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Nachdem am Samstag von pro-russischen Separatisten ein Militärflugzeug der Ukraine abgeschossen wurde, protestierten wütende Ukrainer in Kiew gegen Putin.
© AFP
Update

Kampf gegen prorussische Separatisten: Ukraine schließt Abbruch der Beziehungen mit Russland nicht aus

Prorussische Separatisten schießen ein ukrainisches Militärflugzeug ab - 49 Menschen sterben. Daraufhin versammeln sich hunderte Ukrainer vor der russischen Botschaft in Kiew und randalieren. Die Gasverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wurden ergebnislos auf Sonntag vertagt.

Die Ukraine hat im Kampf gegen moskautreue Separatisten einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Russland nicht ausgeschlossen. Falls Russland auch weiterhin zur Verschärfung der Lage im Osten der Ex-Sowjetrepublik beitrage, müsse die Ukraine zu diesem „äußersten Mittel“ greifen, sagte Außenminister Andrej Deschtschiza am Sonntag in Kiew. Russland verhindere nicht, dass über die gemeinsame Grenze Verstärkung für die Aufständischen gelange. Der Sicherheitsrat in Kiew werde daher an diesem Montag über eine mögliche Schließung der Grenze beraten, sagte Deschtschiza.

Am Samstag hatten die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Russland einen neuen Höhepunkt erreicht. In den frühen Morgenstunden des Samstags schossen prorussische Separatisten ein Militärflugzeug der ukrainischen Armee, eine Illjuschin IL76, in der Nähe des Lugansker Flughafens ab. 49 Menschen, 40 Soldaten und neun Besatzungsmitglieder, verloren dabei ihr Leben. „Dieser Abschuss ist der bisher schwärzeste Tag im unerklärten Krieg zwischen der Ukraine und prorussischen Rebellen“, schreibt die „Kyiv Post“.

Am Samstagnachmittag versammelten sich Hunderte Ukrainer vor der russischen Botschaft in Kiew. Sie rissen die russische Fahne von dem Gebäude ab, stürzen Autos um und zerlegten sie in ihre Einzelteile. Reifen, Sitzbänke und andere Gegenstände wurden in den Vorgarten der Botschaft geworfen. Die russische Botschaft ist zur Straße hin mit Farbbeuteln geworfen worden. Ukrainische Polizisten und Soldaten waren in der Nähe, beobachteten die Szene, griffen aber nicht ein. Das amerikanische Außenministerium äußerte sich besorgt über den Angriff und rief die ukrainische Regierung auf, ausländische Botschaften zu schützen. Moskau protestierte gegen den „Angriff“.

Die Militärmaschine wurde offenbar mit russischen Raketen beschossen

Kurz vor ein Uhr nachts wurde die schwere Transportmaschine, die Verpflegung in die Donbass-Region bringen sollte, von offenbar russischen Raketen abgeschossen. Die Soldaten im Flugzeug kamen von einer Luftwaffenbrigade in Dnipropetrowsk. In der Nähe des Abschussortes, unweit des Lugansker Flughafens, sollen Überreste von drei Rohrträgerraketen russischer Bauart gefunden worden sein. Zudem hätten die Täter Reste von Verpflegung hinterlassen, die ebenfalls darauf hindeuten, dass Russland im Spiel ist.

Ein Soldat untersucht die Überreste der abgeschossenen ukrainischen Militärmaschine in der Nähe des Flughafens von Lugansk in der Ostukraine.
Ein Soldat untersucht die Überreste der abgeschossenen ukrainischen Militärmaschine in der Nähe des Flughafens von Lugansk in der Ostukraine.
© dpa

Einen weiteren Flugzeugabschuss gab es nach Berichten der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass in Gorliwka, einer ebenfalls seit Wochen umkämpften Stadt in der Region Donezk. Zwei Kampfjets der ukrainischen Armee hätten in der Nacht das besetzte Gebäude des Innenministeriums bombardiert. Dabei sei eine der SU-24-Bomben von prorussischen Kämpfern abgeschossen worden. Der Pilot habe sich retten können, sei von Separatisten festgenommen worden und werde verhört. Beim Beschuss des Gebäudes kamen mindestens fünf Menschen ums Leben, mehrere wurden verletzt.

Petro Poroschenko kündigt angemessene Reaktion an

Das politische Kiew zeigt sich geschockt. Der neue Präsident Petro Poroschenko rief den Nationalen Sicherheitsrat zusammen. Die Krisensitzung dauerte bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch an. Zusammen mit seinen Partnern in der EU und in den USA will Poroschenko eine Lösung finden. Der Präsident äußerte sein Beileid mit den Familien der Opfer und kündigte eine angemessene Reaktion gegen diese „zynische Tat der Terroristen“ an.

