zum Hauptinhalt
Sergei Lawrow, Außenminister von Russland, und Annalena Baerbock.
© -/Russian Foreign Ministry Press Service/AP/dpa

„Teils fundamentale Meinungsverschiedenheiten“: So verlief Baerbocks erster Besuch in Moskau

Die Außenministerin hat ihren Amtskollegen in Russland getroffen. Differenzen wurden diplomatisch verpackt. Eine Analyse.

Sergej Lawrow hat schon einige deutsche Außenminister kommen und gehen sehen. Als er 2004 sein Amt antrat, regierten in Berlin Gerhard Schröder (SPD) und der Grüne Joschka Fischer.

Mit manchen seiner Kollegen aus Deutschland, übrigens auch mit den Sozialdemokraten, lieferte sich Lawrow einen Schlagabtausch auf offener Bühne – der nicht nur auf russischer Seite gelegentlich wie eine Vorstellung für das heimische Publikum schien. Vor diesem Hintergrund wirkte die erste Begegnung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit Lawrow bemerkenswert wenig konfrontativ.

Auf den ersten Blick deutete wenig darauf hin, dass sich Russland und der Westen derzeit in ihrer schwersten Krise seit dem Ende des Kalten Krieges befinden. Lawrow betonte, er hoffe auf eine „konstruktive Zusammenarbeit“ auch mit der neuen Bundesregierung.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Für die deutsch-russischen Beziehungen gebe es „Potenzial“, die bestehenden Differenzen müssten überwunden werden. Auch Baerbock betonte das Interesse Deutschlands an guten Beziehungen zu Russland. Doch die inhaltlichen Gräben waren unübersehbar.

So betonte die Ministerin gleich zu Beginn, es gebe „große, teils fundamentale Meinungsverschiedenheiten bei einer ganzen Reihe von Themen“. In der Sprache der Diplomatie ist das der höflich verpackte Hinweis auf offenen Streit. Deutschland habe ein „fundamentales Interesse am Erhalt der europäischen Friedensordnung, in der für alle gleiche, verbindliche Regeln gelten und auf die sich alle verlassen können“, sagte die Außenministerin.

Diese Regeln seien das Fundament des gemeinsamen europäischen Hauses und für Deutschland die Existenzgrundlage. „Deswegen haben wir keine andere Wahl, als unsere gemeinsamen Regeln zu verteidigen, auch wenn das einen hohen – zum Teil wirtschaftlichen – Preis hat.“

An dieser Stelle ging Baerbock nicht sofort auf die aktuelle Krise ein, sondern verwies an den Fall des inhaftierten Oppositionsführers Alexej Nawalny und das Verbot der Menschenrechtsorganisation Memorial. Dass der Gast aus Deutschland Russland daran erinnerte, dass die Europäische Menschenrechtskonvention zu den gemeinsamen Regeln zähle, dürfte Lawrow nicht gern gehört haben.

„Es ist schwer, das nicht als Drohung zu verstehen“

Den Aufmarsch von bis zu 100.000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine kritisierte Baerbock: „Es ist schwer, das nicht als Drohung zu verstehen.“ Zugleich verwies sie darauf, dass Deutschland im Rahmen von EU, Nato und G7 gemeinsam handeln würden, falls Russland seine Drohungen wahrmache. „Diese Situation haben wir uns als Bundesregierung nicht ausgesucht, aber wir können und werden ihr nicht aus dem Weg gehen.“

Außenministerin Annalena Baerbock und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow.
Außenministerin Annalena Baerbock und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow.
© oto: Maxim Shemetov/Pool Reuters/AP/dpa

Von einer russischen Drohung gegen die Ukraine wollte Lawrow hingegen nichts wissen. „Wir bedrohen niemanden, mit gar nichts. Aber wir vernehmen Drohungen in unsere Richtung.“ Den Truppenaufmarsch stellte er als normale Aktion der russischen Streitkräfte im eigenen Land dar. Auf die Sicherheitsgarantien, die Moskau von den USA und der Nato erwartet, ging Lawrow nur kurz ein.

Mehr zum Thema auf Tagesspiegel Plus:

Die russische Führung wartet derzeit auf eine schriftliche Antwort des transatlantischen Bündnisses auf ihre Forderungen, wobei schon jetzt klar ist, dass die Nato diese nicht erfüllen wird. Schlimmstenfalls könnte Russland dann auf eine weitere Eskalation in der Ukraine setzen.

Dass der russische Außenminister dieses Thema in der Pressekonferenz mit Baerbock nur am Rande ansprach, weist darauf hin, dass Moskau in dieser Frage Deutschland nicht als den richtigen Adressaten ansieht. Zugleich schrieb Lawrow dem deutsch-russischen Verhältnis indirekt eine Sonderrolle zu und knüpfte damit an frühere Versuche Russlands an, einen Keil zwischen die EU-Staaten zu treiben.

Das bilaterale Verhältnis sei zur „Geisel antirussischer Bestrebungen“ in Brüssel und in einigen EU-Ländern geworden, so Lawrows Vorwurf. Im Klartext soll dies wohl heißen: Das deutsch-russische Verhältnis könnte so gut sein, wenn nur die Nato und die Osteuropäer nicht wären.

Lawrow: Nord Stream 2 nicht „politisieren“

In diesen Zusammenhang passt auch Lawrows Warnung davor, das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zu „politisieren“. Das sei „kontraproduktiv“, betonte der Außenminister. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Pipeline allerdings kürzlich als privatwirtschaftliches Projekt bezeichnet und sich damit deutlich von den Grünen abgegrenzt. Auf die Frage einer russischen Journalistin, ob die Bundesregierung denn nun eine konsolidierte Position in Sachen Nord Stream 2 habe, sagte Baerbock, es werde „Auswirkungen mit Blick auf diese Pipeline“ haben, falls Russland Energie als Waffe einsetzen sollte.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Mit ihrer Reise nach Kiew und Moskau wollte Baerbock die Friedensverhandlungen im Ukraine-Konflikt wiederbeleben. Berlin und Paris vermitteln seit 2014 zwischen der Ukraine und Russland. Allerdings kommt der Friedensprozess für die Ost-Ukraine seit Jahren nicht voran. Doch einem neuen Treffen ohne Vorbedingungen erteilte Lawrow eine Absage. „Für uns ist das wichtigste nicht, wann wir uns treffen, sondern wofür wir uns treffen.“

Von Deutschland und Frankreich verlangte er, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski zu „zwingen“, zunächst den ukrainischen Teil der Vereinbarung zu erfüllen. Nebenbei behauptete Lawrow einmal mehr, dass sein Land an diesem Konflikt gar nicht beteiligt sei. So machte sich die Ministerin ohne konkrete Zusagen auf den Heimweg – eine Erfahrung, die sie nun mit einigen ihrer Amtsvorgänger teilt.

Zur Startseite