Gesetzentwurf zur Sterbehilfe: Verbieten, erlauben oder alles weiterlaufen lassen?
Soll Sterbehilfe künftig zur Dienstleistung von Ärzten werden? Anfang Juli berät der Bundestag erstmals über einen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe. Und an diesem Mittwoch stellten Peter Hintze und Karl Lauterbach als letzte Abgeordnetengruppierung ihren Gesetzentwurf vor. So unterscheiden sich die Vorschläge:
Erlauben, verbieten, oder alles einfach weiterlaufen lassen wie bisher? Im November will der Bundestag über die schwierige Frage befinden, wie Sterbehilfe in Deutschland künftig geregelt sein soll. Im Kern geht es um den Umgang mit so genannten Sterbehilfevereinen, Anfang Juli wollen die Abgeordneten erstmals über ihre Gesetzentwürfe beraten. Und weil kein Fraktionschef Druck ausübt, haben sich - wie bei Gewissensfragen so üblich - die unterschiedlichsten Konstellationen gebildet. Drei fraktionsübergreifende Anträge stehen bereits, der vierte wurde an diesem Mittwoch präsentiert.
Ihm zufolge soll es Ärzten künftig ausdrücklich erlaubt sein, Patienten bei der Selbsttötung zu helfen. Bedingung dafür: Die Sterbewilligen müssen volljährig, einwilligungsfähig und so erkrankt sein, dass ihr Leiden „unumkehrbar zum Tod führt“. Bei Kirchen, Patientenverbänden und Medizinern stieß der Gesetzentwurf, den Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) zusammen mit den SPD-Politikern Karl Lauterbach und Carola Reimann vorstellte, jedoch auf heftige Kritik.
Hintze betonte, dass „Selbstbestimmung“ auch am Lebensende zum Kern der Menschenwürde gehöre. Indem man Ärzten einen rechtssicheren Raum schaffe, entziehe man Sterbehilfevereinen auch ohne ausdrückliches Verbot die Existenzgrundlage. Bisher ist Ärzten die Suizidbeihilfe zwar nicht strafrechtlich, vielerorts aber per Standesrecht untersagt. Die geplante Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch ist einer von vier Vorschlägen zur künftigen Regelung der Sterbehilfe. Die anderen drei sehen ein generelles Verbot der Sterbehilfe, ein Verbot aller Sterbehilfevereine und die Erlaubnis von Suizidbeihilfe vor, sofern sie nicht kommerziell betrieben wird. Die Entscheidung soll im November fallen.
Hier ein Überblick über alle vier Vorschläge:
Die strengste Regelung
Der Antrag der CDU-Politiker Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger verlangt die strengste Regelung: „Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft“, heißt es darin. Ausnahmeregelungen für nahe Angehörige oder Mediziner? Gibt es nicht. „Wir dürfen hier keine Ausnahmen zulassen" beharrt der gelernte Fachhochschulprofessor aus Münster und derzeitige Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Das Leben und vor allem die Würde seien dem Menschen "nicht verfügbar" und jede Ausnahme würde "bereits die Grundfesten des Würdeschutzes erschüttern und zerstören“, argumentiert er. „Insoweit sind wir in Gottes Hand.“
Nur bei ganz seltenen Fällen, wenn keine Schmerztherapie greife und "Leid und Schmerz nicht auszuhalten" seien, sollte aufgrund geringer Schuld von einer Strafe abgesehen werden. meinen die Initiatoren. Sie sind sich sicher: "Eine mit Ausnahmen für Angehörige und Ärzte ausgestattete gesetzliche Regelung der Mitwirkung am Suizid würde eine Gefahr für das Leben schwer kranker und suizidgefährdeter Menschen darstellen.“ Dies würde „im wörtlichen Sinn den Giftschrank öffnen", und der oft beklagte „Sterbehilfe-Tourismus“ würde sich dann Deutschland mit seinen vielen Ärzten als Ziel wählen.
Gegen "geschäftsmäßige" Sterbehilfe
Differenzierter und deutlich weniger alarmistisch sind die Vorstellungen einer Gruppe von zehn Parlamentariern aller Fraktionen um Kerstin Griese (SPD), Michael Brand (CDU), Harald Terpe (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke). Diese Abgeordneten wollen nicht jegliche Sterbehilfe unter Strafe stellen, wohl aber die Fälle, in denen sie "geschäftsmäßig" offeriert wird - also organisiert und auf Wiederholung angelegt. Derartigen „Helfern“ sollen nach den Vorstellungen der Antragsteller künftig bis zu drei Jahre Gefängnis drohen.
