Tagesspiegel-Fachforum Ländlicher Raum: Das Land attraktiver machen
Ärzte, eine gute Verkehrsanbindung und schnelles Internet fehlen häufig im ländlichen Raum. Wie die Provinz die Herausforderungen meistern kann.
Aufs Land fahren, herrlich! Dort kann der Großstädter ein Wochenende lang frische Luft tanken. Am Sonntagabend kehrt er zurück in seinen Kiez, wo die Spätis noch offen sind, wenn er schon schläft. In der Uckermark oder im Spreewald muss man für die Daseinsvorsorge – nicht nur für ein kühles Bier um Mitternacht – lange Wege auf sich nehmen.
Die Infrastruktur auf dem Land wird immer schwächer: „Verfassungswidrig zugrunde gerichtet“ seien einige Landstriche, sagt Andreas Siegert, Sozialforscher an der Universität Halle-Wittenberg. Er selbst lebt in einem Dorf in Sachsen-Anhalt. Auf dem „Tagesspiegel-Fachforum Ländlicher Raum“ erklärte er am Donnerstag, die Situation werde immer dramatischer. Ein Thema: die Zukunftschancen des Arbeitsmarktes im ländlichen Raum. „Sachsen-Anhalt ist von der Demografie geprügelt“, sagt Siegert, beispielsweise fehlten dort 1400 Landärzte. Und finanzielle Anreize reichten nicht, um sie anzuwerben: Fachkräfte mit jungen Familien brauchen Schulen, Kitas, Geschäfte.
„Der ländliche Raum ist nicht per se hilfsbedürftig“
Die große Koalition habe das Ziel, im urbanen und und im ländlichen Raum gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, sagt Marco Wanderwitz. Das sei ein grundgesetzlicher Auftrag, dafür wolle die Regierung eine Kommission zusammen mit den Ländern und Kommunen einrichten. Wanderwitz ist Parlamentarischer Staatssekretär in Horst Seehofers Heimatministerium. „Der ländliche Raum ist nicht per se hilfsbedürftig“, sagt Wanderwitz. Aber in manchen Gegenden fühlten sich die Leute abgehängt, wenn die letzte Arztpraxis schließe. „Ich erkläre mir damit so manches Wahlergebnis“, sagt Wanderwitz mit Blick auf Erfolge der AfD in einigen ländlichen Wahlkreisen.
In manchen Landstrichen, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt und Thüringen, ist von „Entvölkerung“ die Rede. Vor allem junge Leute zieht es in die Städte. Dort ist die Infrastruktur engmaschig, es gibt hippe Restaurants und Clubs und mehr von den Jobs, die zum Beispiel für Hochschulabsolventen interessant sind. Der Fachkräftemangel ist auf dem Land besonders groß. Die Zahl an Arbeitsplätzen in der Land- und Forstwirtschaft geht zurück, in der Logistik, im Gesundheits- und Bildungsbereich hingegen steigt die Nachfrage.
Ines Krummacker, verantwortlich für die Personalabteilung beim Deutschen Milchkontor (DMK) kennt das Problem. Das Molkereiunternehmen ist einer der größten Arbeitgeber in ländlichen Regionen, der Hauptsitz ist in Zeven in Niedersachsen. Dort beschäftigen sie 1000 Mitarbeiter, aber gerade werde dort das Krankenhaus geschlossen. „Wir nehmen die Landflucht wahr“, sagt Krummacker. Für ein neues Babynahrungswerk brauche das Unternehmen Mitarbeiter, es gebe interessante Jobs, auch für Akademiker. Aber ein immer größerer Investitionsfaktor sei die Frage, ob man Mitarbeiter an den Standort bekomme.
Die Digitalisierung ist dringend nötig
Im Durchschnitt ist das Lohnniveau im ländlichen Raum niedriger, dafür bezahlt man dort nicht so hohe Mieten. „Auch Ballungszentren können von einer neuen Lust aufs Land profitieren“, sagt Alois Gerig (CSU), Vorsitzender des Bundestags-Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Um den ländlichen Raum attraktiver zu machen, sei die Digitalisierung dringend nötig. Lokaler Tourismus sei außerdem von steigender Bedeutung für Beschäftigung und Einkommen.
Dass auch die Arbeitskräfte auf dem Land von der Digitalisierung profitieren sollen, fordert Ludolf von Maltzan. Er führt das Ökodorf Brodowin im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Seine Mitarbeiter stellen unter anderem Biokäse und andere Milchprodukte her. Und von Maltzan zufolge liegt in der Lebensmittelverarbeitung das größte Potential. „Die Chance für Arbeitsplätze im ländlichen Raum ist das Lebensmittelhandwerk“, sagt von Maltzan. Die Nachfrage für regional produzierte, ursprüngliche Produkte sei sehr groß, nicht nur in Berlin. Darüber hinaus sollten die Bauern sich mehr um den Naturschutz kümmern. „Die landwirtschaftliche Verantwortung endet nicht am Feldrand“, sagt von Maltzan.
Wie das Land fit für die Zukunft wird
Doch wie wird das Land fit für die Zukunft? „Ländliche Räume werden als Rückzugsgebiete für Stadtbewohner idealisiert“, sagt Franz-Josef Holzenkamp, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes. Wichtig für deren Entwicklung sei aber eine gewisse Eigenständigkeit.
Die gebe es nur mit Investitionen in den Bereichen Mobilität, schnelles Internet und Bildung, sagt der Zukunftsforscher Eike Wenzel vom Heidelberger Institut für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ). Außerdem seien Kooperationen zwischen den Bewohnern auf dem Land wichtig. „Die Landflucht ist ein Mythos", sagt Wenzel.
Kooperation zwischen den Bewohnern ist das, was der Thüringer Matthias Klippel, Vorstand des Agrarunternehmens Wöllmisse, vorgemacht hat. Er organisierte in Eigenregie die Verlegung von Glasfaserkabeln in seiner Region. Die Folge: Weitere Familien siedelten sich in der Umgebung an. „Wenn ich mich nur auf den Staat verlasse, scheitert das“, sagte Klippel.
Dem widersprach die Staatssekretärin Bettina Martin, Bevollmächtigte für Bundesangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern. „Der Staat macht etwas“, sagte Martin. „Wir haben ein Stipendienprogramm eingerichtet, dass Medizinstudenten erhalten, wenn sie sich verpflichten, für 5 Jahre als Allgemeinmediziner auf dem Land zu arbeiten.“ Die Gesundheitsvorsorge ist ein Problem auf dem Land, weil es schwer ist, Hochschulabsolventen von den Vorteilen des Landes zu überzeugen.
„Das Land muss urbaner werden“
„Das Land muss urbaner werden“, fordert daher der Arzt und Stressforscher Mazda Adli. Das kulturelle Angebot, die Bildungseinrichtungen und die Vielfalt der Städte seien wichtig für die Menschen. Wolle der ländliche Raum attraktiver werden, müssten Fremde integriert werden. Das sei auch für die Innovationsfähigkeit des Landes relevant. „Viele Menschen haben Probleme, sich auf dem Land zu integrieren“, sagte Adli.
In seinem Buch „Stress and the City“ beschreibt er, dass Stadtstress krank machen könne, aber die Vorteile der Stadt den Menschen auch gut täten. Daraufhin habe er viele Zuschriften von Lesern bekommen, die aufs Land gezogen seien. Viele beschrieben dann Probleme, sich in die bestehenden Gemeinschaften auf dem Land zu integrieren.
Alexandra Duong, Roland Lindenblatt
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