Kontingente für Flüchtlinge: Türkei will Syrer nur im Einzelfall zurücknehmen
Dämpfer für Angela Merkels Kontingentplan: Ankara interpretiert das Abkommen über syrische Flüchtlinge anders als die EU - und verlangt Beweise, dass die Asylbewerber über die Türkei gekommen sind.
Nur selten zuvor hat ein türkischer Ministerpräsident seine europäischen Kollegen so gelobt, wie Ahmet Davutoglu das zurzeit tut. Von einem grundsätzlichen Umdenken seitens der EU in der Flüchtlingsfrage schwärmte Davutoglu jetzt im Gespräch mit westlichen Journalisten in Istanbul. Besonders bei der deutschen Kanzlerin hat Davutoglu etwas beobachtet: „Angela“, wie Davutoglu die Regierungschefin in Berlin nennt, habe einen „psychologischen Wandel“ durchlebt. Endlich werde das Flüchtlingsthema nun als gemeinsames Problem gesehen. Aber schon zeichnen sich neue Streitpunkte ab.
Beim Mini-Gipfel zwischen der EU und der Türkei am 17. Dezember in Brüssel will Davutoglu mit Merkel, dem österreichischen Kanzler Werner Faymann und einer Handvoll anderer Regierungschefs über konkrete Maßnahmen zur Lastenteilung reden. Europäer und Türken werden demnach darüber verhandeln, wie viele Flüchtlinge die beiden Seiten „absorbieren“ können, wie Ministerpräsident Davutoglu sagte.
Die versprochenen drei Milliarden Euro Hilfe aus der EU sollen laut Davutoglu für Projekte ausgegeben werden, die den 2,2 Millionen Syrern in der Türkei das Leben erleichtern. Gleichzeitig bekräftigte der Premier, die Reiseerleichterungen für seine Landsleute in Europa und die Umsetzung des „Rückübernahmeabkommens“ seien eng miteinander verwoben. Die Vereinbarung verpflichtet Ankara, Menschen zurückzunehmen, die über die Türkei nach Europa geflohen sind.
Die Türkei stellt viele Bedingungen
Doch wenn europäische Politiker hoffen sollten, dass hunderttausende Syrer bald in die Türkei zurückgeschickt werden können, dann haben sie sich wohl getäuscht. Die Regierung in Ankara betonte, das Abkommen greife bei den meisten Flüchtlingen nicht. „Syrer, die vor dem Krieg fliehen und sich in europäischen Ländern in Sicherheit bringen, werden vom Rückübernahmeabkommen nicht erfasst“, stellte das türkische Außenministerium vor Kurzem klar. Nur Syrer, deren Asylanträge in der EU abgewiesen werden, können demnach zurückgeschickt werden. Das sind gerade einmal fünf Prozent der Flüchtlinge.
Auch könne keine Rede davon sein, dass Schutzsuchende „automatisch“ aus Europa in die Türkei geschickt würden, betonte das Ministerium. In allen Fällen müsse zweifelsfrei bewiesen werden, dass die Menschen tatsächlich über die Türkei auf EU-Territorium gelangt seien. Es werde also keinen plötzlichen Ansturm zurückkehrender Flüchtlinge in der Türkei geben. Ohnehin muss das Land nur Flüchtlinge zurücknehmen, die in Griechenland – dem ersten EU-Land nach ihrer Flucht – einen Asylantrag gestellt haben.
Bisher nur acht Flüchtlinge zurückgeschickt
Doch das sind die wenigsten, wie die European Stability Initiative (ESI) kürzlich in einer Analyse unterstrich. Ankara verweist auf ein bilaterales Rückübernahmeabkommen mit Griechenland, das bereits seit Jahren in Kraft ist. Die Erfahrungen mit diesem Vertrag zeigen, dass die Rückführung nur sehr schleppend läuft. Laut ESI verlangte Griechenland in den ersten neun Monaten dieses Jahres die Rückübernahme von rund 8700 Menschen. Die Türkei akzeptierte dies in knapp 2400 Fällen. Tatsächlich zurückgeschickt wurden acht Flüchtlinge.
Bis alle Details mit Griechenland geklärt seien, hätten die meisten Flüchtlinge längst die Weiterreise in andere EU-Staaten angetreten, erklärte ESI. Die Denkfabrik schlägt daher Sofortmaßnahmen beider Seiten vor. Die Türkei solle alle nach Griechenland geflohenen Menschen rasch und ohne viel Aufhebens wieder aufnehmen. Im Gegenzug müsse die Europäische Union die Visumspflicht für Türken schon in den ersten Monaten des kommenden Jahres aufheben.