zum Hauptinhalt
Aufruf: "FreeDeniz" in Berlin auf einer Leuchtanzeigetafel am Haus des Axel-Springer-Verlags
© dpa/Fabian Stoffers

"Welt"-Journalist in türkischer Haft: Türkei verweigert weitere Zusagen im Fall Deniz Yücel

Erstmals hat ein deutscher Diplomat den bei Istanbul inhaftierten Journalisten Deniz Yücel besuchen dürfen. Ob es ein weiteres Mal geben wird, ist noch offen.

Als Georg Birgelen, deutscher Generalkonsul in Istanbul, am Dienstag den inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Haftanstalt von Silivri außerhalb von Istanbul besuchte, traf er auf einen Mann, der sich im Knast verändert hat: Yücel, auf Fotos häufig unrasiert, mit wildem Haar und Zigarette im Mund abgebildet, habe sich die Haare stutzen lassen und sei jetzt glattrasiert, berichtete Yücels Schwester Ilkay dem Arbeitgeber ihres Bruders, der „Welt“. Er joggt auf einer kleinen Freifläche neben seiner Zelle und raucht weniger.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sagte, Birgelen sei zwei Stunden bei Yücel gewesen; der Besuch sei ohne Probleme verlaufen. Yücel gehe es gut, wenn ihm auch die Einzelhaft in Silivri zu schaffen mache, ergänzte Außenamts-Staatsminister Michael Roth in Istanbul. Der Birgelen-Besuch könne „nicht der Abschluss sein“ – vielmehr erwarte Deutschland neben Yücels Freilassung von der Türkei zumindest die Möglichkeit seiner regelmäßigen umfassenden konsularischen Betreuung. In diesem Punkt schweigt die türkische Seite bisher. Die Besuchserlaubnis für Diplomaten gelte „nur für den heutigen Tag“, räumte Roth ein. Bisher erlaubt wurde lediglich ein verbesserter Zugang der Anwälte zu Yücel.

„Spielball von innenpolitischen Entwicklungen“

Damit Birgelen überhaupt als erster deutscher Diplomat zu Yücel durfte, war trotz entsprechender Versicherungen aus Ankara ein diplomatischer Kraftakt nötig: Roth verbrachte das Wochenende bei Gesprächen in der türkischen Hauptstadt, wo er unter anderem mit Ibrahim Kalin, Sprecher und wichtiger Berater von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, zusammenkam. Roths Chef Gabriel erinnerte unterdessen den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu daran, dass die türkische Regierung die konsularische Betreuung Yücels zugesagt hatte.

Der Fall sei offensichtlich zum „Spielball von innenpolitischen Entwicklungen“ in der Türkei geworden, sagte Roth in Istanbul, während sich Birgelen an der Gefängnispforte in Silivri meldete. Deutsche Diplomaten rechnen nicht damit, dass sich für Yücel vor dem Verfassungsreferendum am 16. April noch viel verbessern lässt: Erdogan nennt den deutsch-türkischen Reportern in seinen Wahlkampfreden immer wieder einen „Agenten“.

Ein offenbar frustrierter Roth kommentierte dies und die Nazi-Vergleiche des türkischen Präsidenten, man müsse in Ankara „dringend rhetorisch abrüsten“. Erdogan hatte die Europäer am Wochenende erneut als Nazis und anti-muslimische „Kreuzzügler“ beschimpft. Die rhetorischen Ausfälle des Präsidenten machen nach Einschätzung des Erdogan-kritischen Journalisten Ahmet Nesin auch innerhalb der Regierungspartei AKP Sorgen. Inzwischen werde sogar an eine Partei-Neugründung gedacht, weil Erdogan „nicht zu bremsen“ sei, schrieb Nesin in auf der Internet-Plattform „ArtiGercek“.

150 Journalisten, die derzeit in der Türkei im Gefängnis sitzen

Yücel ist einer von rund 150 Journalisten, die derzeit in der Türkei im Gefängnis sitzen. In einem anstehenden Prozess gegen knapp 20 Schreiber und Redakteure der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ fordert die Staatsanwaltschaft in einer am Montag bekannt gewordenen Anklageschrift teilweise bis zu 43 Jahren Haft wegen Unterstützung terroristischer Organisationen. Die Autoren der Zeitung sitzen zum Teil seit fast einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Wann bei Yücel, dem ebenfalls unter anderem Terrorpropaganda vorgeworfen wird, die Anklage fertig sein wird, ist offen.

Auch bei fünf deutsch-türkischen Häftlingen in der Bundesrepublik erhalten türkische Diplomaten nach Roths Worten den nötigen Zugang zu den Betroffenen. Dasselbe müsse auch für Yücel gelten. Der Fall sei zu „einer der großen Bewährungsproben für die deutsch-türkischen Beziehungen“ geworden, warnte er.

In einem internen Lagebericht des Außenministeriums von Ende Februar, der dem „Stern“ und dem ARD-Magazin „Report“ vorliegt, beurteilt das Auswärtige Amt die Lage von Demokratie und Menschenrechten in der Türkei deutlich kritischer, als die Bundesregierung öffentlich einräumt. Er wurde „ohne Rücksichtnahme auf außenpolitische Interessen“ verfasst, heißt es im „Stern“.

Beklagt werden ein Klima der Einschüchterung und die massive Schwächung der Demokratie bereits vor Erdogans Wahlkampf für das Verfassungsreferendum. Zu beobachten seien „eine zunehmende Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit“ sowie „eine Verschlechterung der Menschenrechtssituation und ein Rückschritt in der demokratischen Entwicklung der Türkei“. Die Justiz leide unter „Missbrauch“ für „persönliche Machtinteressen“. Beweise für die „Hypothese“, dass der Prediger Fethullah Gülen „selbst den Befehl zum Putschversuch gegeben habe“ gibt es laut dem Bericht bisher nicht. (mit KNA)

Zur Startseite