Lawrow droht deutschen Journalisten im RT-Konflikt: Und dann musste Baerbock noch einen bizarren Medienstreit ausfechten
Im Zank um den russischen Sender RT wehrt die Außenministerin sämtliche Vorwürfe ab. Ihr Amtskollege droht derweil mit Sanktionen.
Sie hat es geschafft. Eine heikle Aufgabe stand Annalena Baerbock bevor, als sie den Weg nach Russland antrat. Heikel, weil die Bundesaußenministerin ein großes Bündel an konfliktreichen Themen im Gepäck hatte für ihr Treffen mit ihrem Amtskollegen Sergej Lawrow – also dem Mann, dem der Ruf des knallharten Diplomaten vorauseilt.
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Baerbock ist es gelungen, Haltung zu wahren. Politisch wie emotional. Trotz einer „dicken Gesprächsmappe“, wie sie selbst sagte, blieben diplomatische Fauxpas am erst 40. Tag ihrer Amtszeit aus. Dabei habe es „fundamentale Meinungsverschiedenheiten“ gegeben zwischen ihr und dem knurrig anmutenden Mann aus Moskau.
Das russische Militärgebaren nahe der Ukraine, Nawalny, Meinungsfreiheit: Mehrere Vorwürfe nach westlicher Lesart hat Baerbock zum Ausdruck gebracht. Aber die 41-Jährige hat auch Unterstellungen erwidern müssen. So etwa im letzten Drittel der Pressekonferenz mit ihrem 71-jährigen Kollegen.
Unmittelbar nachdem Baerbock und Lawrow durch den Themenkomplex Ukraine navigiert waren, ploppte der Streit um die Zulassung des Senders RT Deutsch (RT DE) in der Agenda auf. Der Sender ist international umstritten. Kritikerinnen und Kritiker werfen dem Medium eine Kreml-getriebene Verbreitung von Verschwörungstheorien und Fake News vor.
Aneinanderreihung von Vorwürfen
Bei der Fragerunde vor Baerbock und Lawrow in Moskau wählte die RT-Journalistin Margo Zvereva, bis vergangenen Herbst unter anderem Moderatorin einer Politsendung namens „Kartoffelmus“, den umgekehrten Weg und setzte zu einer Aneinanderreihung von Vorwürfen an, wonach die Medien- und Meinungsfreiheit in Deutschland massiv bedroht seien.
Russische Journalisten in Deutschland seien „massivem Druck und massiver Diskriminierung ausgesetzt“, leitete Zvereva ein. Sie behauptete, die deutsche Lizenzbehörde - die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) - habe RT DE eine Sendeerlaubnis verweigert – obwohl der Sender im Einklang mit der Europäischen Konvention produziere.
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In der Tat war der deutschen Ableger des russischen Staatssenders RT Mitte Dezember 2021 sowohl via Satellit als auch online gestartet und auf Veranlassung des MABB nur wenige Tage später wieder aus dem Satellitenprogramm genommen worden. Allerdings, so hieß es damals seitens des MABB, sei die Rundfunkzulassung nicht beantragt worden. Auch die Videoplattform Youtube hatte RT DE kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres gesperrt.
Die RT-Vertreterin äußerte dennoch großes Unverständnis über den Umgang mit ihrem Arbeitgeber. Aufgrund der zahlreichen Widerstände könne dieser seine Arbeit kaum fortsetzen. „Und das, obwohl RT viele internationale Auszeichnungen bekommen hat.“
Dann klagte sie an: „Nirgendwo haben wir es so schwer wie in Deutschland. Und die Regierung sagt, dass sie nichts damit zu tun hat.“ Zudem berief sich die RT-Korrespondentin abermals auf die Europäische Menschenrechtskonvention und das Recht auf Meinungspluralität, das in Deutschland nicht gegeben sei.
„Staatliche Einmischung – das ist nicht der Fall“
Nun war die Bundesaußenministerin am Zug. Manche mögen ihre Antwort als Ausdruck diplomatischer Schlagfertigkeit werten, andere bezeichnen sie schlicht als exzellent vorbereitet. Mit Blick auf Baerbocks bisherigen Auftritt drängt sich der Eindruck auf, dass ihre folgenden Erwiderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mischung aus beidem gewesen sind.
„RT Deutschland produziert seit Jahren in Deutschland, sendet über das Internet“, setzte Baerbock an. Nahezu süffisant fügte sie hinzu: „Der Sender gibt selbst an, dass er der viertgrößte Nachrichtenkanal im Bereich der Sozialen Medien ist.“
Zudem verwies die Außenministerin darauf, dass es in Deutschland journalistische Tätigkeit jederzeit und ungehindert durchführbar und auch RT DE selbst bei den Bundespressekonferenzen „immer präsent“ sei. Auch „bei fast jeder Demonstration“ sei der Sender zugegen, ergänzt Baerbock. „Dass es da staatliche Einmischung gibt – das ist nicht der Fall.“
Im Falle der Online-Blockade betonte die Grünen-Politikerin, dass sich vielmehr Plattforminhaber Youtube für eine Sperrung der RT-Inhalte entschieden habe. Aufgrund von Falschinformationen habe RT gegen die Nutzungsregeln verstoßen, führte Baerbock an und betonte: „Damit hat die deutsche Bundesregierung nichts zu tun. Eine Einmischung der deutschen Bundesregierung würde auch unserer deutschen Verfassung widersprechen.“ Einen Staatsrundfunk lasse das Grundgesetz nicht zu, auch nicht aus den USA oder Russland.
