Kurdenkonflikt: Türkei plant neue Invasion in Nordsyrien
Die Regierung in Ankara zieht Truppen zusammen und will jetzt auch östlich des Euphrat gegen die Kurdenmiliz YPG vorgehen – die USA nennen das "inakzeptabel".
An der türkisch-syrischen Grenze fahren Panzer und Truppentransporter auf und erwarten den Einsatzbefehl. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat eine neue türkische Militärintervention in Syrien angekündigt.
Erstmals sollen türkische Soldaten zusammen mit syrischen Verbündeten östlich des Euphrat gegen die Kurdenmiliz YPG vorrücken. Erdogans Ansage richtet sich aber nicht nur gegen die Kurden, sondern auch gegen die USA, die mit der YPG in Syrien kooperieren – die Amerikaner sollen zu Zugeständnissen gezwungen werden. Beobachter sehen einen entscheidenden Moment für die türkisch-amerikanischen Beziehungen.
Die türkische Armee werde nicht auf amerikanische Soldaten im Norden Syriens schießen, versicherte Erdogan. Doch für die Regierung in Washington war das kein Grund zur Erleichterung. Das Pentagon nannte einseitige militärische Schritte des Nato-Partners „inakzeptabel“. Erdogan und US-Präsident Donald Trump sprachen telefonisch über die Lage. Aber eine Entspannung zeichnete sich zunächst nicht ab.
Eine Vorhut von 15.000 Mann
Vielmehr zieht Ankara an der Grenze Truppen zusammen und bereitet eine bis zu 15.000 Mann starke Vorhut aus Türkei-treue Milizionären in Syrien für den Vorstoß gegen die YPG vor. Die rund 2000 US-Soldaten im Nordosten Syriens seien von Ankara aufgefordert worden, in ihren Stellungen zu bleiben, meldete die Erdogan-treue Zeitung „Yeni Safak“. Der Vormarsch könnte Erdogan zufolge in wenigen Tagen beginnen.
Seit Jahren schon verlangt Erdogan von den USA das Ende der Zusammenarbeit mit der YPG, einem syrischen Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK. Washington will auf das Bündnis mit den Kurden aber nicht verzichten, weil sie als Partner im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ gebraucht werden.
Unter dem Schutz der USA haben die Kurden ein Autonomiegebiet entlang der syrischen Grenze mit der Türkei aufgebaut, das von Ankara als „Terrorkorridor“ bezeichnet wird. Mit zwei früheren Syrien-Interventionen westlich des Euphrat brachte die türkische Armee kurdische Gebiete dort bereits unter ihre Kontrolle.
Dass Erdogan nun ein weiteres Mal zuschlagen will, liegt auch an der Lage in der Stadt Manbidsch. Eine türkisch-amerikanische Abmachung vom Juni sieht den Abzug der YPG aus der Stadt vor. Geschehen sei allerdings nichts, beklagte sich der türkische Präsident jetzt.
Erdogan poltert
Deshalb werde die Türkei nun eben allein dafür sorgen, dass die YPG sich zurückziehe. Seine Soldaten würden in Manbidsch einmarschieren, falls Washington die kurdischen Milizionäre nicht zum Abzug aus der Stadt zwingen sollte. Verärgert reagierte Erdogan auch auf den Plan der USA, auf der syrischen Seite der Grenze zur Türkei Beobachtungsposten aufzubauen.
Nach US-Darstellung sollen damit Zusammenstöße zwischen der Türkei und der YPG verhindert werden. Erdogan dagegen sagte, die Posten sollten „die Terroristen vor der Türkei schützen“.
Mit der Ankündigung des neuen Einmarsches wolle Erdogan die USA zu einer Entscheidung in Syrien zwingen, sagte der Außenpolitik-Experte Celalettin Yavuz von der Istanbuler Ayvansaray-Universität. „Die Türkei und die USA stehen an einer Wegscheide.“ Washington müsse in der Frage nach einer weiteren Zusammenarbeit mit der YPG nun Farbe bekennen. Erdogan meine es ernst und werde sich mit beruhigenden Worten aus Washington nicht abspeisen lassen.
Gerüchte über eine Auslieferung Gülens
Erdogans Drohung dient möglicherweise auch dazu, bei einem anderen Thema mehr Druck auf die USA zu erzeugen. Nur wenige Tage nach Erdogans Ankündigung der neuen Syrien-Intervention sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, Trump habe Erdogan gegenüber betont, die US-Regierung arbeite an einer Auslieferung des islamischen Geistlichen Fethullah Gülen an die Türkei.
Bisher ignorierte Washington die Forderungen Erdogans nach Überstellung von Gülen, der von der Türkei als Drahtzieher des Putschversuches von 2016 bezeichnet wird. Ankara hofft, dass sich das nun ändert.