Es gehe darum, die Entwicklung von Suizidbeihilfe zu einem "Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung zu verhindern", heißt es in dem Entwurf. In Deutschland nähmen Fälle zu, in denen Vereine oder einschlägig bekannte Einzelpersonen die Beihilfe zum Suizid regelmäßig anböten. Dadurch drohe "eine gesellschaftliche Normalisierung, ein Gewöhnungseffekt an solche geschäftsmäßigen Formen des assistierten Suizids einzutreten“.
Das Verbot würde sich folglich nicht nur auf Organisationen beschränken, die mit ihren Sterbehilfe-Offerten Geld verdienen, sondern auch auf solche, die beispielsweise nur Mitgliedsbeiträge verlangen - wie etwa der Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland, den der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch betreibt. Angehörige und Freunde, die Sterbewillige zu solchen en Organisationen bringen, blieben jedoch vor Strafe geschützt. "Die prinzipielle Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran sollten nicht infrage gestellt werden", heißt es in dem Entwurf. Ethische Einzelfallentscheidungen sollten weiter möglich bleiben und nicht sanktioniert werden, argumentiert die bislang größte Abgeordnetengruppe.
Eine ausdrückliche Regelung für Ärzte ist in ihrem Entwurf nicht enthalten. Sie kämen nur in Konflikt mit dem Strafrecht, wenn sie geschäftsmäßig Suizidbeihilfe betrieben. Dass die Abgrenzung zu Medizinern schwierig werden könnte, die etwa als Onkologen besonders häufig mit dem Sterbewunsch von Patienten konfrontiert sind, räumen die Antragsteller ein. Notfalls, so meinen sie, müssten darüber dann eben Gerichte entscheiden.
Der Entwurf kommt Forderungen von Ärzten, Palliativmedizinern, Patienten- und Sozialverbänden am nächsten. Nach Angaben der Initiatoren wird er von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Unionsfraktionschef Volker Kauder mitgetragen. Und Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) gehe mit den Inhalten ebenfalls d'accord, heißt es.
Für den ärztlich assistierten Suizid
Speziell dem ärztlich assistierten Suizid widmet sich dagegen die Gruppe um Bundestags-Vizepräsident Peter Hintze (CDU) sowie die SPD-Politiker Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und Carola Reimann, die nun als letzte ihre Vorschläge präsentierte. Aus ihrer Sicht sollte den Medizinern diese Hilfe künftig ausdrücklich erlaubt werden - allerdings unter strengen Bedingungen.
Das würde bedeuten, dass die bestehenden Verbotsvorschriften im ärztlichen Standesrecht (immerhin in zehn von 17 Landesärztekammern) hinfällig würden - und Mediziner bei Sterbehilfe unter er Beachtung der vorgebenen Regeln nicht mehr um ihre Approbation fürchten müssten. Man wolle Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten und die Selbstbestimmung von unheilbar erkrankten Patienten stärken, heißt es in dem Entwurf, der an diesem Mittwoch als letztes präsentiert wurde. Und auf diese Weise lasse sich auch der Zulauf zu Sterbehilfevereinen beenden.
Konkret fordert die Gruppe im Bürgerlichen Gesetzbuch einen neuen Paragrafen zur „ärztlich begleiteten Lebensbeendigung“. Darin solle es heißen: „Ein volljähriger und einwilligungsfähiger Patient, dessen unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, kann zur Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens die Hilfestellung eines Arztes bei der selbst vollzogenen Beendigung seines Lebens in Anspruch nehmen.“
Wert legen die Politiker in ihrem Gesetzentwurf allerdings auf zweierlei. Erstens: Die Hilfe des Arztes muss „freiwillig“ sein. Und zweitens: Sterbehilfe darf nur erfolgen, „wenn der Patient dies ernsthaft und endgültig wünscht, eine ärztliche Beratung des Patienten über andere Behandlungsmöglichkeiten und über die Durchführung der Suizidassistenz stattgefunden hat, die Unumkehrbarkeit des Krankheitsverlaufs sowie die Wahrscheinlichkeit des Todes medizinisch festgestellt und ebenso wie der Patientenwunsch und die Einwilligungsfähigkeit des Patienten durch einen zweiten Arzt bestätigt wurde“.
