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Frauen in Afghanistan haben sich schon weitgehende Rechte erkämpft. Doch sie sind auch immer wieder bedroht.
© Shah Marai/AFP

Afghanische Aktivistin Zubaida Akbar: „Übergebt das Land nicht einfach den Taliban“

Die 29-jährige Afghanin hält das Abkommen zwischen den USA und den Taliban für falsch – sie fürchtet um die Zukunft der Frauen in ihrem Land.

Sie ist wütend und enttäuscht über das Abkommen der USA mit den radikalislamischen Taliban – wie so viele Frauen. Doch Zubaida Akbar will die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihr Land am Ende doch Frieden finden kann. Das aber, sagt die 29-Jährige eine Woche nach Unterzeichnung des Abkommens am Telefon, setze voraus, dass sie Taliban mit den Afghanen reden – und nicht weiterhin Afghanen töteten. Am Freitag zum Beispiel starben in Kabul bei einem Anschlag auf eine Veranstaltung mit hohen Regierungsvertretern wieder zahlreiche Zivilisten.

Bisher haben die Taliban nur mit den Amerikanern geredet und sich ihrer Ansicht nach aufgeführt, als hätten sie die Afghanen besiegt und keinerlei Verantwortung für all die Toten. „Jetzt kommt der Test“, sagt Zubaida Akbar und appelliert: „Die internationale Gemeinschaft muss Druck machen, dass die Taliban mit allen Afghanen reden. Mit den Frauen, der Jugend, den Minderheiten.“ Und sie dürfe auf keinen Fall zulassen, dass vor den Friedensverhandlungen, die eigentlich am Dienstag starten sollten, 5000 Talibankämpfer freigelassen würden, wie die Amerikaner zugesagt haben.

Die Taliban sagen, sie würden für Afghanistan kämpfen, aber diese Leute haben immer gegen die Afghanen gekämpft.“ Nichtsdestotrotz: „Wir sind bereit, mit ihnen zu reden und für unsere Rechte zu kämpfen. Aber in Gesprächen, nicht mit Waffen.“ Afghanische Aktivisten haben in den sozialen Netzwerken inzwischen eine Kampagne gegen die Freilassung gestartet. Am Montag wollen sich nun auch noch sowohl der zum Wahlsieger erklärte bisherige Präsident Ashraf Ghani als auch der unterlegene Gegenkandidat, der bisherige Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah zum Regierungschef erklären.

Nicht nur Frauen zweifeln

Nicht nur Frauen haben Zweifel, dass die Taliban sich an das Abkommen halten, geschweige denn wirklich Frieden und Friedensgespräche mit allen Gruppen der Bevölkerung führen wollen. Manche bezweifeln auch, dass die afghanische Regierung eine entsprechend breit aufgestellte Verhandlungsgruppe aufstellt. Doch vor allem Frauen fürchten um die Rechte, denn sie werden in dem Abkommen nicht einmal erwähnt. Stattdessen haben die Amerikaner bereits den Abzug ihrer und der verbündeten Truppen bis zum kommenden Jahr zugesagt.

Zubaida Akbar mit ihrem Sohn auf einem privaten Foto.
Zubaida Akbar mit ihrem Sohn auf einem privaten Foto.
© privat

Schon in den in den ersten 135 Tagen sollen die US-Truppen auf 8600 und proportional auch die der Alliierten, also auch der Deutschen, reduziert werden. Im Gegenzug sollen die Taliban verhindern, dass Terrororganisationen das Land wie etwa Osama Bin Laden nutzen und von dort aus Anschläge auf Amerika oder dessen Verbündete verüben (hier der Wortlaut des Abkommens).

Schon mit 16 gründete sie eine Hilfsorganisation

Zubaida Akbar liebt ihr Land. Und sie hat sich schon früh für die Rechte von Mädchen und Frauen eingesetzt. Bereits mit 16 gründete sie eine eigene Hilfsorganisation. „Hadia“ unterstützt heute mit zehn Mitarbeitern in Herat 85 Waisenkinder, 50 Afghanen helfen ihnen dort mit Spenden, erzählt die kämpferische Afghanin. Ihre jüngste Schwester kümmert sich jetzt um das Team in der Hauptstadt Kabul. Mit der 22-Jährigen haben Jungs aus einem Waisenhaus gerade ein Theaterstück über ihr Leben aufgeführt. „Jeder kann etwas tun“ – das ist die Devise von Zubaida Akbar. Trotz aller Gefahr organisierte sie mit Freunden mitten in Kabul eine Demonstration für Frauenrechte. Das will sie nicht wieder verlieren.

Verlassen jetzt noch mehr gut ausgebildete Frauen das Land?

Im Moment führt sie ihren Kampf allerdings von dem Land aus, dessen Präsident sie so sehr enttäuscht hat: den USA. „Ich wollte nicht gehen, und ich werde zurückgehen. Aber ich musste meinen Sohn schützen“, erzählt die junge Mutter. Sie hat im Frühjahr 2018 Kabul verlassen und arbeitet jetzt bei einer internationalen Organisation in Washington.

