Renten für Gewalttäter: Überweist Abbas EU-Hilfsgelder an Terroristen?
Die Bundesregierung wirft den Palästinenserbehörden vor, Renten an inhaftierte Terroristen und deren Familien zu zahlen. Das Geld könnte aus den Töpfen der EU stammen.
Seit mittlerweile zwölf Monaten werden auf israelischen Straßen Menschen attackiert - mit Schusswaffen, Messern und Schraubenziehern. Dutzende Menschen wurden von palästinensischen Attentätern getötet, mehrere hundert wurden verletzt. Weil Mahmud Abbas die Bluttaten in der Vergangenheit nicht entschieden genug verurteilt habe, treffe den Präsidenten der Palästinenserbehörden an der „Messer-Intifada“ zumindest eine Mitschuld, klagen israelische Politiker derweil.
Tatsächlich fielen Abbas‘ Äußerungen alles andere als versöhnlich aus. „Wir preisen jeden Tropfen Blut, der für Jerusalem geflossen ist“, sagte Abbas im Oktober 2015. Einen Tag zuvor hatten junge Männer in Jerusalem Steine auf das Auto von Alexander Levlovitz geschleudert. Der 64-Jährige raste gegen einen Strommast und starb.
Doch die Attentäter können auf mehr als nur warme Worte hoffen. Das palästinensische Ministerium für Gefangenenangelegenheiten stellt darüber hinaus sicher, dass die Familien und Hinterbliebenen der Terroristen finanziell auch dann noch versorgt sind, wenn die Attentäter zu einer Haftstrafe verurteilt wurden oder beim Anschlag ums Leben kamen.
Die Höhe der finanziellen Unterstützung ist dabei abhängig von der Länge der Haftzeit, erklärt Jigal Karmon. Der Israeli ist Chef des Middle East Media Research Institute (Memri) und seine Organisation beobachtet die Praxis der Terror-Renten seit Jahren. „Liegt die Haftstrafe unter drei Jahren werden monatlich bis zu 364 Dollar ausgezahlt; bei einer Haftstrafe von 30 Jahren steigen die Auszahlungen auf 3120 Dollar“, sagt Karmon.
Für die Palästinenserbehörden ist diese Form der finanziellen Unterstützung eine kostspielige Angelegenheit: Im Haushalt für das Jahr 2016 waren rund 310 Millionen Dollar für die Versorgung von palästinensische Häftlinge und ihre Familien eingeplant – bei einem Gesamtbudget von 4,8 Milliarden Dollar.
Formal untersteht das Ministerium für Gefangenenangelegenheiten zwar der "Palästinensische Befreiungsorganisation" PLO und damit einer nichtstaatlichen Institution. Das Budget des Ministeriums allerdings wird von Abbas’ Autonomiebehörden bereitgestellt. Fernab von Ramallah sorgt diese Art der Terrorfinanzierung deshalb für Unmut. Aus Sicht der Bundesregierung sollten solche Zahlungen nicht aus dem Haushalt der palästinensischen Behörden kommen, sagte Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, vorige Woche in der Fragestunde des Deutschen Bundestages.
Bereits Anfang September hatte die Bundesregierung erstmals öffentlich eingeräumt, von den Terror-Renten zu wissen. „Es gibt palästinensische Einrichtungen, die Zahlungen an Familien von in Israel Inhaftierten sowie an Familien von Verletzten und Getöteten leisten. Darunter sind auch Angehörige von Attentätern“, schrieb das Außenministerium damals in der Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Volker Beck.
Brisant: die Bundesregierung überweist ihrerseits Jahr für Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag als Finanzhilfe an die Behörden von Abbas. Das Teile dieser Summen auf den Konten von Terroristen gelandet sein könnten, weist das Ministerium allerdings zurück: „Die Bundesregierung beteiligt sich an diesen Zahlungen nicht.“ Die bilaterale Förderung geschehe ausschließlich über Projektzusammenarbeit, schreiben die Diplomaten, „Budgethilfe findet nicht statt.“
Bundesregierung führte mehrere Gespräche
Der Grünen-Politiker Volker Beck lässt die Erklärung nicht gelten: „Die Auskunft der Bundesregierung ist irreführend, denn mit deutschen Steuergeldern werden sehr wohl direkte Budgethilfen an die Autonomiebehörden geleistet: über Zahlungen aus dem EU-Haushalt nämlich.“ Deutschland müsse deshalb jetzt umgehend mit Brüssel überprüfen, inwiefern von den Palästinenserbehörden Hilfsgelder verwendet werden für Terroristen oder ihre Angehörigen. „Wenn Terror-Renten aus deutschen Finanzmitteln finanziert wurden, muss das Konsequenzen haben“, sagte Beck dem Tagesspiegel.
Doch auch Staatsminister Roth scheint den palästinensischen Projektpartnern nicht gänzlich zu trauen. Das lassen die häufigen Unterredungen vermuten, die zwischen Deutschen und Arabern zum Thema bereits geführt wurden: „Wir haben gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde mehrfach unsere Position unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Es hat mehrere Gespräche gegeben“, sagte Roth.
Damit nicht genug, auch die Kollegen in Brüssel wurden von Berlin gewarnt: „Unser Vertretungsbüro in Ramallah hat dieses Thema im EU-Kreis angesprochen, um die Kolleginnen und Kollegen der Europäischen Union für dieses Thema zu sensibilisieren“, so Roth.
