Der Absturz der SPD: Tut es wieder, baut Brücken!
Die SPD in Bayern im freien Fall, verliert die Hälfte ihrer Sitze. Sehen die Sozialdemokraten in Deutschland ihrem Ende entgegen? Ein Kommentar.
Ist die SPD noch eine Volkspartei, hat sie überhaupt noch Zukunft? Die Frage stellt sich, spätestens seit Sonntagabend. Mitten in einer Phase kontinuierlich fallender Zustimmungswerte im Bund wird die SPD von den Wählern in Bayern halbiert. Im Freistaat ist Deutschlands älteste demokratische Partei Deutschlands nun nur noch fünftstärkste Kraft.
Noch diszipliniert der Hinweis auf die Hessen-Wahl die Genossen. Die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung soll keiner kaputtmachen durch Schuldzuweisungen an die Führung oder mit der Forderung nach dem Sofortausstieg aus der großen Koalition. Doch der Druck steigt.
Was aber sind die Gründe für das Bayern-Desaster? Spitzenkandidatin Natascha Kohnen hatte ihren Wahlkampf viel zu eng angelegt, verlor in alle Richtungen. Dazu kam das Missmanagement von Andrea Nahles in der Maaßen-Affäre. Die SPD-Chefin hat bis heute kein Mittel gefunden, eine Brandmauer hochzuziehen zwischen ihrer eigenen Partei und dem Streit von CDU und CSU um Flüchtlingspolitik. Da nutzen alle SPD-Regierungserfolge nichts – wenn Horst Seehofer poltert, schaut keiner mehr hin.
Natürlich machen individuelle Fehler nur einen Teil der Malaise aus, sind strukturelle Gründe gewichtiger. Schaut man sich um in Europa, führen Sozialdemokraten nur noch in Spanien und Portugal eine Regierung. In Ländern wie Frankreich oder gar den Niederlanden sind die Parteifreunde der SPD marginalisiert.
Überall in Europa leiden die Erben Willy Brandts und Francois Mitterrands an ähnlichen Problemen. Es war ihre historische Leistung, mit dem Fortschrittsversprechen eine Brücken zu bauen zwischen Milieus, zwischen sozial Schwächeren und linksliberalen Bürgern. Das stärkte die Partei und die Gesellschaft.
Doch in der Globalisierung haben die Sozialdemokraten einseitig die Öffnung von Wirtschaftsräumen und Grenzen verteidigt und viele verprellt, die auf Schutz angewiesen sind. Bei der Bundestagswahl verlor die SPD mit fast 500.000 Wählern die größte Gruppe an die AfD.
Aber die Sozialdemokraten reagieren nicht mit einem Schutzversprechen oder Angeboten an die Abgewanderten. Nach außen verteidigen sie noch den Anspruch der Volkspartei, versuchen aber lediglich die letzten Anhänger mit Sozialprogrammen zu halten. Nahles will sich nun aus dem "Gefängnis der Agenda-Politik" befreien. Ihr Angebot richtet sich kaum mehr an die Mitte der Gesellschaft, sie läutet ein Rückzugsgefecht ein.
In ihrer Not wollen nun viele Genossen den Koalitionsvertrag zerreißen, um in der Opposition zu sich selbst zu finden. Nur – was bringt das? Will die SPD mit Neuwahlen Deutschland ein halbes Jahr Stillstand verordnen? Hat nicht das Beispiel der Bayern-SPD gezeigt, zu welchem Sektierertum lange Jahre in der Opposition führen? Und wäre die Republik mit einer weiter geschrumpften SPD und einer gestärkten AfD humaner?
Für Häme ist kein Anlass. Im Willy- Brandt-Haus, das mittlerweile sehr groß wirkt für eine Partei unter 20 Prozent, gibt es längst keine Königswege mehr, sondern nur noch schlechte und noch schlechtere Entscheidungen. Trotzdem muss die SPD weiter versuchen, Brücken zu bauen, auch wenn das in einer individualisierten Gesellschaft immer schwerer wird. Sie wird dabei zwangsläufig Wähler verprellen. Vielleicht kann die SPD auf diese Weise nur noch 20 Prozent erreichen – und sich doch selbst retten.