Lange hat sie ausgeharrt. Auch, als sie nach dem Abzug der internationalen Schutztruppe Isaf Ende 2014 immer öfter angefeindet wurde, sie wollte bleiben. Damals arbeitete sie und studierte Recht. „Aber dann sind wir nur fünf Minuten einem Selbstmordanschlag entkommen, zehn Minuten vom Kindergarten meines Sohns ging eine Bombe hoch“, erzählt sie. „Ich wollte meinem Kind nicht erklären müssen, was ein Selbstmordattentäter ist – und ich wollte nicht, dass er das erleben muss.“

Sie habe bereits zum zweiten Mal ihr Land wegen der Taliban verlassen müssen. „Ich weiß noch, wie ich als Kind zu Fuß von Kabul nach Peshawar laufen musste und wir als Flüchtlinge in Pakistan gelebt haben“, erzählt sie. Zuhause sprechen sie und ihr Mann Farsi, ihr Sechsjähriger hält am Wochenende per Messenger zu seinen Freunden in Kabul Kontakt, und im Sommer wollen sie den Rest der Familie in Kabul besuchen. „Ich wollte nicht gehen, ich musste.“

Frauenrechtsaktivistinnen wie Shukria Jalaljzay in Kabul fürchten, dass andere gut ausgebildete Frauen dem Beispiel von Zubaida folgen werden, wenn die Taliban an der Macht beteiligt werden sollten, obwohl gerade sie dringend gebraucht würden, wie sie der ARD sagte. Auch Jalaljzay sagt, Frauen könnten heute ihre Interessen zumindest in der Regel offen vertreten. „Aber wir befürchten, dass die Taliban das nicht respektieren werden.“

Inzwischen wünschen sich mehr Frauen als Männer die Flucht nach Deutschland

Inzwischen haben sich Frauen – auch mit Hilfe der Gruppe Hadia, Frauen wie Zubaida Akbar, ihrer Familie und ihren Freunden - in Afghanistan einige Rechte erkämpft. Sie sind in der Politik, führen Unternehmen, sind Wissenschaftlerinnen und arbeiten in unterschiedlichsten Bereichen. Das war unter der Herrschaft der Taliban nicht möglich, allenfalls zuhause. Frauen konnten das Haus nicht ohne männliche Begleitung und nur in Burka verhüllt verlassen.

Inzwischen gibt es Gesetze, die Frauen vor Gewalt schützen sollen. Vor allem in ländlichen Regionen ist die Lage der Frauen in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft aber weiter sehr schwierig.

Vor allem in den Städten gibt es inzwischen gut ausgebildete Frauen. Viele Mädchen gehen heute zur Schule – allerdings verlassen viele sie schon bald wieder, einer Gallup-Studie zufolge haben 91 Prozent der Frauen maximal eine Grundschulausbildung. Die im Herbst veröffentlichte Umfrage ergab, dass die afghanischen Frauen die am wenigsten zufriedenen auf der Welt waren, was die Freiheit ihrer Entscheidungen angeht.

Aber selbst um die wenigen Möglichkeiten steigen die Sorgen mit dem Vorrücken der Taliban. Seit 2016 verdreifachte sich demnach die Zahl der Frauen, die ihr Land verlassen wollten auf 47 Prozent. Und es waren diesmal entschieden mehr Frauen als Männer (35 Prozent). In den von den Taliban kontrollierten Gebieten sind es besonders viele. Die Top 3 der Zielländer: USA, Deutschland und die Türkei. Selbst wenn sich in der Realität weniger auf den Weg machen, zeigt es die Angst der Frauen vor den Taliban. (hier der Text der Studie).

Äußerungen des Talibansprechers Muhammad Suhail Shaheen lassen die Befürchtungen sehr real erscheinen. Die Frauen müssten sich an das islamische Recht halten, sagte er. Er nannte nicht die Verfassung als Grundlage. Wenn sie einen Schleier trügen, werde ihnen das Recht auf Ausbildung und Arbeit garantiert. 

 Hilfsorganisationschefin: Der IS hat Zulauf

Nach Ansicht der Chefin der Hilfsorganisation Medica Afghanistan, Jamila Afghani, ist der Krieg keineswegs vorbei. Es habe vielmehr „ein neues Kriegskapitel begonnen“, sagte sie ihren Kolleginnen von Medica Mondiale in Köln. Dazu zählt sie die die Gewalt der Taliban, Korruption und die Drogenmafia. Anders als im US-Abkommen versprochen fänden Kämpfer der Terrorgruppe Islamischer Staat „stetig Zuwachs“. Ihr mache auch der neue Konflikt zwischen den USA und Iran Sorgen.

Zubaida Akbar sagt, sie denkt jeden Tag an ihre Heimat, denkt über ihre Rückkehr nach. „Du bist keine andere Person, nur weil du dich physisch in ein anderes Land begibst.“

Und so erhebt sie weiter ihre Stimme. Am Tag des Abkommens twitterte sie sarkastisch: „Sie gehen und lassen uns in den Händen der gleichen Leute, die verantwortlich sind für den Tod von 157 000 Menschen seit 2001. Gut gemacht, Trump!“ Am Mittwoch folgte: „Seit der Unterzeichnung von Trumps beschämendem Friedensdeal mit den Taliban haben die Taliban jede Stunde einen afghanischen Soldaten getötet. Schäm‘ dich, Trump, schäm‘ dich Khalilzad!“ schleuderte sie dem US-Präsidenten und dessen Unterhändler im Netz entgegen.