Dort ist das Problem bekannt: „Die EU ist sich bewusst, dass die palästinensischen Autonomiebehörden ein Zuteilungssystem für palästinensische Gefangene, ihre Familien und Ex-Häftlinge unterhält“, sagte ein Sprecher von Federica Mogherini dem Tagesspiegel. Mogherini ist die EU-Beauftragte für Außen- und Verteidigungspolitik und in dieser Funktion verantwortlich für die Hilfsgelder-Überweisungen an die Palästinenser. Das System der Terror-Renten allerdings sei niemals von der EU finanziert worden, versicherte ihre Sprecherin dem Tagesspiegel.
Doch ist das überhaupt möglich, kann Brüssel wirklich ausschließen, dass europäische Finanzmittel zur Finanzierung der Attentäter-Renten veruntreut wurden?
Zumindest wären umfangreiche Kontrollmechanismen notwendig, um dass zu verhindern. Denn die EU zählt weltweit zu den größten Geldgebern der Palästinenserbehörden. Alleine für das laufende Jahr haben die Europäer Abbas Finanzspitzen in Höhe von 291,1 Millionen Euro zugesagt. Fast die Hälfte dieser Mittel, 168 Millionen Euro, wurden dabei als direkte Haushaltszuschüsse über das EU-Hilfsprogramm „Pegase“ angewiesen und waren damit, anders als die deutschen Hilfen, nicht zweckgebunden.
Ein Teil dieser "Pegase"-Gelder wiederum sei, das räumte Mogherinis Büro auf Anfrage ein, von den Autonomiebehörden auch dazu genutzt worden, um Renten, Gehälter und Sozialleistungen zu bezahlen. Jeder "Pegase"-Überweisung durchliefe dabei ein „aufwendiges System von gründlichen Prüfungen“, bevor es dem Zahlungsempfänger gutgeschrieben werde, versicherte die Mogherini-Sprecherin.
Das System hat Schwachstellen
Von externen Prüfungsgesellschaften werde zunächst geprüft, ob der Zahlungsempfänger überhaupt auf einer Liste der Anspruchsberechtigt auftauche. Treffe das zu, gebe es zusätzliche Stichproben, ob die Zahlungsempfänger auf internationalen Sanktionslisten für Terroristen vermerkt wurden. Erst dann werde die Überweisung durchgeführt, versicherte Mogherinis Büro dem Tagesspiegel.
Allerdings hat das System eine Schwachstelle: die Liste der Anspruchsberechtigten nämlich wird nicht von einer unabhängigen dritten Partei erstellt, sondern direkt von Mahmud Abbas’ Behörden erarbeitet, erklärte die Sprecherin. Haben die Autonomiebehörden also ein Interesse daran, bestimmte Personen mit Renten aus dem EU-Topf zu versorgen, wäre es ein leichtes, sie auf die Liste zu setzen.
Dass genau das passiert sein könnte in den vergangenen Jahren, darauf deuten Auskünfte des Auswärtigen Amtes hin. Die palästinensische Seite sehe sich nicht in der Lage, bei ihren Zahlungen an Häftlinge nach den Straftaten zu unterscheiden, die jeweils zu einer Verurteilung geführt hätte, beziehungsweise nach den Umständen, unter denen jemand ums Leben gekommen sei, warnte Staatsminister Roth vergangenen Mittwoch in Berlin. „Es erhalten also zum Teil auch Angehörige von Menschen Zuwendungen, die für schwere und schwerste Straftaten verantwortlich sind.“
Kritik vom Rechnungshof
Die EU sagte dem Tagesspiegel indes, dass sie auch künftig an ihren Budgethilfen für die Palästinenserbehörden festhalten werde. Und verwies zudem auf einen Bericht des Europäischen Rechnungshofes, wonach nichts gegen die bisherige Zahlungspraxis einzuwenden sei. Tatsächlich bescheinigte der Rechnungshof 2012 der EU-Kommission, dass "Pegase"-Überweisungen technisch „robust“ vonstattengingen.
Gleichzeitig warnen die Prüfer allerdings auch vor elementaren Schwächen des Programms. Dem Bericht zufolge wurden demnach Gehälter für eine „beachtliche Anzahl“ Angestellte der Palästinenserbehörde im Gazastreifen überwiesen, die gar nicht zur Arbeit gingen. Die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst seien dieses Problem nicht entschieden genug angegangen, bemängelte der Rechnungshof damals. Die Autoren des Berichts empfahlen zudem, die EU solle den Behörden vor Ort stärker auf die Finger sehen und gemeinsam mit der israelischen Regierung nach Lösungen suchen.
Auch Grünen-Politiker Beck geht das europäische Engagement gegen die Terror-Zahlungen nicht weit genug: „Die EU-Kommission muss darauf bestehen, dass weder die PA noch die PLO Renten an Terroristen oder ihre Hinterbliebenen auszahlen. Man kann sich angesichts der hohen Zuwendungen an den PA-Haushalt doch nicht damit begnügen, dass dies tatsächlich oder vermeintlich nicht direkt aus den EU-Zuwendungen bestritten wird", sagte er. "Die PA weiß, dass ihre Handlungsspielräume ohne Hilfen der EU dramatisch anders aussehen würden.“