittwoch und klinge erst am Donnerstag ab. Wo genau sein Schwerpunkt liege, sei kaum abzusehen. So wie es am Dienstag entgegen der meisten Prognosen am Mittag aufgehört hatte zu regnen. „Dafür wurden ja andere Landesteile versenkt, insbesondere der Harz und Thüringen“, sagt Becker-Flügel. Dort prasselten pro Stunde fünf bis zehn Liter auf jeden Quadratmeter, was reichen könne, um Hochwasser zu verursachen.
Mit einer genauen Prognose für Berlin tun sich die Meteorologen bei dieser Wetterlage schwer. Absehbar ist, dass es durchwachsen bleibt und zum Wochenende hin wohl kurzzeitig recht warm wird. „Die große Umstellung wird es erst nach Mitte August geben“, sagt Becker-Flügel. Zum einen, weil keine Wetterlage ewig halte. Zum anderen gilt die Siebenschläfer-Bauernregel unter Meteorologen als relativ treffsicher. Und Mitte August sind deren sieben Wochen dann endgültig vorbei.