Angela Merkel und Sigmar Gabriel: TV-Fernduell mit Schönheitsfehlern
Während Angela Merkel (CDU) in der Bevölkerung laut Umfragen weiter an Ansehen verliert, rückt Sigmar Gabriel (SPD) von ihrer Flüchtlingspolitik ab und spricht erstmals von einer Obergrenze.
Die Sommerpause des Bundestages ist fast vorbei, zwei Landtagswahlen stehen vor der Tür, und die Probleme für die Koalition aus Union und SPD sind nicht kleiner geworden. An diesem Sonntag lieferten sich Kanzlerin und Vizekanzler gewissermaßen ein Fern-TV-Duell: Angela Merkel (CDU) in der ARD, Sigmar Gabriel (SPD) im ZDF. Kleiner Schönheitsfehler am Rand: Weder Merkel noch Gabriel haben sich bisher klar dafür ausgesprochen, ob sie ihre Parteien 2017 als Spitzenkandidaten auch in den Bundestagswahlkampf führen wollen. Während die Regierungschefin von einem „gegebenen Zeitpunkt“ spricht, an dem sie ihre Entscheidung bekannt geben will, wiegelt ihr Vize mit der Frage ab, warum er sich entscheiden soll, wo doch Frau Merkel noch nicht mal wisse, ob sie 2017 antreten wolle.
Für die Kanzlerin wird der September von entscheidender Bedeutung sein – innen- wie außenpolitisch. Nachdem Angela Merkel vor genau einem Jahr die Grenzen für die Flüchtlinge öffnete und den Deutschen versprach „Wir schaffen das“, wird nun politisch Bilanz gezogen. Ihr Kurs in der Flüchtlingspolitik hat sie nicht nur Ansehen in der Bevölkerung gekostet – jeder zweite Bürger lehnt nach einer Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ eine vierte Amtszeit Merkels ab 2017 ab.
Auch innerhalb der Unionsfamilie machen ihr Widersacher das Leben schwer. Aus der CSU gibt es anhaltende Kritik an Zuwanderung und Integration der Flüchtlinge bis hin zur Unsicherheit, ob und wie die bayerische Schwesterpartei im Wahlkampf im kommenden Jahr Merkel unterstützen will. Und auch in der CDU muss sich die Kanzlerin mit dem Vorwurf auseinandersetzen, der rechtspopulistischen AfD konservative Wählerschichten zugetrieben zu haben. In Merkels politischer Heimat Mecklenburg-Vorpommern droht die AfD zur kleinen Volkspartei zu erstarken, und in Berlin muss die CDU um ihre Regierungsbeteiligung fürchten. Merkels Botschaft: Es sei schon viel bei der Integration der Flüchtlinge getan. Aber: „Es gibt weiteres zu tun“.
Merkels Vize-Regierungschef Sigmar Gabriel sendet leichte Absetzsignale
Beachtenswert: Vor den Landtagswahlen in Schwerin und Berlin sendet nun auch Merkels Vize-Regierungschef Sigmar Gabriel leichte Absetzsignale – und lässt Merkel damit in der Frage der Öffnung Deutschlands für die Flüchtlinge alleine stehen. Im ZDF-Interview sagte der SPD-Chef: „Wir haben immer gesagt, es ist undenkbar, dass Deutschland jedes Jahr eine Million Menschen aufnimmt“ und sprach sogar über eine Obergrenze beim Zuzug. Diese liege „bei der Integrationsfähigkeit eines Landes.“ Bisher hatte sich die SPD strikt gegen eine Obergrenze gewandt und die Kritik an Merkel auf deren vermeintlich mangelndes Engagement bei der Integration der Flüchtenden begrenzt. Dazu steht Gabriel auch jetzt noch, die CDU habe man oft „zum Jagen tragen müssen“. Merkels Erwiderung: „Wir haben die Entscheidungen gemeinsam getroffen.“
Nicht losgelöst von der Flüchtlingsfrage steht für Merkel auch die Zukunft der EU im Fokus dieses Herbstes. Vor dem Gipfeltreffen Mitte des Monats, bei dem es auch um den Weg der EU nach dem Brexit gehen soll, ist klar, dass Merkel die Führungsrolle übernommen hat. Nun muss es ihr gelingen, nicht nur die verschiedenen Interessen der Europäer in Einklang zu bringen, sondern auch das Verhältnis zur Türkei in den Blick zu nehmen. Bezüglich des Brexit mahnt sie: „Keine hektischen Aktivitäten“. Und den in Deutschland lebenden Deutschtürken, von denen die Kanzlerin noch vor Kurzem mehr Loyalität gefordert hatte, streckt sie nun die Hand aus: „Ich will auch deren Kanzlerin sein.“
Nicht minder entscheidende Wochen stehen auch vor Sigmar Gabriel. Seine Partei muss ihre Regierungsbeteiligung in Schwerin und Berlin verteidigen. Und gleich nach der Wahl in Berlin muss er zudem seine Partei bei einem Konvent vom Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada überzeugen. Seine Position innerhalb der SPD, aber auch sein Ruf als Wirtschaftsminister stehen auf dem Spiel. Zwar sagt er im Interview mit dem ZDF, er könne sich „nicht vorstellen, dass die deutsche Sozialdemokratie Europa anhält." Aber sicher kann er sich da nicht sein. Mit TTIP jedenfalls, sagt Gabriel, habe Ceta nichts zu tun. Das umstrittene Abkommen mit den USA sei ohnehin „de facto gescheitert“.