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In der Region Idlib sind bereits viele Menschen auf der Flucht. Auch aus Angst vor der drohenden Offensive.
© Omar Haj Kadour, AFP

Syrien-Krieg: Türkei verstärkt Truppen an Grenze zu Syrien

Syrische Regierungstruppen wollen die Rebellenbastion in Idlib zurückerobern. Die türkische Regierung fürchtet einen Ansturm von Flüchtlingen.

Die Türkei macht mobil. Das Land baut seine Truppenpräsenz an der syrischen Grenze und in Syrien selbst aus. Damit bereitet sich Ankara auf einen befürchteten neuen Ansturm von Flüchtlingen aus der syrischen Grenzprovinz Idlib vor, in der ein Großangriff der syrischen Regierung erwartet wird. Gleichzeitig baut die Türkei ihre Position im Norden Syriens gegen die von den USA unterstützten Kurden aus. Vor internationalen Gesprächen über die Zukunft Syriens kommende Woche könnte der Einfluss Russlands auf die Türkei weiter wachsen.

Türkische Eliteeinheiten verstärkten in den vergangenen Tagen in der Gegend um den Ort Reyhanli die dortigen Grenztruppen, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Der Bezirk Reyhanli grenzt an das syrische Idlib, wo nach Einschätzung der Vereinten Nationen womöglich eine humanitäre Katastrophe droht, wenn der erwartete Großangriff der syrischen Regimeeinheiten dort beginnt. In der Provinz leben mehrere Millionen Zivilisten und zehntausende Rebellenkämpfer, von denen viele in den vergangenen Monaten aus anderen Teilen Syriens in die nordwestliche Provinz geflohen waren. Darunter sind auch viele Hard-Core-Islamisten.

Ringen mit Russland

In Gesprächen mit Russland, der Schutzmacht der syrischen Regierung um Präsident Baschar al Assad, will die Türkei erreichen, dass die Offensive abgeblasen oder zumindest abgeschwächt wird. Moskau verlangt im Gegenzug, dass Ankara seinen Einfluss auf die Rebellen in Idlib nutzt, um die Entwaffnung und Auflösung einiger extremistischer Gruppen zu erreichen. Die Gespräche der Türken mit radikal-islamischen Milizen laufen derzeit, doch ist unklar, was mit den vielen Kämpfern – erklärten Todfeinden der syrischen Regierung – geschehen soll, wenn sie ihre Waffen abgeben.

Die Türkei schickte in den vergangenen Tagen ihren Außenminister, den Verteidigungsminister und den Geheimdienstchef zu Gesprächen nach Moskau. Außenamtschef Mevlüt Cavusoglu nannte Russland einen „strategischen Partner“. Eine groß angelegte Offensive in Idlib wäre eine Katastrophe, warnte er. Zugleich gab er aber auch zu, dass etwas gegen die dschihadistischen Gruppen in der Gegend getan werden müsse.

Drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei

Moskau und Ankara verfolgen gegensätzliche Interessen in Idlib: Russland will die Provinz – die letzte von Aufständischen gehaltene Region im Norden Syriens – möglichst rasch wieder unter die Kontrolle von Damaskus bringen. Dagegen unterstützt die Türkei einige der dort verschanzten Rebellengruppen und fürchtet eine neuen Flüchtlingsansturm. Zudem unterhält die Türkei in Idlib zwölf Beobachtungsposten mit rund 1000 Soldaten, die bei einem Angriff syrischer Truppen in Gefahr geraten könnten. Während Russland den syrischen Machthaber Baschar al Assad stützt, strebt Ankara den Sturz des Staatschefs an.

Dennoch sind beide Seiten entschlossen, ihr Bündnis nicht an Idlib zerbrechen zu lassen. Russland braucht die Zusammenarbeit mit der Türkei, um den Krieg in Syrien bald zu beenden. Umgekehrt ist die Türkei bei ihren Militäraktionen in Syrien auf russisches Einvernehmen angewiesen. Beide Länder streben darüberhinaus eine Rückkehr von Geflohenen nach Syrien an: Die Türkei will möglichst viele der drei Millionen Syrer im Land nach Hause schicken, Russland sich als Friedensbringer profilieren.

Eine Gelegenheit zur Stärkung der türkisch-russischen Zusammenarbeit in Syrien bietet ein Dreier-Gipfel von Türkei, Russland und Iran im iranischen Tabriz kommende Woche. Bei dem Treffen wollen die Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin und Hassan Ruhani über die Lage in Idlib und eine mögliche syrische Nachkriegsordnung reden. Vier Tage später beraten Vertreter der drei Länder mit dem UN-Syrienbeauftragten Staffan de Mistura in Genf.

Zerrüttetes Verhältnis zu den USA

Während die türkisch-russische Kooperation enger wird, bemüht sich Moskau nach Kräften, weitere Keile zwischen Ankara und Washington zu treiben. Celalettin Yavuz, Professor an der Ayvansaray-Universität in Istanbul, verwies im Gespräch mit dem Tagesspiegel auf jüngste russische Vorwürfe an den Westen. Moskau zufolge könnten syrische Rebellen in Idlib mit britischer Unterstützung Chemiewaffen einsetzen und die Schuld dann der Regierung in Damaskus in die Schuhe schieben, um Luftangriffe der USA zu provozieren. Moskau versuche, die türkische Regierung von dieser Version zu überzeugen, sagte Yavuz.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Das Vertrauen zwischen der Türkei und den USA sei so zerrüttet, dass Ankara gewiss an eine Provokation der USA glauben werde, wenn es C-Waffeneinsätze in Idlib geben sollte, sagte Yavuz. Auch neue türkische Truppenverlegungen über die Grenze nach NordSyrien hinein hängen mit der türkischamerikanischen Krise zusammen, die wegen der Inhaftierung eines US-Pastors in der Türkei eskaliert ist. Nach Medienberichten wurden türkische Panzerverbände in die Gegend um die nordsyrische Stadt Tel Rifat geschickt. Dies sei eine Reaktion auf die Hilfe der USA für syrisch-kurdische Milizionäre in der Gegend, hieß es.

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