Türkischer Premier trifft Merkel: Streit um Spitzel-Imame in Deutschland eskaliert
Im Konflikt um die Spitzel-Imame könnten deutsche Stiftungen in der Türkei Ziel einer Retourkutsche werden. Premier Yildirim will heute mit Merkel über die Affäre reden.
Im Konflikt um die mutmaßlichen türkischen Spitzel-Imame in Deutschland wird in der Türkei die Forderung nach einer Retourkutsche laut: Nach der Durchsuchung der Wohnungen von vier türkischen Geistlichen in der Bundesrepublik könnte es nun schon bald Druck auf die deutschen politischen Stiftungen in der Türkei geben. Ministerpräsident Binali Yildirim will an diesem Samstag bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über den Streit reden. Die Angelegenheit entwickelt sich zu einem Thema für den Wahlkampf vor dem türkischen Verfassungsreferendum im April.
Metin Külünk, ein Parlamentsabgeordneter der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, forderte die türkische Staatsanwaltschaft öffentlich zu Ermittlungen gegen die deutschen Stiftungen wegen des Verdachts der Spionage auf. Ende Januar hatte der Abgeordnete bereits eine Anfrage an das Innenministerium gerichtet, in der von angeblich staatsfeindlichen Aktivitäten der Stiftungen sowie deutscher Journalisten in der Türkei die Rede war.
Vertreter der deutschen parteinahen Adenauer-, Böll-, Ebert- und Naumann- Stiftungen waren schon mehrmals ins Visier türkischer Nationalisten geraten. Sie wurden unter anderem wegen des Mordes an einem Historiker vor Gericht gestellt. Der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigte die Stiftungen vor einigen Jahren, Gelder an die kurdische Terrorgruppe PKK weitergeleitet zu haben. Die regierungsnahe Presse warf den Stiftungen vor, für den BND zu arbeiten. Nach Külünks neuen Vorwürfen wurde in türkischen Medien die Frage gestellt, ob die Justiz gegen die Stiftungen einschreiten werde.
Külünk startete seine Attacke auf die Stiftungen, während sich Yilidirim auf sein zweites Gespräch mit Merkel innerhalb weniger Wochen vorbereitete. Bei Merkels Besuch in Ankara zu Monatsbeginn hatte Yildirim der Bundesregierung vorgeworfen, türkischen Staatsfeinden Unterschlupf zu gewähren. Gemeint waren PKK-Aktivisten, Linksextremisten und Anhänger des islamischen Predigers und Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen, die von den Imamen des türkischen Religionsamtes in Deutschland ausspioniert worden sein sollen.
Ministerpräsident Binali Yildirim spricht in Oberhausen
Yildirim will heute in Oberhausen an einer Wahlkampfveranstaltung für die türkische Volksabstimmung über das Präsidialsystem teilnehmen. Deutsche Politiker wie Grünen-Chef Cem Özdemir werfen ihm vor, um Wählerstimmen zu werben, während die Opposition unterdrückt werde. Mit Spannung wird erwartet, ob Yildirim bei seiner Rede den Streit um die Imame ansprechen wird. Die Bundesregierung bekräftigte am Freitag mit Blick auf den Auftritt Yildirims in Oberhausen, sie gehe davon aus, dass innenpolitische Auseinandersetzungen nicht nach Deutschland getragen werden. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, es gebe die Erwartung, dass der Auftritt von einem Geist geprägt sei, „der nicht zu einer zusätzlichen Polarisierung der hier lebenden Türken beiträgt“.
In der Erdogan-nahen Presse wird weiter Stimmung gegen Merkel und Deutschland gemacht. Eine Fotomontage auf der Titelseite der islamistischen Zeitung „Yeni Akit“ am Freitag zeigte Merkel in einer Nazi-Uniform. Das Blatt warf den deutschen Behörden vor, auf Befehl der Gülen-Bewegung gegen die türkischen Imame vorgegangen zu sein. Grund sei, dass die Geistlichen die Türken in Deutschland vor den Gülen-Anhängern „gewarnt“ hätten, hieß es in der Zeitung.
Vor Yildirims Besuch hatte Justizminister Bekir Bozdag den Krach mit dem Vorwurf angeheizt, das Vorgehen der deutschen Behörden gegen die Imame sei ein glatter Rechtsbruch. Religionsamtschef Mehmet Görmez legte am Freitag mit einer Erklärung nach, in der von einer „Hetzkampagne“ gegen den Moscheeverband Ditib, den Vertreter des Religionsamtes in Deutschland, die Rede war. Görmez betonte, sechs der Spionage bezichtigten türkische Imame seien als Zeichen des guten Willens aus Deutschland abgezogen worden. Der Religionsamtschef unterstrich den Anspruch seiner Behörde auf politische Neutralität, bezeichnete gleichzeitig aber die Gülen-Bewegung als Terrororganisation.
Der Grünen-Politiker Volker Beck, der die Bundesanwaltschaft schon im Dezember zu Ermittlungen gegen Ditib aufgerufen hatte, nannte die Position des Religionsamtes eine „Frechheit“. Spionageaktivitäten türkischer Imame und Religionsattachés habe es nicht nur Deutschland gegeben. Auch aus der der Schweiz sowie aus Österreich, Holland und Belgien lägen „Spitzelberichte vor, die nach Ankara geschickt wurden“.