Yücel ist frei: Über die Feinde der Freiheit
Es gibt keinen Zweifel daran, dass Deniz Yücel ein politischer Gefangener Erdogans war. Aber die Pressefreiheit muss auch in Deutschland verteidigt werden. Ein Kommentar.
Deniz Yücel ist frei, endlich, nach einem Jahr in Haft, ein Moment der uneingeschränkten Freude. Der Korrespondent, entsandt von der „Welt“, wurde wie eine Geisel gefangen gehalten, weil der türkische Präsident Erdogan Journalismus für Terrorismus hält und sich seine Justiz ihm anschließt. 18 Jahre Gefängnis forderte am Ende die Staatsanwaltschaft, der Vorwurf: Unterstützung einer Terrororganisation.
Ob Yücel jetzt auch wie eine Geisel ausgetauscht wurde, also ob es Deals gegeben hat zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara, direkte oder solche mit Zeitzünder, bleibt vorerst unklar, Spekulation. Aber es ist, zum Beispiel, dieser Tage zu hören, dass mehrere türkische Offiziere, die nach dem Putsch nach Deutschland geflohen waren und deren Auslieferung Erdogan gefordert hatte, in den vergangenen vier Wochen die Bundesrepublik wieder verlassen haben – in ein europäisches Land außerhalb des Schengenraums. Zufall?
Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt
Es gibt jedenfalls keinen vernünftigen Zweifel daran, dass Yücel ein politischer Gefangener war. Das wurde deutlich an den Äußerungen Erdogans zu Beginn der Affäre, das wird deutlich an denjenigen von Außenminister Gabriel jetzt, er habe in den vergangenen Tagen „viele Gespräche mit der türkischen Regierung zur Beschleunigung des Verfahrens geführt“. Die Behauptung der türkischen Regierung, sie habe keinen Einfluss auf die Entscheidung des unabhängigen Gerichts genommen, ist mit Blick auf die Zahl willkürlich verhafteter Staatsanwälte und Richter seit dem vereitelten Putsch zynisch: Der Ausnahmezustand wurde gerade zum sechsten Mal verlängert, der Präsident regiert per Dekret, eine Anfechtung ist ausgeschlossen. Und während die Freilassung Yücels als Zeichen der Entspannung zwischen der Türkei und Deutschland angesehen wird, wurden gestern, am Tag der Freude, in der Türkei mehrere Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt. Dutzende weitere warten auf ihre Verfahren.
Ähnlichkeiten mit Erdogan
Menschenrechtsverletzungen, Demokratiedefizite und misshandelte Pressefreiheit in der Türkei zu beklagen, ist das eine. Zum anderen ist im Fall Yücel aber auch ein erschreckender „Geschieht ihm recht“-Reflex in Deutschland zu konstatieren. Denn es gab hierzulande nicht nur eine breite Unterstützung für den seiner Freiheit beraubten Journalisten, sondern auch eine bemerkenswerte Gehässigkeit ihm gegenüber. Sie äußerte sich in Gesprächen, in Blogs, in sozialen Netzwerken, in Leserbriefen, und sie kam nicht nur aus den erwartbaren rechtsradikalen Kreisen und dem Umfeld der AfD, sondern auch aus der Mitte der Gesellschaft. Anlass waren zwei umstrittene ältere Kolumnentexte Yücels in der „taz“, ein bitterböser über Thilo Sarrazin, der sich vor Gericht erfolgreich dagegen wehrte, ein satirischer über Deutschland, das sich dem Wunsch des Autors nach einem „baldigen Abgang“ bis heute hartnäckig widersetzt. Dafür wünschten ihm nicht wenige, die sich ansonsten als aufrechte Demokraten geben, einen noch längeren Aufenthalt im türkischen Gefängnis, zumal ihm ja Deutschland nicht passe, und stellten das Engagement für Yücel deshalb in Frage. Solche Leute sind Erdogan ähnlicher als sie denken – die Pressefreiheit ist nicht nur am Bosporus jeden Tag zu verteidigen.
Doch für den Moment zählt nur eins: Deniz Yücel ist frei. Willkommen zurück in der Freiheit.
Lorenz Maroldt