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Was soll verboten sein, was erlaubt? Im Bundestag wurde hitzig über Sterbehilfe debattiert.
© dpa

Sterbehilfe-Debatte im Bundestag: Um Leben und Tod

Bei der Bundestagsdebatte über Sterbehilfe haben die Abgeordneten überraschend heftig Position bezogen. Vor allem die Frage, ob man Ärzten Suizidbeihilfe erlauben soll, erregte die Gemüter.

Sie haben sich ordentlich Zeit gelassen – zum Nachdenken, Positionieren, Stimmen sammeln. Ein gutes halbes Jahr nach der ersten, so genannten Orientierungsdebatte im Bundestag zum Thema Sterbehilfe stand dort nun erstmals das Ergebnis zur Debatte: vier Gesetzesanträge, mit Unterstützern quer durch die Fraktionen. Und so nahe die in vielem zusammenliegen: Das Feilen daran hat zu einer Frontenbildung geführt, die das anfängliche vorsichtig-respektvolle Abtasten hinter sich gelassen hat.

Die Redebeiträge am Donnerstag waren weniger persönlich gehalten als polarisierend - und teils auch in dem schrillen Ton, den man aus ganz gewöhnlichen politischen Auseinandersetzungen kennt.

In einem sind sich alle einig: Es soll keine Geschäftemacherei geben

Das ist umso erstaunlicher, als sich erklärtermaßen alle über das Hauptziel einer Neuregelung einig sind: Dubiosen Sterbehelfern soll das Handwerk gelegt, mit dem Todeswunsch leidender Menschen sollen keine Geschäfte gemacht werden.

Doch bei den Rezepturen dagegen tun sich Gräben auf. Die Vorschläge reichen vom Verbot jeglicher Suizidbeihilfe über den differenzierten Umgang mit individueller, auf Wiederholung angelegter oder kommerziell betriebener Assistenz bis hin zur ausdrücklichen Erlaubnis für Ärzte, Patienten bei der Selbsttötung behilflich zu sein .

Lebenswert oder lebensunwert?

Vor Letzterem warnte zum Beispiel CSU-Mann Michael Frieser ganz energisch. Wenn man Mediziner mittels eines Kriterienkatalogs über „lebenswertes und lebensunwertes Leben“ befinden lasse, kollidiere das mit der Verfassung, donnerte er. Katherina Reiche (CDU) wiederum unterstellte den Verbotsbefürwortern, dass sie eine „Rechtspflicht zum Erleiden von Qualen“ wollten.

Und Hubert Hüppe (CDU) nannte es unerträglich, wenn sich schwer Kranke aufgrund der Bestrebungen seiner Kollegen in diesem Land künftig dafür rechtfertigen müssten, Pflegepersonal zur Last zu fallen und ihr Leben nicht schnell und sauber mit ärztlicher Hilfe zu beenden.

Verbot geschäftsmäßiger Beihilfe hat die meisten Unterschriften

Suizidbeihilfe dürfe nicht zu einer „regulären Option ärztlichen Handelns“ werden, mahnte auch Michael Brand (CDU), allerdings in ruhigerem Ton. Sein Antrag, der ein Verbot von „geschäftsmäßiger“ Suizidbeihilfe vorsieht, egal ob durch Sterbehilfevereine oder Ärzte, hat derzeit die größten Erfolgsaussichten. Von 631 Abgeordneten haben ihn bereits mehr als 210 unterschrieben, darunter auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe, Unionsfraktionschef Volker Kauder und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Weil dieser Entwurf ansonsten alles beim Alten lassen und für individuelle Suizidbeihilfe auch künftig keine Strafverfolgung will, bewarb ihn Brand als „Weg der Mitte“. Ärzte sollten Sterbenden „die Verzweiflung nehmen, nicht das Leben“, sagte er. Doch auch für Mediziner, die in Grenzsituationen beim Suizid assistierten, werde sich dadurch nichts ändern, versicherte Kerstin Griese (SPD). Sie machten sich nur strafbar, wenn ihr Tun auf Wiederholung angelegt und „als Dienstleistung abrufbar“ sei.

Lauterbach warnt vor Unsicherheit für Ärzte

Ihren Parteifreund Karl Lauterbach, der selber Mediziner ist, brachte diese Darstellung in Rage. Der angebliche „Weg der Mitte“ würde bewirken, dass Ärzte in Deutschland künftig keinerlei Suizidbeihilfe mehr leisteten, behauptete er. Und dass er keinen Kollegen kenne, der wegen solcher Hilfsleistungen das Risiko staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen auf sich nähme. Die Folge für Deutschland wäre, so Lauterbachs Szenario, ein wachsender Sterbehilfe-Tourismus. Immer mehr Todkranke würden sich dann, um sich beim Suizid helfen zu lassen, nach Belgien, Holland oder in die Schweiz begeben.

Mit mehr als 100 Unterstützern fordert Lauterbach, Ärzten unter strengen Vorgaben eine generelle Erlaubnis zur Suizidbeihilfe zu geben. Bisher ist sie ihnen nicht strafrechtlich verboten, in zehn von 17 Ärztebezirken aber mit Approbationsentzug bedroht. Dieses „Regelungschaos“ müsse beseitigt werden, drängte Carola Reimann (SPD). Und ganz wichtig sei die Botschaft für Sterbewillige, sich in größter Not nicht mehr in die Händer irgendwelcher Laien begeben zu müssen. Damit entziehe man Sterbehilfevereinen die Existenzgrundlage und schade ihnen „weit mehr als mit einem strafrechtlichen Verbot“.

Hintze: Bundestag muss "Anwalt der Bürger sein"

Er wolle nicht, dass sich „verzweifelte Todkranke aus dem Fenster stürzen müssen“, nur weil man Onkologen oder Palliativmediziner mit Strafe bedrohe, ereiferte sich Peter Hintze (CDU), der den Lauterbach-Antrag mitinitiiert hat. Leiden sei „immer sinnlos“, sagte der gelernte Theologe. Und der Bundestag habe gefälligst „Anwalt der Bürger“ zu sein.

Umfragen zufolge gibt es hierzulande eine klare Mehrheit für die Erleichterung von Suizidbeihilfe. Am Tag der Bundestagsdebatte beispielsweise ergab eine Befragung des ARD-Deutschlandtrends, dass 38 Prozent die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt haben möchten. 43 Prozent sprachen sich sogar für die bislang ausnahmslos verbotene aktive Sterbehilfe, also eine Tötung auf Verlangen, aus. Und nur zwölf Prozent wollen das alles nicht.

Verantwortung für "würdevollen Suizid"

Während sich die Anhänger beider Anträge ineinander verkeilten, hielt sich die Erregung über die extremeren Positionen in Grenzen - vielleicht auch, weil deren Realisierungschancen geringer sind. Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) beispielsweise forderten, Sterbehilfevereine zu erlauben, wenn sie nicht kommerziell betrieben werden. Man habe auch Verantwortung dafür, dass Suizidwillige sich nicht vor Züge werfen müssten, sondern „in Würde“ aus dem Leben scheiden könnten, sagte Künast.

Die CDU-Politiker Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger dagegen verlangten, bei Suizidbeihilfe nur in extremen Fällen von Strafe abzusehen. Es sei „keine humanitäre Tat, Menschen dabei zu helfen, sich umzubringen“, betonte Sensburg, der als einziger in der Debatte auch beharrlich von „Selbstmord“ sprach.

Eine Sternstunde? Es ging um Leben und Tod im Parlament, da darf Erregung sein. Aber nun ist wieder Denkpause. Entscheiden wird der Bundestag erst Anfang November.

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