Doch so sauer sie ist, sie will, dass etwas vorangeht. Denn sie will nach Ablauf ihres Fünfjahresvisums nicht die US-Staatsbürgerschaft beantragen, sondern nach Afghanistan zurückkehren. „Ich bin noch nicht so weit zu glauben, dass das nicht klappt“, sagt sie lachend.

US-General Allen fällt ein vernichtendes Urteil über den Deal

Sie möchte nicht, dass John R. Allen Recht behält. Der ehemalige Befehlshaber der Isaf-Schutztruppe hat sich gerade mit vernichtender Wucht zu Wort gemeldet. Der US-General, der inzwischen Präsident des angesehenen Think Tanks Brookings Institution ist, hat seiner Regierung ihren Deal mit den Taliban komplett um die Ohren gehauen.

Das Abkommen werde zu keinerlei Frieden führen und die Frauen der Willkür überlassen. Dass die USA keine klare Erwartung für die Rechte der Frauen formuliert haben „ist die Aufgabe unserer Prinzipien und des Grunds, warum wir so lange und so hart gekämpft haben.“ Das Schicksal der Frauen nun dem inner-afghanischen Dialog zu überlassen, sei der Abschied von der Verantwortung, die Menschenrechte zu unterstützen. „Wir alle sollten uns klar darüber sein: Die Taliban werden den afghanischen Frauen nie den Respekt und den Platz in der künftigen afghanischen Gesellschaft zugestehen, den sie verdienen.“

Und, so ist er überzeugt – trotz aller Ankündigungen, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen: Wenn die US-Truppen erst einmal abgezogen seien, werde niemand zurückkommen. Das wüssten auch die Taliban. 

Zubaida Akbar hofft: Bei Wahlen würden die Taliban verlieren

Zubaida Akbar will ihre Hoffnung aber nicht aufgeben. Das alles Entscheidende sei nun, dass die Taliban mit allen afghanischen Gruppen reden. „Wenn sie reden wollen, sind aus allen gesellschaftlichen Gruppen und aus allen Teilen des Landes Leute da, die reden wollen und die reden können“, ist sie trotz aller Kritik an der allgemeinen Situation in ihrem Land überzeugt. Die Afghanen hätten Mechanismen wie die Volksversammlung Loya Dschirga entwickelt, um alle einzubeziehen.

„Die Taliban haben meine Freunde getötet, ich musste wegen ihnen mein Land verlassen, aber auch ich bin bereit, mit ihnen zu reden“, sagt Zubaida Akbar. Sie ist sich bewusst, dass jede Vereinbarung Kompromisse bedeuten wird. „Wir werden einige unserer Freiheiten verlieren“ – aber es dürfe kein Rückfall unter die Taliban-Herrschaft sein. „Ich habe schon einmal dafür gefochten, dass ich auf die Straße gehen kann und kein Kopftuch trage, das würde ich nochmal tun.“

Und sie ist sicher: „Wir können etwas ändern.“ Vielleicht sei das Abkommen mit Trump „ein Anzeichen dafür, dass die Taliban müde sind zu kämpfen oder nicht mehr so viele Unterstützer haben“, macht sie sich selbst Mut.

Wenn die Taliban wieder etwas in Afghanistan zu sagen haben wollten, sollten sie die Afghanen abstimmen lassen. „Wir haben eine Verfassung, wir haben Wahlen“, sagt Zubaida Akbar, die sehr wohl um all die Korruptionsvorwürfe und Unzulänglichkeiten weiß. Sie hofft, dass die Afghanen die Schlächter und Menschenverächter in die Schranken weisen würden, wenn sie bei Wahlen anträten.

„Wir hatten auch viele Probleme mit den Mudschaheddin, mit Hekmatyar.“ Hekmatyar ist einer der brutalen Warlords, der für den Tod Tausender Zivilisten verantwortlich ist. Er sei selbstbewusst in die Wahl gezogen, sagt Zubaida Akbar. Aber die Bevölkerung habe ihn nicht gewollt. „Er ist nicht unter den ersten Vier.“ So könnten auch die Taliban zurechtgestutzt werden, denkt die junge Mutter.

Und wenn dann Ruhe herrsche, könnten alle ausländischen Soldaten gehen. Das sei am Ende schließlich das Ziel aller. Aber Zubaida Akbar mahnt – und es ist ein Flehen, denn auch sie weiß, dass Trump versprochen hat, die US-Soldaten heimzuholen und viele Deutsche ihre Soldaten lieber heute als morgen vom Hindukusch abziehen würden: „Übergebt das Land nicht einfach an die Taliban. Es wäre nicht nur ein Verlust für uns Afghanen, sondern ein Verlust für die Welt – für alles, was wir zusammen erreicht haben.“   

Ingrid Müller

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