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Eine Tunesierin füllt ihren Stimmzettel in der Wahlkabine aus. Rund sieben Millionen Tunesier sind an diesem Sonntag aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen.
© Khaled Nasraoui/dpa

Vorgezogene Präsidentschaftswahl: Tunesien stimmt über neues Staatsoberhaupt ab

Tunesien wählt einen neuen Präsidenten. Die junge Generation hat wenig Hoffnung auf Veränderung und verlässt das Land – Richtung Europa.

Tunesien ist eines der wenigen arabischen Länder, in denen nach Ausbruch der arabischen Revolution die Demokratie eine Chance bekam. Doch die Aufbruchstimmung, die nach dem Aufstand gegen den tunesischen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali vor acht Jahren spürbar war, ist inzwischen verflogen. Es gibt zwar mehr Freiheiten, aber die wirtschaftliche Situation hat sich nicht verbessert. Immer wieder kommt es zu Protesten und Ausschreitungen. Die junge Generation ist frustriert: Nach einer Umfrage des Forschernetzwerks „Arab Barometer“ will jeder zweite junge Tunesier mangels Perspektiven das Land verlassen – Richtung Europa.

Angesichts dieser politischen Enttäuschung wäre es keine Überraschung, wenn die Wahlbeteiligung an der Präsidentenwahl an diesem Sonntag niedrig ausfiel. Es ist die zweite freie Wahl des Staatschefs nach dem Aufstand im Jahr 2011. Dass die Gleichgültigkeit der 11,5 Millionen Tunesier gegenüber der Politik wächst, machte sich bereits in der Kommunalwahl in 2018 bemerkbar, als nur ein Drittel der Berechtigten wählen ging. Verliert die Demokratie im einstigen arabischen Musterland schon nach wenigen Jahren ihre Anziehungskraft?

Eigentlich sollte erst im November ein neuer Staatschef gewählt werden. Aber durch den Tod des bisherigen Amtsinhabers Beji Caïd Essebsi, der im Juli mit 92 Jahren gestorben war, änderte sich der Fahrplan. Nun steht ein Wahlmarathon an: Am Sonntag die erste Runde der Präsidentenwahl, Anfang Oktober folgen Parlamentswahlen; anschließend wird vermutlich eine zweite Runde der Präsidentschaftswahl folgen, sollte im ersten Anlauf kein Kandidat die absolute Mehrheit erreichen. Tunesiens Präsidentenamt ist mit weitgehenden Regierungsvollmachten ausgestattet: Der Staatschef bestimmt die Richtlinien der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Chancenreicher Kandidat in U-Haft

Zu den aussichtsreichsten der 26 Präsidentschaftskandidaten zählten im religiösen Lager der Vize-Chef der islamischen Partei Ennahda, Abdelfattah Mourou (71), der als gemäßigt, pragmatisch und weltoffen gilt. Ennahda hat im Parlament die stärkste Fraktion, gewann zudem die Kommunalwahl in 2018 und stellt den Bürgermeister in der Hauptstadt Tunis. Im säkularen Spektrum wurden dem bisherigen Premier Youssef Chahed (43) Chancen eingeräumt.

Für eine Überraschung könnte aber noch der Medienunternehmer und Multimillionär Nabil Karoui (56) sorgen, der ebenfalls kandidiert, auch wenn er derzeit wegen des Verdachts des Steuerbetrugs und der Geldwäsche in U-Haft sitzt. Bis zu seiner Festnahme im August lag Karoui in den Umfragen vorne. Seine Popularität ist vermutlich auch dadurch genährt worden, dass sich Karoui vor den Kameras seines TV-Senders Nessma lange Zeit als karitativer Wohltäter darstellen konnte. Allerdings verboten Medienaufsicht und Wahlbehörde Karouis TV-Anstalt, weiter über den Präsidentschaftswahlkampf zu berichten.

Ein Sprecher Karouis beschuldigte Regierungschef Chahed, das Sendeverbot und die Festnahme angeordnet zu haben. Dagegen spricht, dass die Ermittlungen gegen Karoui durch eine Anzeige der unabhängigen tunesischen Anti-Korruptionsorganisation iWatch ins Rollen gekommen waren.

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