Von den Regierungsparteien kamen scharfe Töne. Der Chef der rechten Swoboda-Partei, Oleg Tjanibok, forderte ein härteres Eingreifen gegen Russland und die Verhängung des Kriegsrechts in der Ostukraine: „49 Tote. Es ist Zeit, das Kriegsrecht zu verhängen, um unsere Feinde zu stoppen und jene Verräter aufzuspüren, die unsere Truppen verraten“, schrieb Tjanibok im Kurznachrichtendienst Twitter. Julia Timoschenko, die vor drei Wochen gegen Poroschenko die Präsidentenwahlen verloren hat, kritisierte die neue Staatsführung. „Meine Fraktion und ich erwarten eine entscheidende Initiative zur Wiederherstellung des Friedens, so eine Initiative würden wir bedingungslos unterstützen“, sagte Timoschenko.

Europarat sichert Poroschenko Unterstützung zu

In einem gemeinsamen Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande, dass Russland seine Grenzen „wirksam kontrollieren“ solle, „um den Zustrom von Waffen und Kämpfern einzudämmen“. Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte in einem Telefonat mit seinem amerikanischen Kollegen John Kerry, die USA sollten ihren Einfluss auf die ukrainische Regierung geltend machen, um Kiew die „fehlende Perspektive einer militärischen Lösung in dem Konflikt“ klarzumachen. Die Nato will derweil Fotobeweise für die Existenz russischer Panzer in der Ukraine gesammelt haben.

Der Europarat zeigte sich schockiert über die Eskalation der Gewalt und will „die Position der Neutralität überdenken“, sagte Thorbjørn Jagland, Generalsekretär des Europarates. Er sicherte Präsident Poroschenko Unterstützung zu.

Währenddessen gehen in der Ost- Ukraine die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen weiter. Obwohl die ukrainische Regierung am Freitag vermeldet hatte, die Hafenstadt Mariupol sei frei von Separatisten, wurden in der Nacht von Freitag auf Samstag zehn Lastwagen beobachtet, die neue Kämpfer zu den Separatisten brachten. Am Samstag kamen bei Gefechten mehrere ukrainische Soldaten ums Leben. Ein Armeefahrzeug war mit einem Granatwerfer beschossen worden.

BDI unterstützt nun doch Sanktionen gegen Russland

Trotz großer Bedenken in der deutschen Wirtschaft hat sich der Industrieverband BDI nun zu einer Unterstützung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland durchgerungen. Diese könnten ein Weg sein, um Russland die Handlungsbereitschaft des Westens klarzumachen. „Wir würden die Bundesregierung deshalb auch auf diesem Weg unterstützen, wenngleich mit schwerem Herzen“, sagt Hauptgeschäftsführer Markus Kerber im Außenwirtschaftsreport des BDI, der an diesem Montag vorgelegt werden soll. Auf keinen Fall dürfe der Eindruck entstehen, dass die deutsche Industrie das Vorgehen Russlands für nachvollziehbar oder gar für legitim halte. Diese Sanktionen könnten aber beide Seiten hart treffen, sagte Kerber. „Sie dürfen deshalb nur das letzte Mittel sein, falls alle diplomatischen Bemühungen scheitern.“ Auf harte Wirtschaftssanktionen haben die EU und die USA bisher verzichtet.

Kein anderes EU-Land unterhält nach BDI-Angaben mit Russland so enge Wirtschaftsbeziehungen wie Deutschland. 2013 habe der Handel 76,5 Milliarden Euro erreicht, etwa ein Drittel der EU-Exporte nach Russland entfielen auf deutsche Firmen. Die Energieversorgung in Deutschland basiere zu 21,5 Prozent auf Öl- und Gaslieferungen aus Russland. Nach Angaben des BDI hängen in Deutschland 350 000 Arbeitsplätze vom Handel mit Russland ab. Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung beschäftigten in Russland 254 000 Mitarbeiter und erzielten einen Umsatz von 113 Milliarden US-Dollar. In der Ukraine lägen deutsche Firmen bei Direktinvestitionen hinter Zypern an zweiter Stelle und beschäftigten 35 000 Mitarbeiter.

Keine Lösung im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine

Russland und die Ukraine haben bei Krisengesprächen in Kiew erneut keine Lösung im milliardenschweren Gasstreit gefunden. Die Verhandlungen unter Teilnahme von EU-Energiekommissar Günther Oettinger seien ergebnislos auf diesen Sonntag vertagt worden. Das sagte der ukrainische Energieminister Juri Prodan am späten Samstagabend (Ortszeit). Der Chef des russischen Energiekonzerns Gazprom, Alexej Miller, wollte den neuen Termin zunächst nicht bestätigen. Moskau fordert mit Nachdruck die Tilgung offener Rechnungen für geliefertes Gas bis Montagmorgen. Die Ukraine will zunächst einen Rabatt aushandeln. (mit dpa)

Nina Jeglinski

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