Youtube ist seit 2006 ein Tochterunternehmen von Google. Das Videoportal orientiert sich grundsätzlich an den Vorschriften der jeweiligen Länder, im Falle des EU-Mitglieds Deutschland an den EU-Standards. Zudem verweist das Unternehmen auf seiner Seite transparent auf seine Richtlinien, die auch der Verbreitung von Fehlinformationen entgegenwirken sollen.
Lawrow droht mit Gegenmaßnahmen
Nach der verbalen Abfuhr durch Baerbock wandte sich die RT-Angestellte Zvereva an Lawrow, ob sich ihr Sender wenigstens „auf die Unterstützung des russischen Außenministeriums verlassen“ könne – mit Erfolg. „Natürlich“ könne der Sender auf den Kreml zählen, stieg Lawrow ein.
Der Putin-Vertraute verwies darauf, dass das Thema schon länger auf der diplomatischen Agenda stehe. So habe er hierzu bereits den deutschen Botschafter „eingeladen“ und auch auf anderen Ebenen seien diese Gespräche geführt worden – so auch heute. „Wir sind natürlich darüber besorgt, was mit unseren Journalisten passiert“, betonte Lawrow. Er und die russische Regierung gehe davon aus, dass die deutsche Regierung dafür mitverantwortlich sei.
Mehr noch: Lawrow bezichtigte Deutschland einer aktiven Blockade des russischen Senders. „Die deutsche Regierung war nicht bereit, eine Lizenz für RT Deutsch auszufertigen. Als sich RT DE an andere Länder wandte, hat Berlin alles unternommen, damit diese Entscheidung auch in anderen Hauptstädten gefällt wird“, sagte er.
Immerhin habe Serbien dies nicht nachgeahmt, lobte Lawrow. Das russische Unternehmen TV Novosti, zu dem RT gehört, hatte Ende Dezember 2021 in Serbien eine Sendelizenz für die Kabel- und Satellitenübertragung erhalten.
Er und die russische Regierung seien der Meinung, dass das „eine Einmischung in die Tätigkeit unabhängiger Journalisten“ sei. Das widerspreche nicht nur der Europäischen Konvention über das grenzüberschreitende Fernsehen. Als weitere vermeintlich gebrochene Konventionen nannte Lawrow Vereinbarungen mit der UNESCO und der OSZE. „Wir gehen davon aus, dass Deutschland als Teilnehmer dieser internationalen Vereinbarungen Maßnahmen treffen wird, die den Kanal RT Deutsch nicht diskriminieren werden.“
Dann schaltete der russische Chefdiplomat einen Drohmodus höher: „Wir wünschen uns, dass die Genehmigung erteilt wird und haben kein Interesse spiegelbildlich zu handeln.“ Das Wichtigste sei, dass sich russische Journalisten in Deutschland nicht diskriminiert fühlten. Ansonsten werde das anders „gelöst“. Dann betonte er: „Wir wollen die deutschen Journalisten in Russland nicht behindern. Aber: Wenn es notwendig wird, müssen wir Gegenmaßnahmen treffen.“
Was das bedeuten kann, hat der Fall Sarah Rainsford gezeigt. Die britische Journalistin von der BBC hatte erst im August des vergangenen Jahres kein Visum mehr für Russland bekommen. Zuvor war RT im Vereinigten Königreich damit gescheitert, eine Sendelizenz zu erhalten.
Anerkennung vom DJV
Nach den Vorwürfen und Drohungen wählte Baerbock den Weg des eisigen Schweigens. Zuvor hatte sie allerdings betont: „Wir haben ein fundamentales Interesse an stabilen Beziehungen.“ Es besteht Grund zu der Annahme, dass das Thema RT nun weit oben auf der Agenda des Auswärtigen Amtes steht – nicht zuletzt, um die zahlreichen deutschen Medienschaffenden in Russland zu schützen.
Unmittelbar nach der Pressekonferenz erhielt Baerbock Anerkennung des Deutschen Journalisten-Verbands für ihre klare Positionierung bei dem mitunter bizarr anmutenden Termin. „RT beschwert sich bei Außenministerin Baerbock in der Pressekonferenz mit dem russischen Außenminister Lawrow unter anderem über den DJV. Danke für die klare Antwort, Annalena Baerbock“, schrieb der DJV auf Twitter.
Bereits Anfang des Jahres hatte sich der DJV besorgt um die Situation deutscher Medienschaffender in Russland geäußert. In dem Schreiben forderte der Verband Baerbock auf, „dass sie den russischen Botschafter in Berlin einbestellt, um deutlich klarzustellen, dass Drohungen gegen deutsche Journalistinnen und Journalisten, die in Russland arbeiten, nicht akzeptiert werden“.