Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse: Umstrittene Heimat
Die Koalition will die Regionalförderung völlig neu aufstellen. Eine Kommission unter Horst Seehofers Leitung soll es richten – aber es hakt schon bei Themen und Besetzung.
Die schwarz-rote Koalition hat sich viel vorgenommen: Ein „neues gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen“ ist ihr Ziel, auf Seite 116 des Koalitionsvertrags ist das Vorhaben unter der Überschrift „Heimat mit Zukunft“ beschrieben. Es geht um viel Geld, um neue Förderströme, Wohnungsbau, bessere Infrastruktur, Gesundheits- und Pflegeversorgung, Bildung und Kultur, Digitalisierung und Unternehmensansiedlung, die Verteilung von Bundesbehörden. Wer den Katalog liest, könnte meinen, die Republik solle mal wieder gründlich umgebaut werden. Den Hut hat Horst Seehofer auf, der im neu zugeschnittenen Innen- und Heimatministerium wesentliche Zuständigkeiten versammelt hat und die im Koalitionsvertrag angekündigte „Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse“ leiten wird. Doch noch gibt es interne Querelen um deren Zuschnitt. Die Beschlussfassung im Kabinett musste um drei Wochen auf den 20. Juni verschoben werden.
Bis 2019 soll die Kommission Ergebnisse liefern. Die Zeit drängt, weil dann der Solidarpakt für den Osten ausläuft, die Schuldenbremse für Bund und Länder endgültig wirkt und eine neue Phase der EU-Förderpolitik beginnt, was nach Ansicht der Grünen-Bundestagsfraktion bedeuten kann, dass drei bis vier Milliarden Euro weniger aus Brüsseler Töpfen in Deutschlands schwache Regionen fließen werden. Es soll eine Kommission von Bund, Ländern und Kommunen werden – doch wer darf am Ende mitmischen? Bisher sah es so aus, dass neben sechs Bundesministerien auch sechs Länder und die drei Kommunalverbände – Städtetag, Landkreistag, Städte- und Gemeindebund – teilnehmen und in sechs Arbeitsgruppen verhandeln: Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, Infrastruktur, Soziales, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Bauen. Die SPD hat drei Minister aufgeboten: Arbeitsminister Hubertus Heil, Familienministerin Franziska Giffey, Finanzminister Olaf Scholz.
Wo bleibt Julia Klöckner?
In der Union aber gibt es ein Überangebot: Neben Seehofer selbst muss natürlich Verkehrs- und Infrastrukturminister Andreas Scheuer (CSU) dabei sein, wegen des Breitbandausbaus, ein Kernproblem des ländlichen Raums. Interesse hat auch Gesundheitsminister Jens Spahn. Eigentlich müsste auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier dabei sein, weil in seinem Ressort einige wichtige Fördertöpfe verwaltet werden. Zudem pocht Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner darauf, zentral eingebunden zu sein, weil sie sich als die eigentliche Ministerin für ländliche Räume sieht. Ob die Länder damit zufrieden sind, nur mit einer Sechser-Abordnung mittun zu können, wird sich zeigen. Die 16 Ministerpräsidenten reden in dieser Woche darüber. Und im Bundestag fragen sich nicht nur die Grünen, wo eigentlich das Parlament ist, das am Ende ja als Gesetzgeber die Beschlüsse absegnen muss.
Beim Landkreistag hat man „große Erwartungen“, es gehe um „die Zukunft der ländlichen Räume“, wie dessen Geschäftsführer Hans-Günter Henneke sagt. Er mahnt daher „zügige Ergebnisse“ an, die auch mit Finanzmitteln unterlegt sein müssten. Auch der Städtetag hofft, mehr Geld für urbane Räume mit Strukturschwächen herauszuholen – trotz der Betonung der ländlichen Räume (die der Union vor allem am Herzen liegen, zumal Bayern im Herbst wählt). „Es kann nicht darum gehen, Stadt und Land gegeneinanderzustellen. Strukturschwäche gibt es in einem Teil der Städte genauso wie in Teilen des ländlichen Raumes“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe dem Tagesspiegel.
Städte wollen Altschuldenproblem klären
Der CDU-Politiker, Oberbürgermeister von Münster, will die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur zu diesem Zweck „weiterentwickeln“. „Außerdem brauchen wir Lösungen für das Altschuldenproblem der Städte, das vor allem aus Strukturkrisen resultiert. Die von Altschulden stark belasteten Städte sind nicht in der Lage, dieses Problem aus eigener Kraft zu lösen“, sagte Lewe. Zudem erwartet er weitere Entlastungen bei den Sozialausgaben. „Der Bund sollte dazu einen höheren Anteil der Kosten der Unterkunft in der Grundsicherung für Arbeitsuchende übernehmen.“
Die Grünen wollen zudem den Bund stärker einbinden und schlagen vor, eine neue „Gemeinschaftsaufgabe für die regionale Daseinsvorsorge“ im Grundgesetz zu verankern. Fördermittel sollten nicht nur in Landwirtschaft und Wirtschaft gelenkt werden. Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, sieht den verschobenen Kabinettsbeschluss als Zeichen dafür, dass Seehofer mit seinem vergrößerten Heimatministerium „überfordert“ sei. „Seehofer und seine Koalition dürfen die Menschen in den strukturschwachen Regionen nicht enttäuschen“, sagte Haßelmann dem Tagesspiegel. „Sie brauchen eine verlässliche Infrastruktur. Sonst fühlen sie sich von der Politik allein gelassen.“
Angesichts der Fülle der Themen und des breiten Teilnehmerkreises ist nicht auszuschließen, dass die Kommission schon bald ausufert und zu einer neuen Föderalismuskommission wird, in der um Zuständigkeiten und Grundgesetzänderungen gestritten wird. Landkreistags-Geschäftsführer Henneke jedenfalls schlägt vor, dass die Ergebnissuche „sich im Rahmen vorhandener Bundeskompetenzen bewegen“ sollte.