Den Zeitpunkt und die genaue Art des Suizids, der „unter ärztlicher Begleitung“ erfolgen müsse, soll der Patient dabei selbst bestimmen. Mit diesen Regeln würde die ärztliche Suizidbeihilfe auf Fälle von schwerst erkrankten und leidenden Menschen mit aussichtsloser Prognose begrenzt, argumentieren die Initiatoren.
Für Sterbehilfe-Vereine ohne Gewinnabsicht
Die liberalste Regelung haben die Grünenpolitiker Renate Künast und Kai Gehring mit Petra Sitte (Linke) mit weiteren 33 Initiatoren vorgelegt. Sie sind zwar auch gegen kommerziell betriebene Sterbehilfe, wollen aber Sterbehilfe-Vereine ohne Gewinnabsicht erlauben. Dafür setzen sie klare Bedingungen. So seien Organisationen und Ärzte, die Mitgliedern oder Patienten bei der Selbsttötung helfen wollen, zu Beratungsgesprächen und einer Dokumentation der Fälle zu verpflichten. Mindestens zwei Wochen vor der Hilfe bei der Selbsttötung sei ein umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch zu führen, in dem auch über Alternativen aufgeklärt werden müsse. Suizidbeihilfe dürfe nur geleistet werden, wenn die Sterbewilligen freiverantwortlich handelten, volljährig und nicht psychisch krank seien. Zur Suizidbeihilfe verpflichtet werden dürfe auch künftig kein Mediziner. Und alle vier Jahre müssten die Erfahrungen mit den Regelungen überprüft werden.
Ein generelles Verbot von Sterbehilfe-Vereinen lehnt die Parlamentariergruppe ab. „In der existentiellsten und schwierigsten aller Fragen sollte der Staat keine Verbotskeule schwingen“, meint Gehring ganz grundsätzlich. Und es gebe auch Todkranke, die keine Angehörigen hätten oder sich scheuten, diese um Sterbehilfe zu bitten. Sie müssten auch die Möglichkeit haben, sich an Dritte zu wenden. Angehörige und Ärzte seien mit dem Wunsch der Sterbewilligen „aufgrund emotionaler Nähe“ oft überfordert, meint auch die Linkenpolitikerin Sitte. „Hier brauchen wir Sterbehilfevereine, die die Menschen in ihrer Not ergebnisoffen beraten.“
Untersagt werden soll dagegen eine rein auf Profit ausgerichtete, gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung. Wer Suizidbeihilfe leiste, um sich "eine fortlaufende Einnahmequelle“ zu verschaffen, würde dem Entwurf zufolge mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.
Künast sagte, dieser Antrag komme dem Wunsch der Bürger am nächsten. Umfragen scheinen ihr Recht zu geben: Dem Politbarometer zufolge wollen 81 Prozent der Bürger assistierten Suizid erlaubt haben, nur 14 Prozent sind dagegen. Jeder habe das Recht, selbstbestimmt über sein Lebensende zu entscheiden, meint die frühere Agrarministerin. Der Staat dürfe sich da nicht einmischen.
Ärzte warnen vor schwer wiegenden Konsequenzen
Die große Mehrheit der Ärzte freilich sieht das anders. Sie lehne Suizidbeihilfe ab, sagte Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery. Ärzte dürften nicht töten. Ihr oberstes Gebot sei es, Leben zu erhalten und Leid zu lindern. Wenn Suizidbeihilfe zur ärztlichen Aufgabe gemacht werde, habe das im übrigen auch schwer wiegende Konsequenzen für Lehre, Forschung, Weiterbildung oder Haftpflichtversicherung, warnte er.
Kuschs Sterbehilfeverein kündigte bereits an, sich gegen ein mögliches Verbot zur Wehr setzen zu wollen. In diesem Fall werde man das Bundesverfassungsgericht anrufen, und die Mitglieder bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung von Zürich aus betreuen.
Meinungsbeiträge zum Thema Sterbehilfe, unter anderen von Peter Hintze, Michael Brand, Renate Künast, Petra Sitte, aber auch vom Gründer des Schweizer Sterbehilfe-Vereins Dignitas, Ludwig A. Minelli, finden Sie in der Tagesspiegel-Debatte zur Sterbehilfe.