Bespitzelung von Gülen-Anhängern: Türkische Spionage ist ein Fall für die Justiz
Innenminister de Maizière kritisiert mögliche Spionageaktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland scharf. Jetzt hat sich auch die Bundesanwaltschaft eingeschaltet und nahm Ermittlungen auf.
Wegen des Spionageverdachts gegen den türkischen Geheimdienst MIT, der in Deutschland Anhänger der Gülen- Bewegung ausspioniert haben soll, wird nun die Justiz aktiv: Die Bundesanwaltschaft nahm am Dienstag Ermittlungen gegen Unbekannt auf.
Zuvor hatte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) eine gründliche Untersuchung gefordert. Sollte sich der Vorwurf bestätigen, dass mutmaßliche Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan hierzulande in großem Umfang ausgespäht wurden, „wäre es in der Tat ein schwerwiegender Vorgang“, sagte Gabriel. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte: „Spionageaktivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet.“
Gülen-Sympathisanten eingeschüchtert und bedroht
Anlass für die Empörung ist eine Liste angeblicher Gülen-Anhänger, die dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, im Februar von MIT-Chef Hakan Fidan überreicht worden war – offenbar in Erwartung von Amtshilfe. Die Türkei geht seit Längerem massiv gegen die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen vor, den Präsident Erdogan für den Putschversuch im vergangenen Jahr verantwortlich macht. Auch in Deutschland wurden in der Vergangenheit Gülen-Sympathisanten eingeschüchtert und bedroht.
Die Liste des MIT, auf der mehr als 300 vermeintliche Gülen-Anhänger und über 200 Institutionen stehen, wurde an die Sicherheitsbehörden der Bundesländer weitergeleitet. Mehrere Länder entschieden sich, Betroffene zu informieren. Dazu gehören Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern. In NRW, wo 140 der gelisteten Personen leben, wurden die Betroffenen vor dem Besuch diplomatischer Vertretungen der Türkei in Deutschland gewarnt. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu befürchtet etwa, dass Gülen-Anhängern in den Konsulaten die Pässe abgenommen werden könnten.
Opposition kritisiert Verfassungsschutz
Ercan Karakoyun, führender Repräsentant der Gülen-Anhänger, berichtet von Beschimpfungen und Einschüchterungsversuchen. „Ich habe bisher etwa 15 Morddrohungen bekommen“, sagte er dem Tagesspiegel. Besonders brisant ist das vor dem Hintergrund des Referendums, bei dem derzeit in Deutschland lebende Türken über die Verfassungsänderung durch Präsident Erdogan abstimmen sollen.
Oppositionspolitiker kritisierten unterdessen das für die Spionageabwehr zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). „Sollten tatsächlich türkische Geheimdienstleute in Deutschland unterwegs sein, muss das BfV das aufklären. Da passiert mir viel zu wenig“, sagte der Linken-Politiker André Hahn, stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Auch der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz forderte, das BfV müsse das Parlament über seine Erkenntnisse zu MIT-Aktivitäten hierzulande informieren.
Agenten könnten enttarnt werden
Auch der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster fordert, dass „dieser Skandal aufgeklärt wird“. Er sieht die Namensliste des MIT, die auch Meldeadressen, Handy- und Festnetznummern sowie viele Fotos von Betroffenen beinhalten soll, als Chance für den Verfassungsschutz, mögliche Agenten zu enttarnen. „Es war ungeschickt von den Türken, dem BND die Liste zu übergeben - sie könnte aufschlussreiche Informationen enthalten“, sagte er dem Tagesspiegel.
BND von Gülen-Putsch nicht überzeugt
Schon seit längerem ermittelt der Generalbundesanwalt zudem wegen des Verdachts der Spionage beim bundesweiten Dachverband der türkischen Moschee-Gemeinden Ditib. Die Ditib ist mit rund 900 Gemeinden der größte islamische Einzelverband in Deutschland. Einige Ditib-Imame sollen Informationen über angebliche Gülen-Anhänger an die türkische Regierung weitergeleitet haben.
Die Bundesregierung sieht keinen Beleg dafür, dass die Gülen-Organisation in den Militärputsch verwickelt war. „Die Türkei hat auf den verschiedensten Ebenen versucht, uns davon zu überzeugen“, sagte BND-Chef Kahl kürzlich dem „Spiegel“: „Das ist ihr aber bisher nicht gelungen.“ (mit dpa, KNA, AFP)