Putins Krieg: Ukraine hält russischen Vormarsch auf, USA sammeln Beweise für Kriegsverbrechen – das geschah in der Nacht
Ukrainische Truppen melden Erfolge bei Gegenangriffen, der Westen sieht Belege für gezielte russische Angriffe auf Zivilisten. Der Überblick.
Genau einen Monat nach dem russischen Angriff auf die Ukraine attackieren russische Truppen weiter viele Städte und Gebiete. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ruft die Menschen weltweit zu Protesten gegen den Krieg auf.
Für die Reaktion der westlichen Länder auf den Krieg soll der Donnerstag ein entscheidender Tag werden: In Brüssel stehen Gipfeltreffen der Nato, der Siebener-Gruppe wichtiger Industrieländer (G7) und der Europäischen Union (EU) an. Dazu ist US-Präsident Joe Biden nach Europa gekommen. Die Spitzenberatungen sollen nach Worten seines Sicherheitsberaters Jack Sullivan die „nächste Phase“ der militärischen Unterstützung für die Ukraine einläuten.
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„Auf diesen drei Gipfeln werden wir sehen: Wer ist ein Freund, wer ist ein Partner, und wer hat sich verkauft und betrogen?“, sagte Selenskyj. Man müsse zusammenarbeiten und verhindern, dass Moskau Mitglieder der Nato, EU oder G7 auf die Seite des Krieges ziehe.
Die Ereignisse der Nacht im Überblick:
- Russische Truppen vor Kiew aufgehalten: Die russischen Einheiten greifen nach Angaben des ukrainischen Militärs weiter zahlreiche Städte und Gebiete an, sind aber bei Kiew am Vorrücken gehindert worden. Beim östlichen Kiewer Vorort Browary seien russische Truppen gestoppt worden, teilte der ukrainische Generalstab mit. Es sei ihnen auch nicht gelungen, ukrainische Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, um den nordwestlichen Rand der Hauptstadt zu erreichen. Im Gegenteil sind nach Einschätzung des britischen Geheimdienstes ukrainische Truppen im Nordwesten von Kiew zu erfolgreichen Gegenangriffen übergegangen.
- Im Gebiet Donezk im Osten stand nach Kiewer Angaben die überwiegende Mehrheit ukrainischer Einheiten unter Beschuss. Russische Truppen wollten dort die Orte Werchnoterezke, Marjinka und weiterhin die hart umkämpfte Großstadt Mariupol einnehmen. Die Berichte aus den Kampfzonen lassen sich aber weiterhin nicht unabhängig überprüfen.
- Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums haben die russischen Streitkräfte auch einen Monat nach Kriegsbeginn nicht die Lufthoheit in der Ukraine erobert. Die USA und ihre Verbündeten arbeiteten daran, den Ukrainern mehr Luftabwehrsysteme mit großer Reichweite zu beschaffen. Die derzeit vorhandenen Systeme setzten die Ukrainer „sehr effektiv“ ein. Das sei ein Grund dafür, „warum wir ein ziemlich risikoscheues Verhalten einiger russischer Piloten beobachten“.
- In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist die russische Journalistin Oxana Baulina ums Leben gekommen. Sie sei unter Raketenbeschuss geraten, als sie eine redaktionelle Aufgabe wahrnahm, teilte ihr Arbeitgeber, die Investigativplattform The Insider (theins.ru) mit. Sie habe Zerstörungen im Bezirk Podil in Kiew gefilmt, als dieser unter erneuten Raketenbeschuss gekommen sei. Mit der Journalistin sei ein weiterer Zivilist ums Leben gekommen, zwei Begleitpersonen seien verletzt worden. In der Mitteilung hieß es weiter, die Journalistin sei vor ihrer Stelle bei The Insider für den Anti-Korruptionsfonds des Kremlkritikers Alexej Nawalny tätig gewesen und in der Folge gezwungen gewesen, Russland zu verlassen.
- Die USA haben laut eigenen Angaben Beweise für den Vorwurf von Kriegsverbrechen russischer Soldaten im Ukraine-Krieg gesammelt. Die US-Regierung gehe „auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Informationen davon aus, dass Angehörige der russischen Streitkräfte in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen haben“, erklärte Außenminister Antony Blinken. Es gebe „zahlreiche glaubwürdige Berichte über wahllose Angriffe und Angriffe, die absichtlich auf Zivilisten abzielen, sowie über andere Gräueltaten“. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, äußerte sich ähnlich: „Wir sehen, wie Russland zunehmend die Zivilbevölkerung angreift, Krankenhäuser, Schulen und Zufluchtsorte ins Visier nimmt.“ Er forderte: „Diese Kriegsverbrechen müssen sofort beendet werden.“
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ruft die Menschen weltweit zu Protesten gegen den Krieg auf. „Kommen Sie aus Ihren Büros, Ihren Wohnungen, Ihren Schulen und Universitäten!“, sagte Selenskyj in seinem Aufruf zu weltweiten Protesten. Der Krieg ziele nicht nur auf die Ukraine, sondern Russland versuche, die Freiheit aller Menschen in Europa und der Welt zunichte zu machen, sagte er. Moskau versuche zu zeigen, „dass nur grobe und grausame Gewalt zählt“. Der Präsident in Kiew wandte sich ein weiteres Mal auf Russisch an die Bürger Russlands. Er sei überzeugt, dass es dort viele Menschen gebe, denen schon „schlecht sei“ von den „Lügen der Propagandisten“. Die Ukraine habe nie die Sicherheit der Russischen Föderation bedroht, und Kiew tue alles, um den Krieg zu beenden.
- Im Sperrgebiet um die Atomruine Tschernobyl sind mehrere Flächenbrände erfolgreich bekämpft worden. Die ukrainische Atomaufsichtsbehörde habe die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) darüber informiert, dass die Feuerwehr der Stadt Tschernobyl vier Brände gelöscht habe. Das teilte Generaldirektor Rafael Grossi am Mittwochabend mit. Zur Ursache der Feuer gab es keine Angaben. Russische Truppen hatten das Gelände um das AKW vor rund einem Monat unter ihre Kontrolle gebracht. Dort kam es 1986 zum schwersten Atomunglück in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernkraft.
Der russische Krieg gegen die Ukraine beschäftigt die internationale Politik mit den drei Gipfeltreffen von Nato, G7 und EU in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs müssen sich auch mit der Frage russischer Energielieferungen befassen. Putin ordnete am Mittwoch an, dass „unfreundliche Staaten“ wie Deutschland dafür künftig in Rubel zahlen müssten. Bei einem Nachgeben würden die westlichen Staaten ihre eigenen Sanktionen gegen das russische Finanzsystem aushebeln.
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Auch die Innenminister der G7-Staaten tagen, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nimmt online an den Beratungen teil. Parallel dazu trifft sie sich mit den Innenministern der deutschen Bundesländer. Im Fokus steht die Frage, wie die Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschlands und in der EU verteilt werden können. (dpa, AFP)